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Irgendwann in meinem Halbschlaf hörte ich Luise sanft flüstern: „Mila?"

Ich antwortete nicht. Alles war warm und gemütlich und ich wollte nicht, dass der Moment durchs Reden beendet wurde. Schlafen war schön.

Außerdem war ich auch einfach zu faul.

Eine warme Hand legte sich an meine Wange.

Vorsichtig schob sie meinen Kopf von ihrer Schulter und wollte mich wohl ordentlich ins Bett legen.

Müde öffnete ich ein Auge.

„Ich muss los", meinte sie leise und entschuldigend „Alfred hat heute seinen freien Abend und ich muss füttern"

Mein Zimmer lag schon im Dämmerlicht. Wie spät war es denn? Hatte ich wirklich geschlafen?

Etwas verwirrt nickte ich. Sie lächelte mir zu, ehe sie verschwand.

Unten hörte ich sie noch kurz mit meiner Mutter reden, dann fiel die Haustür ins Schloss.

Ich wälzte mich auf den Rücken und das Tablet kippte von meinen Beinen. Der Display leuchtete schwach auf.

Schon halb neun. Puh. War wohl doch mehr als nur ein wenig Dösen gewesen.

Es war so einfach, bei ihr zu entspannen. Mein Weltenhass wurde leiser und und alles erschien ein wenig leichter, irgendwie fröhlicher.

Aus Gewohnheit holte ich mein Handy hervor und schaute aus Langeweile durch meine Fotogalerie.

Das war schon so eine Art Übersprungshandlung. Immer wenn ich nichts zu tun hatte, holte ich erstmal mein Handy heraus, ohne überhaupt zu wissen, was ich so genau wollte. Meistens lief es darauf hinaus, dass ich lustlos durch die Galerie schaute.
Bei einem Bild, das Manu mir geschickt hatte, blieb ich hängen.

Das war mir in der Flut von seltsamen Fotos und Videos, die ich bekommen hatte, garnicht aufgefallen.

Im schlechten Licht einer verwackelten Lichterkette saß Luise auf dem Boden. In der einen Hand ein Bier, die andere um die Hüfte eines erbärmlichen Bündels gelegt, das sich mehr als nur ein bisschen aufdringlich an sie lehnte. Sie lachte und erzählte wohl grade etwas, hatte aber trotzdem ihre Wange an die verwuschelten Haare des kodderigen Dings gelegt.

Das war übrigens ich - also das erbärmliche Bündel. Zwar hatte ich das damals nicht so wahrgenommen, allerdings war meine Selbstwahrnehmung zu dem Zeitpunkt auch schon relativ für'n Arsch.

Das Bild war wohl kurz nach der mehr oder weniger misslungenen Stock-Stirn-Lauf-Spiel-Katastrophe entstanden.

Bevor das Ganze wieder eskalierte.

Hatte ich da wirklich so durch ausgesehen? Oh man, das mit der Selbstachtung konnte ich mir so ziemlich abschminken.

Meine Erinnerungen an diesen Moment waren verschwommen. Nur noch Luises Hand, die sicher an meiner Taille gelegen hatte, war mir im Gedächtnis geblieben.

Sie war... toll.

Ich wusste nicht, wie ich es anders beschreiben sollte. Sie war lieb und fröhlich, manchmal selbstbewusst, manchmal schüchtern, strahlte gleichermaßen Ruhe und Aufregung aus... sie war einfach komplett anders als alle Mädchen, mit denen ich jemals was gehabt hatte.

Meine Ex-Freundinnen waren alle ähnlich gewesen: laut, überheblich oder massiv depressiv... oder alles gleichzeitig. Ständig folgte ein Absturz nach dem Anderen und ich fands cool und machte mit. Andauernd hatte es irgendwelche Dramen oder bescheuerte Aktionen gegeben.

Talulla hatte mich mal dazu angestiftet, mit ihr nachts auf den Bahngleisen rumzugammeln und zu kiffen.

Um ein Haar hätten wir den Zug übersehen und waren nur knapp noch weggekommen.

Auch wenn sie mich betrogen hatte, war sie immernoch besser gewesen als Ariana.

Die hatte „nur für den Kick" im Supermarkt geklaut und alle paar Tage angekündigt, sich umzubringen, nur um noch ein wenig Aufmerksamkeit oder Mitleid zu generieren. Sie hatte sogar mal erzählt, dass ihre Tante gestorben war, obwohl es der, als sie sie dann von der Schule abgeholt hatte, ziemlich gut zu gehen schien. Als ich ihr sagte, dass ich nicht mehr mit ihr abhängen wollte, hatte sie mir immer wieder aufgelauert und mich beschuldigt, schuld an ihrer gesamten Kaputtheit zu sein... obwohl wir uns nur einen knappen Monat lang kannten.

Luise war da anders.

Sie feierte zwar auch gerne und trank definitiv auch mehr als ich, stürzte aber nicht ab. Sie übernahm Verantwortung, hatte was zu tun. Sie tat nichts, nur allein um Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie mochte es nichtmal wirklich, wenn andere sie groß bemitleideten oder ihr mehr Aufmerksamkeit als nötig schenkten. Und obwohl sie es nicht immer leicht hatte, war sie fröhlich.

So fröhlich, dass es für alle Menschen um sie rum auch reichte. Wenn sie lächelte, bekam sie kleine Grübchen im Mundwinkel und... och menno.

Ich sollte einfach aufhören. Womit? Keine Ahnung. Einfach mit allem.

Das war doch gemein!

Was sollte ich denn tun?

Mich ekelhaft an sie ranmachen? Ne, am Ende überredete ich sie zu irgendwas, was sie garnicht wirklich wollte. Sie war bestimmt beeinflussbar, aber das wollte ich nicht. Nicht so. Ich wünschte mir natürlich, dass da mehr zwischen uns als reine Freundschaft entstehen könnte, aber wenn da jetzt ganz plötzlich was wäre, würde ich die ganze Zeit nur vermuten, dass sie nur ausprobierte und bald herausfand, dass sie doch nicht auf Frauen stand.

Warum konnte es nicht wieder so einfach wie in Köln sein?

Zwei horny Mädels gucken sich beim Kiffen zehn Sekunden lang an, bumm, zwei Nächte und ein Happymeal und fertig: Freundin gefunden. Und wenns dann relativ zeitnah auseinanderging: auch nicht dramatisch. Gab ja noch mehr queere Menschen und innerhalb von wenigen Wochen ließ sich die Nächste finden.

Und hier: Voll am Arsch.

Ich saß hier gefangen zwischen der wütenden Anni, Techno-Titten-Marie und eben Lu, dem Ziegenmädchen.

Auswahl gabs also nicht wirklich.

Und wenn ich es mir so genau überlegte:

Selbst wenn mir eine Talulla oder Ariana über den Weg laufen würde, ich dumme Kuh würde wahrscheinlich trotzdem weiter fucking Mia-Luise Grevensehl hinterher laufen.

Von heteronormativer Hölle und einem Ziegenmädchen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt