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Noch immer mit dem Handy in der Hand kletterte ich von der Tribüne und hetzte zu Lu die sich grade vorsichtig an einem Pfosten der Platzbegrenzung hochzog.

„Alles in Ordnung?", fragte ich aufgeregt und klopfte ein wenig Sand von ihrer Schulter.

„Wo ist Erwin?", fragte sie verbissen.
Bis eben war er noch augenscheinlich sehr zufrieden mit sich und seiner Leistung über den Platz getrabt, doch nun lief er zum Eingang, wo Alfred ihn direkt abfing.

Erst jetzt schaltete ich das Video ab. Das hatte ich vergessen.

Oh man, mein Herz.

„Nichts passiert?", fragte die Lautsprecherstimme.

Lu zeigte einen Daumen hoch und rief über den Platz: „Alles in Ordnung!"
Damit stapfte sie wortlos über den Platz in Richtung Ausgang, während aus den Lautsprechern schon der nächste Teilnehmer angekündigt wurde.

Schnell folgte ich Lu, deren Haargummi sich wohl verflüchtigt hatte, wodurch ihre rote Mähne wild durch die Gegend flog, außen rum, an den Frittenbuden und Getränkewägen vorbei.

Als ich beim Ausgang ankam, stand klopfte Alfred der Rothaarigen grade väterlich auf die Schulter und sagte zuversichtlich mit seinem osteuropäischen Akzent: „Wird besser nächstes Mal"

„Bestimmt", meinte Lu tapfer lächelnd.
Schnell verzogen wir uns wieder zum LKW, wo Alfred sofort den Sattel vom Pferd wuchtete und Erwin etwas gröber als nötig alles abnahm, was wir ihm grade erst raufgefummelt hatten.

Luise schüttelte sich einmal, knipste ihr Lächeln wieder an, stieg immer noch leicht humpelnd auf die Klappe des LKWs und führte Monster hinunter.

„Du willst weitermachen?", fragte ich entsetzt. Immerhin war sie eben erst bestimmt zwei Meter weit durch die Luft gesegelt.

Sie zuckte mit den Achseln: „Ja klar, ist ja nicht das erste Mal"

Mit offenem Mund sah ich zu, wie Luise Monster wie selbstverständlich eine weiße Decke auf den Rücken legte.

„Das ist ja voll gefährlich!", stellte ich fest.

Sie grinste: „No risk, no fun"

„Ernsthaft? Und du reitest ihn immernoch?"

Sie zuckte mit den Achseln: „Wenn Erwin sich mal anstrengen würde, wäre er ein richtiger Kracher, aber er will einfach nicht"

Okay, ich sollte darüber nachdenken mir Manus „Pferdemädchen sind Red-Flags" - Ideologie anzueignen, aber dazu war es wohl schon zu spät.

„Ich wiederhole mich: du bist sehr sehr seltsam", meinte ich, doch Luise überging das lachend und kletterte auf Monsters Rücken.

„Hüh, Tier!", meinte sie albern, aber Monster drehte nur seinen dicken Kopf zu ihr und versuchte in ihren Stiefel zu beißen.

„Ey, lass das!", beschwerte sie sich „Ich hab die gestern geputzt!"
Ich schnaubte.

Alfred meinte ebenfalls mit einem schiefen Lächeln im zerfurchten Gesicht: „Mädchen, mach keinen Quatsch"

„Ich doch nicht", meinte sie frech und ritt los.

„Ich film von hier aus!", rief ich ihr hinterher.

Ein erhobener Daumen.

Ich kämpfte mich durch einen Busch - eine Tätigkeit, die ich in den letzten Wochen dank der Eingeborenen von Ferse perfektioniert hatte - und setzte mich auf einen der brüchig aussehenden Plastikstühle, die auf der der Tribüne gegenüber gelegenen Seite des Hauptplatzes standen.

Diesmal standen die Sprünge anders und waren auch etwas kleiner als eben noch.

Während ich drauf wartete, dass Lu angekündigt wurde, schrieb ich ein wenig mit Manu und der restlichen Truppe, mit der ich immer abgehangen hatte.

Nach dem durchscrollen durch einige Gruppenchats und Instgramposts, merkte ich, dass in Köln alles weiter seinen normalen Lauf nahm.

Emmy und Juliana waren im Urlaub auf Mallorca... will auch.

Carlos war anscheinend wie immer nur am Kiffen und seine Schwester Nina regte sich wie immer darüber auf, allerdings war sie jetzt mit meiner Ex zusammen. Wow, das Mädchen war echt ein kleiner Wanderpokal. Also meine Ex, nicht Nina. Nina tat mir einfach nur leid.

Manu war genauso genervt von der Arbeit wie sein Arbeitskollege Alex auch.

Alles wie immer, nur dass ich nicht mehr dabei war. Vermissten sie mich? Oder war es ihnen egal, dass ich vom einen Tag auf den anderen einfach weg war? Würde die Freundschaft einfach im Sande verlaufen, wenn wir uns selten bis garnicht sahen?

Ich seufzte.

Immerhin hatten auch die anderen gesagt, dass ich unbedingt mal wieder zu Besuch kommen sollte.

Wie ich das bewerkstelligen sollte, war mir zwar ein Rätsel, aber naja.

Mum würde mir die Fahrt jedenfalls nicht bezahlen, das hatte sie mir schon versichert. Sie war der Meinung, dass ich mir mein Taschengeld eben selbst einteilen müsste. Letztens hatte sie sogar vorgeschlagen, dass ich mir einen Job suchen sollte, wenn ich mehr Geld wollte.

Ich war Schülerin!

Zur Not müsste ich eben schwarz Bahn fahren, was aber immernoch das Problem übrig lassen würde, dass Mama nicht wollte, dass ich alleine fuhr.

Sie hatte wohl Angst, dass ich nicht zurück kam.

Die raue stark dialektgeprägte Stimme aus den Lautsprechern verkündete: „Und als nächstes wird uns ‚Montenegro', ein vierjähriger Hannoveranerwallach, gezogen und im Besitz von Familie Wandtke vorgestellt. Im Sattel sitzt Mia-Luise Grevensehl"

Hektisch öffnete ich die Handykamera.
Fast verpennt.

Wär ja schön blöd, nur eine Aufgabe und trotzdem reinscheißen.

Die Glocke bimmelte, Lu machte eine Art seltsame Verbeugung und ritt - diesmal ganz entspannt - los.
Brav zog Monster seine Runde.

Wow, das ging ja auch ganz ohne Drama, ohne Runterfallen, ohne Stehenbleiben. Ich wusste schon, warum ich Monster lieber mochte. Pff... nennt mich Pferdekennerin.

Sichtlich zufrieden tätschelte Lu den Dunkelbraunen, ehe sie den Platz verließ.

Langsam kämpfte ich mich wieder durch den Busch und schlenderte zurück zum LKW.










Von heteronormativer Hölle und einem Ziegenmädchen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt