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Heute war der erste Tag des Sommerlagers.
„Der Hammer", wie Anni es formuliert hatte. Ich wusste noch immer nicht so wirklich, was ich davon halten sollte. Ein paar Dorfkinder, die in Zelten auf einer Wiese schliefen. Wow. Irgendwie war mir mit der Zeit immer klarer geworden, dass das Lager eher für jüngere konzipiert war, aber die ganzen älteren sich als angebliche „Betreuer" ausgaben um unter dem Deckmantel von Fürsorglichkeit und sozialem Engagement mit der Dorfjugend abzuhängen und zu trinken.
Als Lu das letztens in Gegenwart meiner Mutter rausgerutscht war - also das mut dem Camp, nicht das mit dem Saufen - , war die natürlich gleich hellauf begeistert gewesen und erwartete nun von mir, dass ich meine Tage dort verbrachte. Doppelt wow.
In der letzten Woche war es praktisch Normalität geworden, den halben Tag nur mit Luise und Anni rumzugammeln. Entweder bei Anni Zuhause in ihrem Zimmer, das vollgeklebt war mit Postern von irgendwelchen Punkrock Bands, bei mir oder irgendwo draußen.
Inzwischen gehörte es leider schon zur grausamen Realität, dass viel zu früh am Tag eins der beiden Dorfmädchen vor meiner Tür stand und mich dazu bringen wollte, irgendeinen Müll zu machen, auch wenn Lu dabei wesentlich sanfter vorging als Anni, die relativ schnell rausbekommen hatte, dass sie sturmklingeln konnte, wenn die Autos von Mum und Frank nicht da waren.
Leicht genervt sah ich auf den quietschgelben Schlafsack, der zusammengerollt neben mir auf dem Bett lag. Luise hatte ihn mir gestern gegeben, als ich meinte, dass ich leider nicht mitkommen konnte zum Zelten, weil ich keinen Schlafsack hatte. Wow. Meine Ausrede hatte ja super funktioniert.
Unten staubsaugte Mama. Frank war einkaufen oder so, jedenfalls war er vorhin weggefahren. Sie beide mussten heute erst später zur Arbeit, weil Samstag war.
Ich sah auf mein Handy. Ich hatte Manu geschrieben, aber die Nachricht kam seit Stunden nicht an. Wahrscheinlich hatte er sein Handy mal wieder geschrottet... oder in einen Gulli geworfen (wäre nicht das erste Mal).
Es war schon fast Mittag und ich saß immernoch in Schlafsachen im Bett. Eine Seltenheit. Aber wahrscheinlich hatten Anni und Lu genug mit Sommerlagervorbereitungen zu tun.
Ich entschied mich, aufzustehen.
Allein dafür sollte man mir einen Orden verleihen, denn in dieser wirklich schlimmen Welt, war das schon echt eine Errungenschaft.
In Schlafsachen wankte ich die Treppe runter und setzte mich mit einem Kaffee and den Tisch. Irgendwie wusste ich nichts mit mir anzufangen, wenn Anni und besonders Luise nicht da waren.
Lu und ich hatten in den letzten Tagen so viel Zeit miteinander verbracht, dass man denken sollte, wir hätten so langsam mal alles durchgesprochen, was es so gab, aber irgendwie war dem nicht so. Man konnte sich mit ihr über alles unterhalten - und damit meine ich wirklich jeden Müll. Schließlich hatten wir grade gestern ein ernstes Gespräch über verschiedene Arten von Müllsäcken und seltsamerweise fand ich das absolut nicht nervig. Das einzige was mich nervte war, dass meine Mutter Luise so bezaubernd fand. Immer wenn sie hier war, fing Mama ein Gespräch mit ihr an, das Lu dann aus Höflichkeit weiterführte. Sie sagte zwar immer, dass sie meine Mutter nett fand, aber ich befürchtete, dass sie auch das nur aus Höflichkeit sagte. Ich verstand schon, warum die ganzen Familien aus der Umgebung Luise halfen. Sie war praktisch genau das was man von einer Jugendlichen erwartete: Höflich, fleißig, lieb, freundlich und mit dem genau richtigen Maß an Schüchternheit, sodass sie noch als süß rüberkam.
Oh man und immer öfter erwischte ich mich dabei, wie ich über sie nachdachte und zwar nicht so wie man über eine einfache Freundin nachdenken sollte, aber sie sah einfach zu süß aus, wenn sie rot anlief...
Müde zupfte ich ein paar Hundehaare von meiner kurzen Schlafhose, als die Türklingel ging.
Ich wollte erst nach meiner Mutter rufen, aber dann fiel mir ein, dass es wahrscheinlich nur wieder Anni oder Luise waren, die mich doch noch mit ihrer Anwesenheit beglücken wollten.
Es klingelte nochmal, diesmal energischer. Okay, das waren definitiv Anni und Lu.
Genervt erhob ich mich und schleppte mich zur Tür. Mussten sie mich beim Nachdenken stören.
Ich riss sie auf und maulte mehr aus Gewohnheit als aus wirklicher schlechter Laune: „Kann man nicht einen Tag seine Ruhe...-"
„Begrüßt man so seinen besten Freund?"
Erst da sah ich richtig hin. Vor mir stand Manu. Mein Manu.
Ich quietschte laut und warf mich ihm in die Arme. So doll, dass er nach hinten torkelte und beinahe Frank anrempelte, der sich breit grinsend in Sicherheit brachte.
„Was machst du denn hier?", fragte ich aufgeregt. Meine Müdigkeit war wie weggepustet.
Manu lachte: „Dich besuchen natürlich!"
Ich zog meinen besten Freund in den Hausflur und wippte aufgeregt mit dem Fuß, während er sich die Schuhe auszog.
„Warum hast du nicht Bescheid gesagt?", fragte ich.
„Ich wollte dich überraschen, also hab ich mit Frank ausgemacht, dass er mich von der Bahn abholt"
Ich lachte. Warum? Keine Ahnung.
Anni und Lu hatten mich zwar ein wenig abgelenkt, aber jetzt wo mein bester Freund wieder bei mir war, merkte ich erst wie sehr ich ihn vermisst hatte.
Allein schon seine Art, wie er sich die schwarzen Haare aus dem Gesicht pustete, weil die wie immer zu lang waren. Und sein Grinsen, das immer sagte, dass er grade einen Plan ausheckte.
„Ich hab dich vermisst", meinte Manu und drückte mich noch einmal fest. Ich umarmte ihn zurück und legte meinen Kopf auf seine Schulter. Er roch nach Kindheit, nach Zuhause und nach Vertrautheit.
„Oh, ähm, tschuldigung - ich wollte nicht...", stammelte es vor der immernoch weit geöffneten Tür.
Eine knallrote Luise stand vor uns. Manu ließ mich los und sagte charmant lächelnd: „Hey"
„Willst du reinkommen?", fragte ich die Rothaarige, die wiedermal ein viel zu großes Shirt trug und im Gesicht, genauer gesagt seitlich am Unterkiefer, einen großen Staub oder Dreckfleck hatte.
Sie schüttelte hektisch den Kopf: „Äh, ne ich will nicht stören. Ich wollte nur fragen, ob wir, äh... wann du heute zur Zeltfete kommst, aber ist auch egal... Naja, wir sehn uns da"
Damit hastete sie beinahe schon fluchtartig zur Straße, wo Ben mit Esel wartete.
Etwas überrumpelt sah ich ihr hinterher. Was war das denn jetzt?
„Lass mich raten, das war das Ziegenmädchen?", meinte Manu grinsend.
„Gut geraten"
„In erster Linie war es die Ziege, die mir das verdeutlicht hat. Ist die immer so?"
Ich fragte: „Die Ziege?"
Manu schnaubte: „Ne das Mädel"
„Ne, absolut nicht"
Damit führte ich Manu in mein Zimmer, wo er sich zielsicher auf mein Bett warf. Lachend warf er mich mit dem Schlafsack ab: „Willst in den Urlaub fahren?"
Ich warf mich neben ihn: „Fick dich. Hab ich dir doch erzählt. Diese Sommercampgeschichte. Lu meinte, dass ich den brauch. Ich penn bei ihr mit im Zelt"
„Voll abgespacet hier. So viel Platz haben unsere beiden Wohnungen in Köln zusammen", meinte Manu dann ohne Zusammenhang.
Ich zuckte mit den Achseln. Am Anfang war ich zu genervt gewesen, um die positiven Seiten auch nur mit dem Hintern anzuschauen, und als der erste Hass verschwunden war, war das Haus für mich schon so normal gewesen, dass ich garnicht mehr weiter darüber nachgedacht hatte.
Schweigen.
Es war angenehm, einfach mal wieder stumm neben Manu zu liegen. Jeder in seiner eigenen Gedankenwelt, aber trotzdem nicht alleine. So hatten wir ganze Tage verbracht. Alle paar Minuten lachte einer von uns unvermittelt los, sagte was Dummes, dann lachte auch der andere und dann wieder Schweigen.
So auch jetzt: „Weißt du, ich hätte immer gedacht, dass nicht eine ganze Armee es schaffen würde, dich in ein Zelt zu schleppen"
Ich schnaubte: „Ich hab keine Wahl. Anni und Lu sind echt anstrengend. Die nerven solange, bis ich nachgebe"
Dass Lus bettelnder Blick mich jedes Mal innerhalb von Sekunden weichkochte, ließ ich mal außen vor. Ich wollte mir nicht Manus Lachen anhören wenn er rumalberte, dass ich verliebt oder so sei. Pff... so weit ging es nun auch nicht. Vielleicht ein wenig verschossen oder verknallt, aber richtig verliebt war etwas anderes, oder?
So richtig verliebt war ich noch nie... und wollte es auch nicht so wirklich sein. Bis dahin hatte es immer Mädchen gegeben, die mich mochten und ich mochte sie auch irgendwie, also waren wir irgendwie ein paar Wochen zusammen, hatten geknutscht, Sex gehabt und Händchen gehalten, bis irgendwas dazwischen kam und wir keinen Bock mehr aufeinander hatten und die Geschichte vorbei war.
„Wollen wir nachher auf diese Zeltfete? Anni meinte das ist voll der Hammer", fragte ich nach kurzem Schweigen.
Manu fragte: „Meintest du nicht, dass diese Anni dreizehn oder so ist?"
Das war ein Argument.
„Ne vierzehn"
Wieder Stille.
„Gibts hier sonst noch was cooles?"
„Ne", meinte ich.
„Dann lass da hin"

Von heteronormativer Hölle und einem Ziegenmädchen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt