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„Mama, wo hast du das Popcorn?", rief ich aus der Küche. Die ekelhaften Linsenchips, die wohl dem Gesundheitstrip, der sich wie eine Krankheit durch dieses Haus zog geschuldet waren, würde ich auf keinen Fall anrühren.

Meine Mutter, die grade versuchte, unseren Fernseher richtig einzustellen, rief zurück: „Such mal bei den Nudeln!"

Warum auch immer sie es für logisch hielt, Popcorn bei den Nudeln zu verorten. Popcorn gehörte definitiv und unumstritten zu den Süßigkeiten. Jeder, der etwas anderes behauptete, gehörte in psychologische Behandlung.

Mein Handy summte.

Genervt sah ich drauf. Wieder nur Carlos mit einem seiner Katzenbilder. Die Dinger jagte er seit Tagen durch jeden erdenklichen Gruppenchat über jedes einzelne Medium. Wenn er nicht so faul wäre, würde er sie wahrscheinlich sogar per Post versenden. So blieb es aber zum Glück bei Whatsapp, Insta und Tiktok (was meiner Meinung nach aber auch schon zu viel war).

Nachdem mein Handy mich und Luise schon sehr unfreundlich aus unserer kleinen Blase gerissen hatte, wollte ich nichtsmehr davon wissen. Kleines Monstergerät.

Ich schaltete es vorerst aus.

Meine Mutter hatte sehr penetrant versucht mich zu erreichen und nachdem ich schon zwei Anrufe ignoriert hatte, musste ich mich wohl oder übel aufsetzen und mein Handy suchen, das aus irgendeinem Grund unter Quinns Kopf lag.

Ich hatte den Filmabend vergessen, den wir schon seit einer Woche fest eingeplant hatten. Beziehungsweise hatte meine Mutter ihn für uns alle drei eingeplant. Ich bezweifelte, dass Frank da Mitspracherecht gehabt hatte und ich hatte sowieso keins, aber Widerstand war bei ihr relativ zwecklos.

Also hatte Lu mich noch den halben Weg bis nach Großen begleitet und hatte sich dann nach einer sehr langen Umarmung von mir verabschiedet.

Ihr Lächeln war wiedermal breit wie eine dreispurige Autobahn gewesen.

„Hast du es gefunden?", fragte meine Mutter und sah kurz in die Küche.

Ich schüttelte den Kopf: „Das ist da nicht"

„Ach, du guckst bestimmt nur nicht richtig", behauptete sie.

Ich schnaubte: „Nein, das hätte ich doch gesehen. Außerdem gehört Popcorn definitiv nicht zu den Nudeln! Das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit"

Meine Mutter zog skeptisch eine Augenbraue hoch: „Du bist zu theatralisch"

Zu meinem Leidwesen war das Popcorn wirklich irgendwo bei den Nudeln.

Das war mal wieder typisch. War das irgendeine Superkraft, die Frauen erst entwickelten, sobald der erste Fötus aus ihrer Gebärmutter rollte? Ein ultimativer Scannerblick? Oder war es einfach nur die grandiose Fähigkeit, besagten Fötus immer wieder bloßzustellen? Oder versteckten sie den Kram mit Absicht so, dass keiner außer ihnen selbst den finden konnte?

„Du guckst nur nicht richtig", behauptete meine Mutter ärgerlich und packte die Tüte in die Mikrowelle.

Ich sagte nichts. Es gab nichts zu sagen. Ich konnte nur verlieren.

„Was für einen Film schauen wir überhaupt?", fragte ich und nahm eine Flasche Limo mit ins Wohnzimmer. Mamas Linsenchips standen schon in eine schöne Schüssel umgefüllt auf dem Couchtisch.

Ekelhaft.

„Frank sucht aus", kam es aus der Küche gerufen. Dann konnte ich mich auf einen Krimi einstellen. Aus irgendeinem Grund liebte er die Streifen, auch wenn sie oft schlechtes Schauspiel beinhalteten und absolut langweilig waren. Denn bei ihm hieß Krimi eher weniger „wilde Verfolgungsjagden", sondern eher so Rosenheim-Cops. Anstatt großer Verschwörung eher so „Tante Rosi hat ihre Schwiegertochter im Wald vergraben". Und im Zweifelsfall redeten auch noch alle in einem grausamen lokalen Dialekt, der selbst einen Mord erstaunlich unbedrohlich machte.

So richtig deutsche Filme eben.

Die Haustür öffnete sich und Frank rief: „Bin Zuhause"

Wenn man vom Teufel sprach.

„Was gucken wir?", fragte ich laut und ließ mich schonmal auf das Sofa fallen.

Frank kam mit einer Schüssel Popcorn ins Wohnzimmer geschlurft: „Mach mal Platz"

Ich tat wie mir befohlen und wartete auf seine Antwort.

Planlos öffnete er Netflix und scrollte durch die Vorschläge: „Ich dachte vielleicht an einen Krimi?"

Bingo.

Man nenne mich Hellseherin. Das Orakel von Ferse... okay, das nahm dem ganzen den Kick. Ferse war ganz generell ja eher ein Abturner.

„Wie du willst", meinte ich „Hauptsache nichts was Mama will"

Immer positiv bleiben, das hatte ich von Luise gelernt.

Er grinste: „Kein Horror?"

„Horror?", fragte meine Mutter begeistert, die grade aus der Küche kam.

Ich schnaubte: „Zum Glück nicht"

Ihre Affinität zu diesen wirklich schlecht produzierten Streifen war echt mehr als bedenklich. Während Jason, Freddie und Michael also durch die Gegend rannten und arme, wehrlose und vor allem notgeile Teenager abschlachteten, konnte sie ganz entspannt auf der Couch sitzen und sich Linsenchips reinpfeifen.

„Du weißt nur nicht was gut ist", behauptete sie stolz und ließ sich dann neben mich fallen.

Mit hochgezogener Augenbraue meinte ich: „Wir können nicht alle Psychopathen sein"

Frank, der wohl seine Entscheidung getroffen hatte, fragte: „Könnt ihr euch vielleicht nicht streiten"

Meine Mutter lachte: „Wir streiten doch nicht. Wir reden nur"

Auch wenn Franks Filmgeschmack fragwürdig war, hatte ich doch einen recht netten Abend. Meine Mutter machte sich ein wenig über die ihrer Meinung viel zu laschen Schockmomente, und ich mich über das schlechte Schauspiel lustig.

Frank war zwar ein wenig angepisst, musste aber dennoch lachen.

Ich zuckte zusammen, als ein Schuss durch die deutsche Kleinstadt, die natürlich der Spielort war, peitschte, zuckte ich zusammen. Meine Mutter schob sich seelenruhig einen Linsenchip in die Fressluke: „Angsthase"

„Du bist der Grund, warum ich auf der Arbeit nie Angst habe. Du bist viel gruseliger", meinte Frank.

Ein lautes Lachen brach aus mir heraus. Es kam selten vor, dass er wirklich mal was lustiges sagte, aber wenn, dann schmiss ich mich meistens wirklich weg.

Meine Mutter tat empört.

„Der war gut, alter Mann", lachte ich.

Eine Haustürklingel.

„War das unsere?", fragte meine Mutter.

Ich brummte nur. Das war der Film.

Es klingelte wieder.

Oder? Immerhin standen die im Film grade auf nem Feld. Da war eine Klingel naja... unwahrscheinlich.

„Stehst du kurz auf?", fragte meine Mutter.

Ich stöhnte genervt.

„Komm schon", versuchte Frank mich zu überreden.

„Ich will nicht", beschwerte ich mich „Wer klingelt überhaupt noch so spät?"

Meine Mutter meckerte: „Mila, los jetzt"

Immernoch genervt schlurfte ich los. Die Hände in den tiefen Taschen der Jogginghose, die ich mir von Luise geliehen hatte.
Wer auch immer das jetzt war, konnte sich auf eine Standpauke gefasst machen.

Und wessen Umrisse konnte ich da im Milchglas erkennen?

Luise. Wenn sie mich jetzt wieder zu irgendeiner Dorfattraktion verschleppen wollte, würde das bei aller Liebe nicht gut ausgehen. Konnten mir diese Dorfmenschen nicht einen Abend Ruhe gönnen?

Schnell riss ich die Tür auf und wollte schon zu einem blöden Kommentar ansetzen, doch ich blieb mit offenem Mund stehen.

„Kann ich... kann ich heute bei dir schlafen?"



....
Ich gebs ja zu: Es ist ein bisschen fies. Seht es als Vorgeschmack für das Kapitel am Wochenende :)

Von heteronormativer Hölle und einem Ziegenmädchen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt