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Hannes lenkte den kleinen Wagen auf einen großen Hof inmitten einiger Felder mit hohen Pflanzen. Rund um den gepflasterten Platz in der Mitte standen Schuppen, Scheunen, Container und ein Wohnhaus.
Kaum hatten wir auf dem Hof gehalten, kam auch schon ein kleines Mädchen mit einem tapsigen Welpen, den sie an einem dünnen Band führte auf uns zugelaufen. Der Hund war jetzt schon größer als Quinn, was wohl bedeutete, dass er, wenn er ausgewachsen war ein echter Karvenzmann werden würde.
„Hallo Luuu!", rief sie uns entgegen. Kaum waren wir ausgestiegen, schnupperte auch schon der Welpe an uns herum.
Alle begrüßten das kleine Mädchen mit dem Namen Imke und fragten, wo ihr Bruder sei. Sie zeigte nur auf einen mittelgroßen Schuppen und zog den armen Welpen dann weiter. Ich wusste noch, dass ich mit Quinnie, als ich sie bekommen hatte, nur ein paar Minuten am Stück laufen sollte, wegen ihrem Wachstum und so. Ob es nun so gesund war, dass das Mädchen ihn so mit sich rumzog?
Hannes klatschte in die Hände und meinte: „Dann seid ihr ja sicher, auch wenn ich glaube, dass McEmo hier, Friedhelm auch fernhalten würde"
„Wie bitte?", fragte ich empört.
Hannes lachte: „Nehm nicht immer alles so ernst!" und stieg dann wieder in sein kleines Auto ein.
Anni schüttelte den Kopf: „Wenn er nur halb so witzig wäre, wie er denkt, dass er ist, dann wär er doppelt so witzig"
„Hä?", fragte ich.
„Ja, das war dann schon wieder zu schnell für dein Stadthirn, wa?", meinte die Braunhaarige frech und stiefelte direkt auf den Schuppen zu. Luise lachte, nahm mich am Handgelenk und zog mich mit sich.
Höflich klopfte sie an das Holztor und trat dann direkt ein. Plötzlich schien Anni eher die Schüchterne von beiden zu sein, während Luise vorging. Sonst war die Jüngere ja immer eher die Selbstbewusstere.
„Tobi?", rief Luise laut in den großen vollgestellten Raum rein. Überall auf dem Sandboden, der teilweise noch mit Stroh bedeckt war, standen Körbe und Kisten mit Metallschrott und verrosteten Werkzeugen.
„Hier!", kam es aus einer Ecke hinter einem Stapel Holzpaletten.
Die Rothaarige setzte sich in Bewegung und wir folgten ihr.
Schließlich kam ein Quad ohne Räder zum Vorschein, das auf einer Art improvisierten Hebebühne stand. Von Menschen weiterhin keine Spur... wie überall in diesen Käffern. Viel Krams und Müll, aber kein intelligentes Leben weit und breit.
Plötzlich schob sich zwischen einigen großen Platten ein Teenager hindurch. Vielleicht ein oder zwei Jahre älter als Luise und ich, relativ groß und breit, mit dunklen Haaren und kantigen Gesichtszügen. So ein Typ, der Nachts neben seinem Motorrad vor dem Club steht und Mädchen hinterherpfeift... eigentlich. Über dem dreckigen grauen T-Shirt trug er eine dieser ekelhaften blauen Latzhosen... was für ein Klischee und noch einmal wieder der Beweis dafür, dass etwas wie Modegeschmack den Weg noch nicht hierher gefunden hatte... aber ganz ehrlich, wer WOLLTE denn auch schon den Weg hierher finden?
Aber mal ganz was anderes: Bei dem Typen schlug mein Gaydar aus. Zumindest ein bisschen. Liegt vielleicht auch dran, dass ich persönlich mir nichts mit Typen vorstellen kann und darum alle gut aussehenden Kerle miteinander shippe. Aber irgendwie kam bei mir da so ein Vibe an.
„Oh, hey Lu, Anni... wer auch immer du bist", meinte er etwas verwirrt „Was macht ihr denn hier?"
Luise antwortete: „Also das ist Mila. Sie ist grad erst nach Ferse gezogen"
Tobi grinste: „Ja so sieht sie aus"
„Alter, warum sagt ihr das alle?", fragte ich etwas zickig. Was war nur deren Problem? Ich sah halt nicht exakt so aus wie sie. Das war doch nichts schlimmes! Verdammte heteronormative Hölle!
Tobi grinste nochmehr und sagte: „Beruhig dich. War doch nicht bös gemeint... wenn dann nur ein kleines Bisschen"
„Warum könnt ihr blöden Kerle nicht ein Mal nett sein?", fragte Luise, lachte aber auch während sie den Kopf schüttelte.
„Wer denn noch?", fragte Tobi.
Nun meldete auch Anni sich zu Wort: „Ja denk mal nach. So viele Jungs in unserem Alter gibts in Ferse ja nicht"
Der Junge sah sich kurz um und fragte dann: „Wollt ihr ein Bier? Oder Cola-Korn?"
Meine Frage, ob es nicht vielleicht ein wenig zu früh für Alkohol war, wurde gekonnt weggelacht und so saß ich kaum eine Minute später mit einem lauwarmen Bier in der Hand neben Luise auf einer wackligen Holzbank, während Anni es sich auf einem Campingstuhl bequem gemacht hatte und Tobi auf zwei übereinandergestapelten Bierkisten hockte. Und das alles, obwohl ich gar kein Bier mochte. Es war mir zu bitter. Ich trank lieber mal Cocktails oder Sekt. Da schmeckte man den Alkohol nicht so raus.
„Habt ihr schon den neuen Traktor von Meyers gesehen? Hab gehört der soll voll geil sein", fragte der Dunkelhaarige in die Runde. Mein Gott. Normale Leute unterhielten sich über Stars, Partys und von mir aus auch das Wetter und hier? Ja genau Trecker! Verdammte Trecker!
Während die drei sich angeregt über einen Motorkoloss austauschten überlegte ich, wie ich unauffällig mein Bier loswerden konnte, ohne unhöflich zu sein. Ich entschied mich heimlich ein wenig auf den sowieso schon dreckigen Boden zu kippen.
„Ähhm, du Tobi?", fragte Luise dann, als sie den Trecker ausreichend besprochen hatten.
Tobi, der sich grade eine Kippe anzündete, nickte auffordernd.
Luise strich sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht und fragte unsicher: „Du kennst dich ja gut mit Motorrädern und so, oder?"
Der Junge nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette: „Joa, warum?"
„Also ich hab ja jetzt meinen Führerschein und mein Onkel hat halt so ne alte Maschine und ich wollte fragen, ob du mir vielleicht helfen kannst, sie wieder flott zu machen", ratterte sie schnell runter. Ich fragte mich, ob sie auf ihn stand. Ich meine, er war ein attraktiver Typ und sie ein wunderhübsches Mädchen, auch wenn SIE das nicht unbedingt zeigte und ER mein Gaydar zum ausschlagen brachte. War er vielleicht bi? Zumindest so ein bisschen? Und Lu?
Warum mich das interessierte? Keine Ahnung.
„Weißt du was das für ne Maschine ist?", fragte Tobi.
Luise überlegte kurz und biss dabei kurz auf ihrer Lippe herum, dann: „Yamaha XT... 600 oder so ähnlich?"
Da zeigte der Dunkelhaarige endlich wirkliches Interesse: „Echt, mega geil. welches Baujahr denn? Ist ne Legende. Ich liebe die unnormal. Yamaha an sich ist sowieso der Hammer..."
Während der also einen ewigen proletischen Monolog über irgendwelche Dreckschleudern hielt, grinste Luise mich triumphierend an. Das kleine Biest wusste ganz genau, wie sie den Kerl dazu brachte ihr zu helfen.
Ich schüttelte grinsend den Kopf. Luise streckte mir frech die Zunge raus und wandte sich wieder Tobi zu.
„Also machst dus?", unterbrach sie ihn schließlich. Der Junge nickte und zwinkerte ihr zu. Urgs.
Damit war das Thema beendet. Tiefe war in den Gesprächen wohl eher weniger zu erwarten.
Er wandte sich mir zu: „Und wie hats dich zu uns verschlagen?"
„Meine Eltern meinten, dass es auf dem Land so viel schöner ist, weil sie irgendwie auf nem Ökotrip sind und naja, jetzt sind wir hier", erklärte ich augenverdrehend.
Anni lachte: „Wir sind sowas wie ihr persönliches Gulag!"
Tobi lachte und prostete mir zu. Gezwungen grinsend trank ich einen winzigen Schluck, der meine Zunge zum kräuseln brachte. Als Anni und er sich dann kurz unterhielten, streckte Luise mir schnell ihre Flasche entgegen. Was zum-? Sollte ich jetzt noch mehr trinken?
„Nimm schon!", meinte sie grinsend. Ich fragte mich zwar immernoch was der Mist sollte, doch als sie mir dann meine Flasche aus der Hand nahm verstand ich es. Ihre Flasche war leer und jetzt sah es so aus, als ob ich ausgetrunken hatte. Ahhhhh. Was mich aber nur zur Frage brachte, was für einen Zug dieses Mädchen bitte drauf hatte. Das war doch echt nicht normal! Alles nicht!

Von heteronormativer Hölle und einem Ziegenmädchen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt