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„Alter, lass das!", meckerte ich Manu grinsend an, während er weiter Nudeln von seinem Teller direkt in Quinnies Maul fallen ließ „Die wird fett!"

„So wie du?", fragte er böse grinsend.

Ich durchbohrte ihn mit einem Killerblick vom Feinsten.

Arschloch.

Er warf Quinn provozierend langsam noch eine Nudel zu.

Schwanzwedelnd stürzte die kleine Hündin sich auf das Essen und schleckte schließlich auch noch gierig den kleinen Saucenfleck vom Boden. Immerhin musste ich das jetzt nicht auch noch aufwischen.

„Noch eine Nudel und ich ruf deine Mutter an und sag ihr, dass du damals ihrem Ex in die Sportschuhe gepinkelt hast!", drohte ich und erhob drohend den Finger.

„Das wagst du nicht", mahnte er und versuchte mir mein Handy, das ich inzwischen rausgeholt hatte, wegzunehmen.

„Haha!", meinte ich, stieg auf meinen Stuhl, damit Manu nicht an mich rankam und suchte den Kontakt seiner Mutter raus „Das glaubst du wohl"

Verzweifelt versuchte mein bester Freund mich vom Stuhl zu schubsen und meckerte: „Du hinterhältige Schlange"

Er griff um meine Beine und hob mich komplett hoch, nur um mich direkt fallen zu lassen und das Handy aus meinen Fingern zu winden.

„Gib. Das. Scheiß. Ding. Her!", forderte er und ruckte immer wieder am Gerät.

„Vergiss es!", keifte ich und versuchte ihn abzudrängen, während ich meinen Ellenbogen in seine Rippen rammte.

Während wir uns keilten, öffnete sich die Haustür.

Frank.

Er blieb kurz im Türrahmen zur Küche stehen, sah uns beiden in unserer Prügelei seltsam an und meinte: „Wir müssen bald los"

Dann verschwand er verstört wieder.

„Dann verschone ich dich vorerst", meinte ich großzügig, während Manu mir den Mittelfinger zeigte.

Mum war schon wieder arbeiten, während Manu und ich immernoch bei uns zuhause rumgammelten... wie schon die letzten Tage.

„Musst du wirklich schon wieder zurück?", fragte ich genervt. Gefühlt war Manu gerade erst angekommen (was wohl auch dran lag, dass wir uns erstmal eine halbe Ewigkeit von der Zeltfete erholen mussten) und heute musste er schon wieder los.

Gestern war Lu noch kurz da gewesen, die ihren Kater schon lange auskuriert zu haben schien und hatte auf dem Abend noch einen Film mit uns geschaut - nur gestört von den anzüglichen Blicken seitens meines ach so tollen besten Freundes.

Seitdem ich ihm von der Sache zwischen Lu und mir erzählt hatte, stichelte er durchgehend.

„Ja, ich muss zufällig arbeiten, während du unschuldige Mädchen vom Dorf in deine Hexenhütte lockst"
Ja, solche Sticheleien eben.

Ich schnaubte: „Du und deine blöde Ausbildung"

„Ich verdien Geld, Bitch", murrte er vorwurfsvoll.

„Mimimimimi", äffte ich ihn pissig nach.

Für mein Gefühl hatte ich viel zu wenig Zeit mit Manu. Seitdem wir im selben Haus gelebt hatten, hatten wir uns beinahe jeden Tag gesehen und wenn es nur für ein paar Minuten im Flur war, aber jetzt hatte ich definitiv Manu-Entzug.

Ich brauchte jemanden, der mit mir Scheiße baute, jemanden, der meinen großen Bruder spielte und zur Not auch um drei Uhr nachts noch mit mir loszog, um Carlos Gras auf dem nächsten Spielplatz zu rauchen, um irgendwelche gestörten Beziehungen zu überwinden.

Ich vermisste einfach meinen Manu.

„Komm doch bevor Schule wieder losgeht nochmal vorbei. Dann kannst du bei uns pennen. Meine Mutter hat da bestimmt kein Problem mit", bot Manu tröstend an.

Ich nickte.

Manu sah auf die Uhr, stellte fest, dass sein Zug bald fuhr und wir machten uns daran, seine überall in meinem Zimmer verstreuten Sachen zusammenzuklauben.

„Alter, wie viel hast du denn bitte mit?", maulte ich ihn an.

„Zweifellos zu viel", gab Manu zu, als Frank auch schon durchs Haus brüllte, dass wir uns beeilen sollten, wenn Manu seinen Zug nicht verpassen sollte.

Während wir die Treppe runtereilten, schloss er seinen vollgestopften Rucksack und mit offenen Schnürsenkeln hetzten wir ins schon laufende Auto.

Sofort fuhr Frank los.

„Dass ihr beide immer alles auf den letzten Drücker machen müsst!", beschwerte er sich ärgerlich.

Schlaumeierisch meinte ich: „Wir müssen ja ein wenig Spannung in unser Leben bringen"

Frank lachte nur: „Na dann Chef"

So nannte er mich schon seitdem wir uns kannten. Von Anfang an war ich „Chef".

Mum hatte mich einige Wochen lang immer öfter am Abend bei Manu und seiner Mutter untergebracht, bis sie schließlich mit mir ins Eiscafe ging und erzählte, dass sie einen Mann kennengelernt hatte. Zehn Minuten später stieß Frank dann zu uns und stellte sich vor.

Als er mich dann vorsichtig fragte, ob ich noch ein Eis wollte und ich direkt wusste, was ich wollte meinte er: „Zu Befehl, Chef!"
Seitdem hatte ich einen eigenen Spitznamen.

Irgendwann hatte er mir mal erzählt, dass er sehr überrascht davon gewesen war, wie selbstbewusst ich schon früher gewesen war. Er hatte mit einem schüchternen, immernoch ihrem Vater hinterhertrauernden Kind gerechnet, aber nunja, das war ich nicht. Ich hatte schon immer gewusst, was ich wollte... irgendwie.

Jetzt war Frank eigentlich mehr mein Vater als mein Erzeuger es jemals gewesen war. Immerhin war er immer da, wenn ich Hilfe brauchte und hatte mir allein in der siebten Klasse mehr beim Lernen geholfen, als es mein leiblicher Vater jemals weder gekonnt noch getan hätte.

Er hatte auch ab und zu meine vorpubertären Ausbrüche ruhig ertragen.

Als wir vor der kleinen abgewrackten Bahnstation anhielten, meinte Frank: „Ich warte hier, ja?"

Ich nickte, bevor Manu und ich aus dem Auto sprangen.

Der Zug war zum Glück noch nicht da.

Pff, von wegen auf den letzten Drücker...

„Welches Gleis?", fragte ich.

Manu sah auf seinen Fahrschein: „Zwei"

Wow, oh Wunder, es gab nur zwei Gleise.

Im kleinen Unterstand am Bahnsteig angekommen, boxte Manu mir freundschaftlich gegen die Schulter: „Verzweifel nicht im Kaff. So schlimm ist garnicht... wenn man mal von Gestank und den alten Menschen absieht. Kannst dich ja mit deinem Ziegenmädchen trösten"

Ich sah ihn genervt an: „Ernst jetzt?"

„Jetzt mal ganz ehrlich. Wenn du was von ihr willst , go for it. Alle deine Ex-Freundinnen waren echt maximal psycho, aber Lu ist einfach nur nice. Außerdem steht die auch aufs härteste auf dich"

„Manu!", mahnte ich.

Er zuckte mit den Achseln: „Glaubs mir oder nicht, aber ich hab Ahnung"

Ich verdrehte die Augen. Mister Allwissend und so.

In der Ferne der Pampa rollte ein Zug heran.

„Na dann, komm mal vorbei. Ist echt langweilig ohne dich in Köln", meinte Manu und umarmte mich fest.

Ich nickte: „Es wäre enttäuschend, wenn es anders wäre"

„Alter, dein Ego ist einfach zu groß für dieses Kaff", meinte Manu und hob seinen Rucksack auf.

„Look at me, ich bin halt auch einfach zu krass für diese Welt", sagte ich übertrieben stolz und warf dramatisch meine Haare über die Schulter.

Manu schnaubte.

Bevor er in den Zug sprang, drückten wir uns noch einmal fest und dann war er weg.

Schon wieder.

Von heteronormativer Hölle und einem Ziegenmädchen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt