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„Boar, ne nä", beschwerte ich mich, als der erste dicke Regentropfen auf meinen Kopf fiel. Ich streckte eine Hand aus, um nach weiteren Tropfen zu schauen.

„Was denn?", fragte die Blonde neben mir und noch während sie das sagte, fing es an wie aus Eimern zu schütten. Na super.
Anni und Lu hatten mir zwar vorausgesagt, dass es bald regnen würde (woher sie das wussten, war mir immernoch rätselhaft, weil im Wetterbericht kein Sterbenswörtchen gesagt wurde), aber ich hatte gehofft noch vorher zu Hause zu sein.

Ich verschränkte die Arme über dem Kopf, um nicht so nass zu werden, während Luise nur wie immer wild lachte, die Arme ausstreckte und sich jauchzend im Kreis drehte.

Während ich noch bereute, dass ich mitgekommen war, um Anni nach Hause zu bringen, drehte Luise sich wie immer barfuß immer schneller auf der Stelle.

Ihre langen rötlichen Haare flogen in nassen Strähnen um ihren Kopf herum und auch die zerschlissene Jeansjacke war vollkommen durchnässt, aber das schien sie alles nicht im geringsten zu stören.

Sie warf den Kopf in den Nacken und ließ das Wasser in ihren Mund regnen.

Vorsichtig sah ich unter meinen Armen hervor.

Lu lachte schon wieder - oder noch immer - wer wusste das schon. Sie war immer so fröhlich und versuchte in allem das Gute zu sehen. Und damit meine ich wirklich ALLEM. Absolut anstrengend. Optimismus war für mich eine der Todsünden.

„Komm!", rief Luise und zog einen Arm von meinem Kopf „Nass wirst du sowieso"

Das stimmte wohl. Ich war eh schon komplett durchnässt.

Ich ließ mich von ihr herumwirbeln und musste zugeben, dass es irgendwie Spaß machte wie ein kleines Kind durch den Regen zu tanzen.

Es war einfach diese kindliche Freude, die Luise ausmachte. Sie kümmerte sich nicht darum, was andere von ihr dachten oder über sie sagten. Wenn sie Lust hatte, barfuß im Regen zu tanzen, dann tat sie das einfach. So wie jetzt.

Breit grinsend fragte sie: „Willst du sonst erstmal mit zu mir? Dann musst du nicht durch den Regen ganz nach Großen laufen"

„Klar", meinte ich. Ich hatte wirklich kein Interesse daran noch alleine durch den Regen nach Hause zu gehen.

„Super! Wer als erstes bei mir ist?", fragte sie herausfordernd.

Ich lachte: „Aber sowasvon!"

Sofort sprinteten wir beide los. Es waren nur noch ein paar hundert Meter bis zum Hof ihrer Familie.

In den letzten beiden Wochen war ich wahrscheinlich so viel gerannt, wie noch nie zuvor im meinem Leben. Ich war auch noch nie so oft und so lange draußen. Sonst war ich immer eher drinne oder bei irgendwelchen Freunden.

Erst hatte ich die Nase vorne und Luise lief ein paar Meter hinter mir, doch als mir langsam die Puste ausging, zog die an mir vorbei. Ihre Ausdauer hätte ich gerne. Ungefähr zwanzig Meter vor dem Ziel gab ich auf und ging schwer atmend den Rest der Stecke, während Lu bis zum bitteren Ende durchzog. Ebenfalls völlig außer Atem blieb sie vor dem Haus stehen.

Während ich langsamer zu ihr aufschloss, wurde mir kalt. Auch wenn der Tag eigentlich warm gewesen war, kühlte der Regen die Luft doch ganz schön ab.

„Ich glaub, wir haben sogar Kakao da", verkündete Lu und ich sah, dass auch sie fröstelte.

„Super", meinte ich und folgte ihr schnell ins Haus.

Wir kamen in einen kleinen Vorraum, der vollgestopft mit allen möglichen Jacken, Regen- und Schneehosen, Handschuhen und Schuhen war. Schnell zog ich mir die Schuhe aus und Lu warf ihre  Jeansjacke über einen Haken, an dem schon ein paar andere Kleidungsstücke baumelten.

Von heteronormativer Hölle und einem Ziegenmädchen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt