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„Du und besonders dein pubertäres Ego können nichts dran ändern! Wir werden umziehen!"

„Ich und mein pubertäres Ego machen gar nichts! Ich werd doch nicht in so ein verschissenes Kackdorf ziehen, nur weil ihr so langsam zu Öko-Hippies mutiert!", brüllte ich meine Mutter und meinen Stiefvater an.

„Die Entscheidung ist schon gefallen. Du kommst mit uns!", meinte mein Stiefvater streng, aber noch lange nicht so laut wie meine Mutter.

„Einen Scheiß werd ich! Zieht doch alleine nach Inzestonien!"

„Mila, du bist erst sechzehn! Natürlich kommst du mit uns mit!", rief meine Mutter wütend.

„Und was dann? Soll ich Ziegen hüten oder was?!", empörte ich mich verzweifelt.

Nur weil die Beiden der Meinung waren, dass ein Leben auf dem Land das beste für unsere Familie wäre und doch ach so gesünder und sicherer, hieß das noch lange nicht, dass ich das auch gut fand. Vor allem auch noch so weit weg von Köln? Beinahe am anderen Ende von Deutschland! Was hatten die sich nur dabei gedacht?

„Mila!", unterbrach meine Mutter mich scharf „Keine Widerrede! Du kommst mit uns"

Trotzig starrte ich die beiden an. Meine Mutter in ihrer Arbeitskleidung -einem blauen T-Shirt unter dem sie ein weißes langärmliges Shirt anhatte und der weißen Hose- und mein Stiefvater in Jogginghose und einem verwaschenen NO MA'AM Shirt.

Die Krankenschwester und der Polizist. Ein absolutes Klischeepärchen. Die beiden hatten sich vor vier Jahren kennengelernt, als er fast von einem Junkie abgestochen wurde und dann im Krankenhaus lag. Eine sehr romantische Geschichte, ob man es nun glauben mochte oder nicht - nur leider bekam ich allein schon beim Gedanken an Romantik das Kotzen. Zu Beginn hatte ich ihn nicht sonderlich gemocht, weil ich es inzwischen irgendwie gewohnt war Mamas komplette Aufmerksamkeit für mich zu haben, aber mit der Zeit war er mir schon ans Herz gewachsen - wenn man mal davon absah, dass sie mich nun in so ein Rentnerparadies verschleppen wollten.

Naja, jedenfalls entschlossen sich die Beiden dann vor zwei Jahren zu heiraten.

„Ich schwör euch, in spätestens ein einhalb Jahren geh ich wieder zurück nach Hause", zischte ich böse und rannte in mein Zimmer, um die Tür so laut es ging zuzuknallen.

Was dachen die sich nur dabei?!

Ich ließ mich an der geschlossenen Tür runterrutschen und saß schlussendlich wütend, aufgebracht und traurig zugleich auf dem Boden.

Ich hätte gerne Manu, meinem besten Freund geschrieben, aber mein Handy lag noch auf dem Küchentisch - direkt neben meinen Eltern. Ich wollte mir nicht die Blöße geben und nochmal zu ihnen zurückgehen.

Aus der Küche, die direkt auf der anderen Seite des Flurs lag, hörte ich Frank reden: „Denkst du wirklich, dass es richtig ist sie dazu zu zwingen?"

Nein, war es DEFINITIV nicht - schon aus rein pädagogischen Gründen.

„Vielleicht wird sie dann ja etwas bodenständiger und weniger melodramatisch", meinte meine Mutter mit einem Hauch Sarkasmus in der Stimme.

Ich war doch nicht melodramatisch. Die Welt war halt einfach abgefuckt und das zu leugnen wäre eine reine Lüge. Nicht melodramatisch, einfach nur realistisch.

„Ich meine, ich will sie jetzt nicht angreifen oder schlecht über sie reden, aber ich glaube nicht, dass sie da besonders viele Freunde finden wird"

Ja, das, mein lieber Freund, hast du ja richtig schnell kapiert!

Ich sah in die Spiegeltür meines Schrankes, der gegenüber der Tür stand. Die schulterlangen eigentlich rötlich-braunen, aber im Moment schwarz gefärbten Locken flogen wild um meinen Kopf herum. Allgemein sah ich grade so aus, als hätte ich eine wilde Saufnacht hinter mir. Das Septum, von dem mein Großvater immer sagte, dass es aussah wie das, was die Kühe in der Nase hatten hing etwas schief und meine Augen waren an den Rändern rot und die Wimperntusche verschmiert.

Das lag vielleicht ein wenig daran, dass ich wirklich gestern mit Manu den ein oder anderen Drink gehoben hatte, aber naja...

Ich konnte mir jedenfalls gut vorstellen, was Frank damit meinte. Ich war nicht unbedingt das, was man sich unter einem unschuldigen Mädchen vom Dorf vorstellte.

Die warteten bestimmt alle auf den perfekten Prinzen und hatten eh keinen Sex vor der Ehe. Alles nicht so unbedingt mein Ding. Vor allem, weil die dort wahrscheinlich als Stammbaum eine grade Linie hatten und darum auch noch potthässlich waren.

„Ich versteh was du meinst. Vielleicht lernt sie ja sich anzupassen"

Ich grinste leise in mich rein. Davon konnte sie aber noch lange träumen. Ich war in Köln aufgewachsen. Eine der vielleicht tolerantesten und offensten Städte überhaupt. Bevor ich mich anpasste, würde Ellen DeGeneres - oder ich - hetero werden.

Ich sah mich in meinem Zimmer um.

Quinn lag in ihrem Körbchen und schlief. Die kleine bunt gefleckte Mischlingshündin gehörte seit einem Jahr zur Familie. Sie hatte ein schwarzes und ein braunes Ohr und da ich grade voll auf Comics und so abfuhr, naja... Harley Quinn war und blieb meine Queen.

Verstreut auf dem dunkelroten Teppich lagen diverse Shirts, Hosen und BHs. Zu meiner rechten stand ein einfaches Holzbett, das komplett mit Kuscheltieren, Kissen und anderem Krimskrams bedeckt war. Wie man vielleicht merken konnte, war Ordnung nicht unbedingt meine Stärke.
Aber da eh kaum jemand, außer Manu zu Besuch kam, war mir das relativ egal.

Als Manu und ich uns kennenlernten, hatte mein Vater uns grade verlassen und wir waren in die Wohnung über Manu und seiner Mutter gezogen. Irgendwann hatten wir uns dann im Treppenhaus getroffen und er hatte mir die Gegend gezeigt. Wir verbrachten so viel Zeit beieinander, dass wir die Wohnung des jeweils anderen fast genauso gut kannten, wie die eigene.

Erst hatten unsere Mütter noch gescherzt, dass wir irgendwann ein Paar werden würden, aber das hatte sich dann auch relativ schnell wieder erledigt.

Anfang dieses Jahres hatten wir schon das achte Freundschaftsjubiläum gefeiert und jetzt sollte ich hier weg?

Weg von all meinen Freunden, weg von meiner Schule, weg von allem was ich kannte. Toll gemacht Mama! Wirklich ganz toll! Ich hatte das dringende Bedürfnis, Mamas heiß geliebte Kräuter vom Balkon zu schmeißen.

Von heteronormativer Hölle und einem Ziegenmädchen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt