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„Viel Spaß euch beiden. Ruft bitte an, wenn ihr morgen früh aufsteht, dann weiß ich wenigstens, dass ihr die erste Nacht im Zelt überlebt habt", meinte Mutter zwinkerte uns freundlich zu und winkte uns zum Abschied, als wir unsere Sachen aus dem Auto geholt hatten. Nein sie wusste nicht, dass es nicht nur ums Zelten ging, aber ich wollte nicht noch eine Predigt über Alkohol und verantwortungsvollen Umgang mit ihm anhören.
Das Zeltlager, in dem auch die Zeltfete stattfinden sollte, lag auf einer großen Wiese nahe dem Hof von Annis Familie. Direkt zwischen Ostferse und Fichtelshof.
Es war erst Nachmittag und doch standen schon die ersten Zelte. Mit Anni hatten wir abgeklärt, dass sie noch eins von Zuhause mitbrachte, damit Manu und ich auch eins hätten.
Bei einigen Bäumen, die die Wiese vom nächsten Feld abrennten, standen ein paar Dixiklos. Wow, Hygiene wurde hier wohl auch mit nö geschrieben.
„Alter, ich fühl mich wie in der Steinzeit", bemerkte mein bester Freund leise.
„Willkommen in meiner neuen Heimat", meinte ich trocken und schulterte meinen Rucksack und den Schlafsack.
Schon von weitem sah ich die rote Haare, die fröhlich durch die Gegend wippten, während ihre Besitzerin grade mit Kim rumalberte. Wie auch beim letzten Mal trug Kim einen weiten schwarzen Hoodie, nur dass diesmal die Haare deutlich ordentlicher wirkten, als bei unserem letzten Treffen.
Apropos letztes Treffen: Hatte Lu sich wieder normalisiert oder würde sie wieder völlig unbegründet einen Nervenzusammenbruch bekommen? Ich fragte mich übrigens immernoch, was sie so außer Fassung gebracht hatte. War es Manu? Hatte sie sich unsterblich verliebt? Oh man, das wäre echt... was eigentlich? Konnte mir doch egal sein was die Heteros machten. Pff...
Ich ging zu den beiden und Manu folgte mir.
„Hey", sagte ich und tippte Lu auf die Schulter.
Sie erschrak kurz und rief dann auch laut: „Heyyyy"
Ihre Laune war mal wieder so gut, dass es mir einfach unverständlich war. Wie? Einfach nur wie?
Ein dunkles „Moin", war alles was Kim herausbrachte.
„Also, das sind Luise und Kim", erklärte ich Manu „Leute, das ist Manu", stellte ich ihn dann vor.
„Hallo Ziegenmädchen", meinte mein ach so wundervoller bester Freund breit grinsend, was mich direkt rot anlaufen ließ. Das hatte er jetzt nicht ernsthaft gesagt, oder? Luise blinzelte kurz, ehe sie mich mit einem verwirrten Lächeln fragend ansah.
Manu grinste nur noch breiter: „Achso, so hat sie dich am Anfang immer genannt"
Ich lief noch einen Ton tiefer an und nuschelte: „Nur, als ich deinen Namen noch nicht kannte"
„Und noch zwei Wochen lang danach"
Irgendwo gab es hier doch bestimmt eine Kettensäge, mit der ich seinen Kopf fachgerecht vom Körper trennen konnte, oder?
Manu feixte, während Kim stumm grinsend zu Luise sah, die mit hochrotem Kopf den Boden anstarrte. Noch ein bisschen mehr rot und die Haut wäre dunkler als die Haare.
Schließlich fasste sie sich ein Herz und rief nur: „Ihr seid alle gemein. Kimi, komm schon! Wir sind Freunde, hilf mir!"
Fast schon verzweifelt schmollte sie Kim an.
„Ich mag Esel"
Applaus für diese Verteidigung. Kim = Profihelfer.
Dank Manu wurde die sich anbahnende unangenehme Stille abgewendet, indem er fragte: „Okay, und wie läuft das hier?"
Lu hatte sich auch wieder gefangen und erklärte freundlich wie immer: „Also erstmal bauen wir alles auf. Die Zelte alle in einem großen Kreis. Am Ende bauen wir in der Mitte alles andere auf, also Tische, den Grill und so weiter und wenn alles da ist, holen Hannes und die Jungs den Kram für die Feier und legt noch eine Kabeltrommel her. Und naja, dann mal sehen. Letztes Jahr war es total entspannt, da haben die Älteren nur ein wenig Bier getrunken und alle waren spätestens um eins im Bett, aber das Jahr davor musste Tobi mit ner Alkoholvergiftung ins Krankenhaus, also mal schauen, wie es heute wird. Aber eigentlich haben alle Lust richtig zu feiern"
Manu nickte zufrieden: „Saufen ist gut"
„Sympathisch, man kann sich unterhalten", kam es von hinter uns und breite Arme legten sich um mich und Luise.
Die schob den Jungen direkt weg und maulte lachend: „Alter, Hannes, wie kommts eigentlich, dass du jetzt schon felsendicht bist?"
„Kommt vom Alkohol, Süße", meinte der Braunhaarige trocken und drückte Lu eine Flasche Bier in die Hand und meinte fast schon mitleidig: „Haste nötiger als ich"
Lu taxierte ihn mit einem mahnenden Blick, den er allerdings nicht wirklich registrierte. Sie nervte diese Mitleidsnummer wohl echt.
Stattdessen rief er: „Ey, Kimi, wenn ichs nicht besser wüsste, hätt ich jetzt fast für nen Kerl gehalten!"
Ein kurzer Ausdruck von Stolz huschte über das Gesicht der doch recht kleinen Person, ehe sie möglichst um Neutralität bemüht mit den Achseln zuckte.
Nachdem Hannes wieder abgezogen war und auch Kim sich irgendwie verkrümelt hatte, blieben nur noch Luise, Manu und ich übrig.
„Wo ist Anni?", fragte ich.
Luise schnaubte: „Puh, die hatte so viel damit zu tun, Hannes zu helfen und ich war nicht sicher ob sie überhaupt noch kommt, weil wir uns gestern Abend noch gestritten haben und da hab ich mich mit Kim getroffen, weil ich versprochen hatte, die Haare noch ordentlich zu machen und eigentlich wollte Anni dann zu uns kommen, aber als sie gehört hat, dass Kimi da ist, wollte sie nicht mehr und dann meinte ich, dass sie nicht immer so rumzicken soll und da war sie beleidigt"
Oha, Stress bei Anni und Lu... das war ja mal außergewöhnlich.
„Und jetzt?", fragte ich.
„Jetzt hat Kim endlich mal nen Haarschnitt. Das sah ja grauenhaft aus vorher. Und weil ich meinem Bruder auch immer die Haare schneide, meinte ich zu Kim, dass ich das bei ihm...ihr auch machen kann, also ja. Anni beruhigt sich schon wieder"
Belustigt sah ich Luise an von der Seite an. Stur starrte sie nach vorne. Ihre Fröhlichkeit wirkte leicht getrübt. Versuchte sie grade Pronomenstruggles zu lösen?
Grinsend und wie immer völlig von jedem Feingefühl befreit fragte Manu: „Kim ist trans, oder?"
Kurze Panik huschte über Lus Gesicht und sie winkte uns zu sich ran.
„Ich hab Kim versprochen, das nicht weiterzusagen, also psst"
Süß, aber ich wusste es.
Manu grinste nur: „Ihr seid echt verklemmt hier"
„Ja und weil Hannes Kim sowieso schon immer aufzieht, müssen wir ihm nicht noch mehr Kanonenfutter geben", meinte die Rothaarige mahnend und sah mich zum ersten Mal richtig an.
Immernoch der Fleck am Kinn. Im Licht der Sonne, glänzten ihr hellen Haare und blendeten mich ein wenig.
Ich nickte ernsthaft: „Klar"
Auch Manu machte eine Geste, als ob er seinen Mund abschloss und das Schloss wegwarf.
Zufrieden lächelte Luise und meinte, dass wir unseren Kram einfach zu ihr ins Zelt schmeißen konnten, bis Anni mit unserem kam.
Manu hatte schnell gefallen daran gefunden, alle möglichen Leute anzuquatschen und solange mit seinem breiten Grinsen zu nerven, bis sie ihn entweder mochten oder abgrundtief hassten, sodass Lu und ich unsere Ruhe hatten und uns mit einer Flasche lauwarmer Limo ein wenig abseits von Zeltkreis ins frisch abgemähte Gras setzen konnten.
„Wegen was haben Anni und du euch eigentlich gestritten?", fragte ich vorsichtig.
Abwesend spielte sie an einem ausgerupften Grashalm rum. Die ausnahmsweise mal offenen Haare hingen ihr wie ein Vorhang im Gesicht. Ihre Fröhlichkeit von eben war wie ausgeschaltet, was mich zu der Frage brachte, ob sie vielleicht nur gespielt gewesen war. Es war wie ich es sagte: Niemand - nichtmal Mia-Luise Grevensehl - konnte immer gute Laune haben.
„Ach nichts", murmelte Lu „Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit"
Ich wartete noch auf eine genauere Ausführung, doch da kam nichts. Stattdessen meinte sie schnell: „Und ähm, Entschuldigung, dass ich dich und deinen Freund vorhin gestört hab"
„Bei was solltest du uns denn gestört haben?", fragte ich leicht belustigt und streckte die Beine aus, damit ich mit viel Glück vielleicht doch noch ein wenig Sommerbräune abbekommen könnte.
Schüchtern meinte Lu: „Naja, beim... äh rumknutschen?"
Ich verschluckte mich so doll, dass mir die Limo wieder aus der Nase schoss. Hustend und lachend versuchte ich wieder zu Atem zu kommen, während Lu mir auf den Rücken klopfte. Hatte sie wirklich gedacht, dass wir grade am Rummachen waren und war darum so schnell wieder verschwunden?
„Was ist denn so lustig?", fragte sie verärgert und klopfte weiter, als mir sie ersten Tränen aus den Augen tropften.
Mit den letzten Hustern schnaufte ich: „Du denkst, dass wir diese Art von Freunden sind?"
Während ich mir die Tränen aus den Augen wischte, nuschelte Lu: „Naja, ihr habt...-"
„Scheiße nein, Manu ist mein bester Freund, wir haben uns nur umarmt, weil wir uns so lange nicht gesehen haben", erklärte ich grinsend.
Durch den Haarvorhang konnte ich sehen, wie ein Lächeln über ihr Gesicht huschte: „Oh, das ist jetzt irgendwie peinlich"
Ich grinste. Warum interessierte sie das jetzt eigentlich?
„Und außerdem steh ich nichtmal auf Kerle", stellte ich nochmal klar.
Luise fummelte wieder an ihrem Grashalm herum und ich ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Meine Haare hatte ich zu einem hohen Zopf gebunden, damit ich zumindest auf einen Lufthauch im Nacken hoffen konnte.
„Also, was ich dich letztens schon fragen wollte...", setzte Luise schüchterner als sonst an.
Wegen der relativ langen Pause fragte ich: „Was wolltest du fragen?"
„Ich wollte fragen wie...-" „-Ey, Lu hier steckst du! Versuch nicht, dich zu verstecken!"
Anni, na super. Schon zum zweiten Mal! Erst Ben, jetzt Anni. Luises Frage würde wohl ewig ein Mysterium bleiben.
Ungebremst kam die Jüngere auf uns zugerast und warf sich neben Lu ins Gras. Ohne auch nur eine Sekunde zu warten, strich sie ihrer besten Freundin die Haare aus dem Gesicht und besah sich die mir abgewandte Seite mit dem Fleck. Sie nervte es wahrscheinlich genauso wie mich, dass dieses Mädchen nichtmal in der Lage war, einen Waschlappen ordnungsgemäß zu betätigen.
Stur weigerte sie sich Anni anzusehen, bis diese schnaubte und nur stumpf meinte: „Hurensohn"
Ich wollte schon den Mund zu einer wahrscheinlich sehr dummen Frage öffnen, als Lu auch schon nuschelte: „Jetzt tu nicht so, als hätte dein Vater noch nie zugelangt"
Meine Augen wurden groß vor Schreck. Konnte das...? Ich hoffte, dass ich es falsch verstanden hatte.
Anni hatte meinen Schreck wohl nicht bemerkt und konterte unbeirrt: „Ja, weil Hannes besoffen Auto gefahren ist und uns beinahe alle gegen einen Baum gesetzt hat und nicht weil mein Vater betrunken der Meinung war, dass irgendwer ne Schelle verdient hat"
Ich schluckte. Warum war mir das nicht früher aufgefallen? Das war kein Dreck oder Staub. Das war ein astreines Veilchen, das wahrscheinlich nur so unauffällig wirkte, weil Lu es schmierig versucht hatte abzudecken. War sie darum vorhin so aufgelöst gewesen?
Ich war sprachlos, als die beiden weiter diskutierten: „So betrunken war er garnicht"
„Luise! Das macht es doch nicht besser!"
„Und was soll ich bitte machen? Ihn fragen ob er aufhört?", maulte Luise verbittert. Sie hatte wohl echt keine Lust auf dieses Gespräch. Es hörte sich ein wenig so an, als ob sie das Thema schon viel zu oft durchgekaut hatten. Passierte das öfter? Hatte ich irgendwas übersehen? Hätte ich schon früher bemerken können, dass Lu von ihrem Vater geschlagen wurde? Sie wirkte immer so glücklich und unbeschwert, dass ich mir garnicht vorstellen konnte, dass ihr auch nur das geringste Übel widerfahren war.
„Zum Beispiel! Oder du fragst deinen Onkel, ob der mal mit ihm redet", schlug Anni verärgert vor. Sie war das Thema wohl genauso leid wie Luise selber.
Luise meinte leise: „Ich will nicht, dass da so eine große Sache draus wird"
Beide schwiegen angepisst.
„Passiert das denn öfter?", fragte ich vorsichtig. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich in dieser Frage ein Recht hatte, mitzureden. Immerhin kannten die beiden mich noch nicht so lange.
„Nein", sagte Luise.
„Ja", sagte Anni.
Wie immer einer Meinung.
Luise warf Anni einen giftigen Blick zu und sagte dann laut: „Ich will nicht drüber reden"
Damit stand sie auf und lief wieder zur Zeltstadt.
Genervt stöhnte Anni auf: „Die macht mich wahnsinnig!"
„Warum das denn?", fragte ich.
Anni schnaubte: „Weil sie ständig so tut, als wäre das nichts. Als wäre alles vollkommen in Ordnung, aber das ist es nicht! Und das sollte auch für sie nicht normal sein, aber sie tut trotzdem immer so als wäre sie unnormal glücklich"
„Also ist sie eigentlich garnicht glücklich?"
„Nein, also Ja, ich verstehs auch nicht. Sie lacht und hat Spaß, aber wie kann man glücklich sein, wenn das Zuhause so am Arsch ist? Ich glaub sie überspielt das einfach und verdrängt was sonst los ist", erklärte Anni bockig „Aber sie kann es nicht ewig nur verdrängen und ignorieren. Davon wirds nicht besser"
Ich verstand was sie meinte. Wenn man geschlagen wurde und dann auch noch von eigenen Vater, sollte man traurig sein, wütend oder enttäuscht. Es machte mich traurig, dass das für Luise wohl schon so normal war, dass es kein Grund für sie darstellte, um traurig zu sein.
Kurz hingen wir beide noch unseren eigenen Gedanken nach, ehe ich fragte: „Wollen wir zurück zu den anderen?"
Anni nickte und langsam schlenderten wir zurück.

Von heteronormativer Hölle und einem Ziegenmädchen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt