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Auf dem Seitenstreifen war es zwar etwas huckelig, aber dafür kamen wir ohne auszurutschen voran. Tobi und Kim hatten wir gefühlt kilometerweit hinter uns gelassen.

Als wir wieder auf einer asphaltierten Straße ankamen, legte Lu eine derartige Vollbremsung hin, dass ich mich wieder panisch an ihr festkrallen musste, um nicht unangenehme Bekanntschaft mit dem Boden zu machen.

Puh. Schwer atmend hielt ich mich noch ein paar weitere Sekunden an Lu fest, die ebenfalls pumpte, als wäre sie grade einen Marathon gelaufen.

Der Motor brummte leise und gefährlich vor sich hin.

Das Quad pflügte sich langsamer durch den mulligen Sand. Doch sobald es den Asphalt erreicht hatte schoss es wieder an uns vorbei.

„Blödmann", hörte ich Luise zischen, ehe sie wieder anfuhr und hinterher donnerte.

Oho, heute waren also die ganz schlimmen Schimpfworte an der Tagesordnung. Respekt, was kam als nächstes? Dummkopf? Ich musste sagen, ich hoffte, dass es mein schlechter Einfluss war, der Luise zu solchen Gräueltaten bewegte...

Auf festem Boden hatte Luises Moped keine Chance gegen das Quad, sodass wir erst aufholen konnten, als Tobi sich endlich dazu herabließ, auf uns zu warten.

In mäßigem Tempo rollten wir die Wege entlang und ich war mir ziemlich sicher, dass ich hier noch nie gewesen war. Sollten wir nicht rein theoretisch irgendwann in Fichtelshof rauskommen?

Als die geteerte Straße wieder einem Schotterweg gewichen war, hielten wir an. Um uns herum wucherten ein paar trockene Bäume. Das Licht kam nur an einzelnen Stellen durch die Baumkronen.

Ich tat es den anderen gleich und setzte meinen Helm ab.

Am Wegrand erkannte ich Hannes alte Schrottlaube, die halb im Gebüsch stand.

„Wollen wir an den See?", fragte Tobi.

„See?", fragte ich. Seit wann gab es hier einen See?

Lu lachte: „Weißt schon, so ein Loch im Boden mit Wasser drin"

Ich zog eine Augenbraue hoch: „Danke, das wusste ich auch. Und ich hab keine Badesachen mit"

Sie zuckte unbedarft mit den Achseln: „Ich auch nicht"

Kim murrte: „Och nö"

„Komm schon, Kimi", ermunterte Lu ihn.

Er zog eine Flunsch.

Tobi seufzte und bot an: „Wir können auch zu einer anderen Stelle, wenn du nicht Hannes begegnen willst"

Lu stimmte zu und Kims noch immer nicht begeistertes Gesicht wurde gekonnt ignoriert.

Wir setzten uns die Helme wieder auf und kaum hatte ich meine Arme wieder um Lus Bauch geschlungen, donnerte sie auch schon wieder los.

Das Quad folgte uns wenig später.

Vorsichtig folgten wir, als es in einen schmalen Waldweg einbog.

Der Weg - oder wohl eher der Pfad - war definitiv nicht für Fahrzeuge jeglicher Art konzipiert. Immer wieder mussten wir Ästen und Büschen ausweichen, die in die Fahrbahn ragten. Nur holpernd kamen wir über die vielen Baumwurzeln voran.

Als wir schließlich an einer kleinen Lichtung am Rande eines Sees ankamen, war ich mehr als nur durchgeschüttelt und ich war mir auch ziemlich sicher, dass der ganze Alkohol, den ich in meinem Leben getrunken hatte, weniger Gehirnzellen getötet hatte, als diese Motorradfahrt.

Mit wackeligen Beinen stieg ich ab und legte meinen Helm auf den Boden.

Ohne den Fahrwind wurde mir leider direkt wieder bewusst, wie warm es war. Ach was für ˋwarm'. Es herrschte eine unerträgliche Bullenhitze.

Ich fragte mich, wie Kim in dem dicken Pullover überlebte.

Lu schleuderte sofort ihre staubigen Turnschuhe hinter die nächste Wurzel und rannte barfuß ans Ufer.

Langsamer folgte ich ihr und sah mir den See an.

Es war mehr ein Tümpel als irgendwas anderes. An den Ufern wucherten Bäume und ließen nur wenige Stellen frei, in denen man an das nicht wirklich klare Wasser herankam. Auf der anderen Seite konnte man Menschen wie Ameisen an den kleinen Buchten hin und her rennen sehen.

Wahrscheinlich waren dort Hannes und vielleicht auch Anni.

War doch ganz gut, dass wir hierher gefahren waren. Ich hatte keine Lust auf die eisigen Temperaturen zwischen Anni und Lu. Letztere versuchte möglichst die Jüngere zu ignorieren, während die immer nur stur in eine andere Richtung starrte und sich möglichst schnell verkrümelte.

Es war anstrengend.

Beide mochten nicht, dass es so war, aber naja... sie waren auch beide zu stolz um den ersten Schritt zu machen.

Träge setzte ich mich auf den harten Boden und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Meine Hoffnung, nach dem Sommer nicht mehr auszusehen, wie ein Käse mach fünf Jahren Crack, war noch nicht gestorben - ganz im Gegensatz zu meinem Glauben an die Menschheit oder gar menschliche Intelligenz.

Kim setzte sich wortlos neben mich und zog sich umständlich den Pulli über den Kopf.

Oh man, dieser Junge war echt nicht mehr normal. Er hatte unter dem viel zu dicken Pullover auch noch ein T-Shirt an. Warum hatte er noch keinen Hitzschlag bekommen?

„Ist dir nicht warm?", fragte ich interessiert.

Er zuckte ungerührt mit den Achseln: „Ein wenig"

Ein Schnauben ertönte hinter uns: „Ich glaubs ja nicht. Wir fahren an den See und ihr geht nichtmal in die Nähe des Wassers"

„Ja, weils nass ist", begründete Kim.

Das war meiner Meinung nach eine sehr gute und schlüssige Argumentation. Wasser war vielleicht kalt, aber auch nass. Außerdem hatte ich auch keine Badesachen mitgenommen.

Immerhin war ja nur von ‚einfach ein wenig rumfahren' die Rede gewesen und nicht vom See.

Luise kam zurück und schüttelte ihre nassen Hände über uns aus.

Während Kim nur angeekelt den Kopf wegdrehte, quietschte ich empört auf.

Sie lachte nur darüber, ehe sie sich neben mich setzte und die Jeansjacke von den Armen schüttelte.

„Ist das Top neu?", fragte ich. Immerhin hatte es weder Flecken, noch Risse. Außerdem war es auch echt hübsch und sah nicht aus, als ob schon Generationen von Landarbeitern es getragen hätten. Es saß locker und unter dem weißen Stoff konnte man die Umrisse ihres BHs erkennen. Dunkelblau, mit kleinen Kirschen an den Trägern. Die Dinger, die zwar echt gemütlich waren, aber man am besten nur unter dicken Pullis und weiten Shirts trug, weil sie halt eben echt nicht schön waren, doch wie so oft war diese modische Einsicht hier noch nicht angelangt.

So sah man die kleinen Motive immer wieder neben den Spagettiträgern hervorblitzen.

Lu sah an sich herunter, als ob sie selber grade erst bemerkte, dass sie das Oberteil trug: „Äh, ne, also ja, ist von meiner Cousine"

„Sieht hübsch aus", meinte ich möglichst nebensächlich.

Lus Wangen bekamen ein wenig Farbe, ehe sie ein leises „Danke" nuschelte.

Süß. Einfach nur süß.

Dass ich sie anstarrte merkte ich erst, als Tobi sich laut räusperte: „Okay, bevor die Stimmung hier noch seltsamer wird... kommt ihr mit schwimmen?"

Von heteronormativer Hölle und einem Ziegenmädchen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt