„Ich kann nicht mehr", jammerte ich und ließ meinen Rucksack zu Boden fallen.
Wie ein bockiges Kleinkind setzte ich mich auf meinen Rollkoffer.
Luise, die ein paar Meter vor mir gelaufen war und sich nun zu mir umdrehte, meinte munter: „Es ist nur noch knapp ein Kilometer bis zum Bahnhof. Das schaffen wir"
Was? Ein ganzer Kilometer?
Ich befürchtete, dass wir uns verirrt hatten.
Die Vormittagssonne kam grade hinter ein paar Bäumen hervor und blendete mich.
Wir waren jetzt schon seit vier Uhr in der früh unterwegs. Oft genug ging ich da erst ins Bett und jetzt? Es war fast elf Uhr und wenn es nach mir ginge, könnten wir den Tag schon wieder beenden.
Erst hatte Mom uns zu einer Pferdeweide gefahren, wo wir mit einer mehr oder weniger netten Truckerin namens Uschi ein paar Viecher auf einen Laster verladen hatten. Dann waren wir eine halbe Ewigkeit durch die Gegend gerumpelt und das war noch der angenehme Part bei der Geschichte gewesen. Da konnten wir dann immerhin nochmal so tun, als würden wir schlafen. Schlimm wurde es erst, als Uschi uns vor einer gefühlten Ewigkeit nahe einer Autobahn rausgelassen hatte.
Seitdem schleppte ich gut hundert Kilo unnötiges Gepäck durch die Gegend, weil der Bahnhof auf Google Maps garnicht so weit weg aussah, wie er eigentlich war. Meine Idee, einfach noch ein wenig auf den nächsten Bus zu warten, war auf Taube Ohren gestoßen und so hatten wir uns zu Fuß auf den Weg gemacht.
Ich sollte Manu verklagen. Immerhin gehörte bestimmt die Hälfte des Mülls, den ich hier spazieren trug ihm, weil er ja alles bei mir hatte liegen lassen müssen.
Mit leidigem Gesichtsausdruck sah ich zu Luise.
Sie trug wieder das schöne weiße Top, das sie auch am See getragen hatte, unter der weiten Jeansjacke. Der ehemals weiße Rand des Gipses hatte schon einige undefinierbare Flecken kassiert in der knappen halben Woche, in der Lu ihn nun schon trug.
Unterhalb der über den Knien abgeschnittenen Hose hatte sie Gänsehaut.
Es war diese seltsame Zeit am Morgen, in der die Sonne zwar schon vielversprechend schien, es aber trotzdem noch eiskalt war.
Luises Zopf löste sich langsam wieder auf. Ich hatte ihn ihr vorhin mit meinen zwei linken Händen im LKW geflochten, weil sie das mit ihrem gebrochenen Arm nicht hinbekam.
„Komm schon, Maps sagt, dass wir in zehn Minuten da sind", versuchte sie mich zu überreden.
Ein ziemlich altes Auto rollte auf der gefühlt endlosen Landstraße auf uns zu.
Ächzend und umständlich verfrachtete ich mich selber an den Straßenrand. Super. Beim Versuch aus dem Kaff zu fliehen an einem noch viel zivilisationsferneren Fleckchen Erde gelandet. So ein Pech musste man erstmal haben.
Luise tätschelte mir belustigt den Kopf: „Armes Töfftöff"
Ich schnaubte.
Zu meiner Überraschung düste das Auto nicht einfach schnell an uns vorbei, sondern wurde immer langsamer und hielt dann direkt neben uns an.
Ein Fenster wurde runtergekurbelt und ein älterer Mann lächelte und an: „Alles in Ordnung? Ihr seht aus als hättet ihr eich verlaufen"
Luise knipste direkt ihr „perfekte Schwiegertochter"-Lächeln ein und sagte: „Ja, alles in Ordnung. Wir sind nur auf der Suche nach dem Bahnhof. Gehen wir da in die richtige Richtung?"
Der Mann mit dem lichter werdenden Haar nickte: „Ja sicher, soll ich euch vielleicht mit in die Richtung nehmen? Ich muss eh durch den Ort fahren"
Bevor ich ablehnen konnte, sagte Luise begeistert: „Wenn das keine Umstände macht, wäre das super freundlich. Vielen Dank"
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Von heteronormativer Hölle und einem Ziegenmädchen
Teen FictionMila hat keine Lust. Keine Lust auf schlechtes Internet. Keine Lust auf ihre Mutter und ihren Ökotrip. Keine Lust auf nervige Dorfkinder und erst recht keine Lust auf das verdammte Dreckskaff, in das ihre Mutter sie verschleppen will. Es ist wortwö...