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TW: Depressionen
Passt auf euch auf

———

Es war dunkel.

Nur durch die Spalten an den Seiten meiner Rollos bahnten sich zwei einsame Lichtstrahlen ihr Weg in mein Zimmer. Wie betäubt verfolgte ich sie mit meinen Blicken, unfähig meinen Kopf auch nur einen Millimeter zu bewegen.

Alles war schwer.

In meiner Brust befand sich ein stetig größer werdendes schwarzes Loch, das langsam drohte, mich aufzufressen.

Es tat weh. Irgendwie. Es zog so sehr an mir, dass ich es spüren konnte. Ein tiefer, dumpfer Schmerz, der nichts anderes zuließ, als in Embryonalstellung im Bett zu kauern.

Nur ein Gedanke hatte zur Zeit in meinem praktisch leergefegten Kopf: Warum stehst du nicht einfach auf und hörst auf damit?

Es ging nicht.

Es ging einfach nicht!

Ich wollte mir in die Haare greifen und so fest an ihnen ziehen, bis mir die Kopfhaut brannte, doch meine Hände blieben zu Fäusten geballt an meine Brust gepresst.

Teilnahmslos verfolgte ich die Träne, die erst über meine Wange rann, ehe sie mit einem kleinen Tropfgeräusch auf das Bettlaken traf. Schemenhaft sah ich auf den dunklen Fleck auf dem blauen Stoff.

Ich wollte aufstehen, aber es ging nicht. Warum nicht? Einfach zu schwach.

Irgendwo im Haus waren Geräusche. Selbst wenn ich es gewollt hätte, hätte ich mich nicht darauf konzentrieren können. Es war kein Türknallen, kein Handy, kein Fernseher. Es waren einfach nur Geräusche. Töne, Schallwellen ohne Ursprung und Sinn.

Was wenn ich nie wieder aufstehen könnte? Würde es jemanden stören?

Luise?

Oder sogar Tobi?

Ich enttäuschte sie. Jetzt grade. Wir waren verabredet. Mit Mila zum Grillen im Sommercamp.

Sie warteten drauf, dass ich kam, aber ich lag hier wie eine nichtsnutzige Vogelscheuche, die ich ja defakto auch war. Zu nichts zu gebrauchen, nichts als ein Wurm.

Ich enttäuschte sie, weil ich gefroren war.

Wie spät war es eigentlich? Ich müsste meinen Kopf nur wenige Zentimeter bewegen, um den Wecker in mein Blickfeld zu schieben, aber es war sinnlos.

Es war egal. Es würde ihnen egal sein.

Die Gänsehaut, die über meinen Körper zog spürte ich sehr viel intensiver als es sein sollte. Es war eiskalt, trotz der für den Sommer eigentlich viel zu warmen Decke, die eng um meinen Körper geschlungen war.

Ich nahm einen tiefen Atemzug und spürte das Loch in meiner Brust wachsen. Langsam, aber stetig. Der Schmerz wurde größer.

Licht fiel in mein Zimmer.

Schützend rollte ich mich zu einer noch winzigeren Kugel zusammen. Eine winzige Bewegung, kaum mehr als ein Zucken.
„Kim?"

Mein Hirn fühlte sich an wie in Watte gepackt. Ich konnte nicht reagieren.

„Schläfst du?"

Was wollte er hier.

Beine in meinem Sichtfeld.

Dann hockte er sich vor mich.

„Kimi?"

Träge hob sich mein Blick. Langsam, aber immerhin.

Ich sah kaum mehr als Umrisse. Die dunklen Haare nach hinten gegeelt. Ein hellgrauer Kapuzenpulli.

„Du bist ja doch wach", stellte er fest „Wir haben uns schon gewundert wo du bleibst"

„Kannst du wieder gehen?", fiepte ich.

Erst da schien Tobi zu merken, dass was nicht stimmte.

„Alles klar bei dir?"

NEIN!

„Hmm", bestätigte ich.

Er sollte nicht hier sein. Er sollte bei den anderen sein. Nicht hier. Ich wollte nicht so gesehen werden. Wollte nicht bekannt machen, wie unfähig ich war, wie schwach, seltsam.

Ich wandte den Kopf ab.

Eine Hand legte sich auf meinen Hinterkopf und strich leicht durch meine Haare: „Eigentlich wollte ich dich nur schnell abholen"

„Ich bleib hier", meinte ich schnell.

Ein Seufzen. Dann senkte sich die Matratze neben mir.

Verwundert drehte ich meinen Kopf zu ihm.

„Jetzt schau nicht so. Dachtest du etwa, dass ich dich hier jetzt einfach liegen lasse?"

Verständnislos nahm ich hin, dass er wieder über meine Haare strich.

Ich wollte nicht, dass er wegen mir etwas verpasste. Ich war kaputt. Nicht er.

Meine Freunde waren verschwunden, nachdem das mit den Depressionen angefangen hatte und ich nicht mehr mit ihnen abgehangen hatte.

Das ging schneller als man glaubte.

Dinge verpassen war blöd. Kacke. Es fühlte sich schlecht an.

„Geh zu den andern. Das macht mehr Spaß"

Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, dass er lachte: „Kimi, saufen kann ich auch wann anders"

Ich zog den Kopf ein.

„Willst du drüber reden?"

Mein Kopfschütteln war kaum mehr als ein Zucken.

Obwohl ich es nicht wirklich zugeben wollte, genoss ich sein Kraueln. Es war schön, dass er da war. Vor allem, war es auch cool, dass er blieb. Nachdem ich meine Eltern ein paar Mal mies angemeckert hatte, ließen sie mich für gewöhnlich während meiner.... Phasen in Ruhe. Genau dasselbe mit Luise. Sie wusste, dass es mir manchmal schlecht ging, aber wenn ich ihr sagte, dass sie gehen sollte, tat sie das auch.

Rein theoretisch zwar nur, weil ich ihr das sagte, aber naja. Ich wollte einfach niemanden stören. Niemandem zeigen, wie seltsam ich war. Reichte, dass es mir schlecht ging. Da musste ich noch andere mit runterziehen.

Teilnahmslos nahm ich hin, dass Tobi das verkrampfte Bündel, dass ich nunmal war, an seine Brust zog und immer wieder beruhigend über meine Schulter strich.

Ohne wirklichen Grund rannen ein paar Tränen über mein Gesicht.

„Kann ich ein wenig bei dir bleiben? Ich will dich so nicht alleine lassen"

Wortlos drückte ich meinen Kopf gegen seine Brust.

Er brummte und kraulte weiter abwechselnd meinen Kopf und meinen Arm.

Das schwarze Loch war zwar immernoch da, aber drum herum war es nichtmehr so kalt. Sein ruhig schlagendes Herz band mich an die Realität.

Und obwohl die Dunkelheit noch immer tief in mir verwurzelt war, blieb Tobi da. Irgendwann nahm er die Fernbedienung, die unergründlicherweise auf meinem Bett lag und schaltete den Fernseher an, aber das störte mich nicht.

Er war da.


Von heteronormativer Hölle und einem Ziegenmädchen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt