Alter, warum wurde ich mit sechzehn immernoch gezwungen in diese bescheuerte Camp zu gehen?
In Deutschland sollte man sich bewusst sein, dass Lager selten was gutes bedeuteten. Und trotzdem bestand meine fucking jüdische Mutter darauf, dass ich hierher ging! Das war doch komplett fürn Arsch! Meine Urgroßmutter würde sich im Grab umdrehen!
Aber meine Mutter hatte nur gemeint, dass meine Argumentation total aus der Luft gegriffen sei und ich doch bitte keine Witze über so ernste Themen.... Blablabla.
War ja kein Witz. Nur ein verzweifelter Versuch, mich von der restlichen Menschheit fernzuhalten und dazu waren mir alle Mittel recht. Zur Not eben auch das tragische Schicksal meiner Ahnen. Vielleicht würden sie sich ja wenigstens freuen, wenn mir durch ihr Leid was erspart bleiben würde?
Okay, ein wenig aus der Luft gegriffen war es schon.
Offiziell war ich zwar „Aufsichtsperson", aber da die Kinder eh fast den ganzen Tag mit sich selber beschäftigt waren und die anderen sogenannten „Aufpasser" nichtmal im Traum daran dachten, mich in ihre Aktivitäten einzubinden, saß ich in meinem Zelt und verbrauchte mein wertvolles Datenvolumen für dumme Lets-Plays.
Lu, die sonst auch oft hier war, hatte ein Reitturnier - wie fast jedes Wochenende im Sommer.
Immerhin eine positive Sache hatte der Streit zwischen Lu und Anni: Anni ließ sich hier nicht blicken, wenn die Gefahr bestand auf Lu zu treffen, was allerdings ihren Bruder nicht davon abhielt, mir regelmäßig hart auf den Sack zu gehen.
Ich musste auf Klo, aber es gab viele Dinge, die ich lieber tun würde, als mich auf die ranzigen Dixiklos zu begeben, die bestimmt seit dem allerersten Zeltlager nichtmehr gereinigt wurden.
Genervt ächzend richtete ich mich auf.
Ich schlurfte durch das Lager, ging mit gerümpfter Nase aufs Klo und wollte mich schon wieder ins Zelt schmeißen, als jemand rief: „Ey Kim!"
Scheiße, bitte nicht Hannes.
Angepisst drehte ich mich um: „Was?"
„Alter, sei mal nett", beschwerte Tobi sich dumm grinsend und hielt mir ein Bier hin: „Hier"
Ich zog eine Augenbraue hoch: „Ich trink nicht"
Skeptisch musterte er mich: „Solltest du aber. Jeder trinkt"
„Gut, dass ich nicht jeder bin", meinte ich achselzuckend.
Dieses ständige Gesaufe ging mir auch auf den Sack. Immer hörte ich nur das Gemecker am nächsten Tag. Das konnte doch nicht schön sein.
Mir gings auch so schon scheiße, da brauchte ich nicht auch noch Drogen.
„Willst du dann wenigstens eine Cola oder ist Koffein dir zu ungesund?", fragte Tobi nun beinahe schon belustigt.
„Gib her den Scheiß. Koffein ist mein Grundnahrungsmittel", murrte ich.
Er machte sich ein wenig über meine schlechte Laune lustig, ehe wir rüber zum Versorgungszelt schlurften und er mir eine Flasche Cola zuwarf.
Ein wenig erinnerte mich das an früher, als Cola für uns noch etwas Verbotenes gewesen war. Wie alt war ich da gewesen? Zehn? Elf?
Damals hatten unsere Tage im Zeltlager mehr oder weniger daraus bestanden, irgendwelche absurden Pläne zu entwerfen, um irgendwie unbemerkt an ein paar Flaschen Cola zu kommen. Meine Idee, die Flaschen einfach mit dem dreckigen braunen Wasser aus den Gräben wieder aufzufüllen und zurückzustellen, war mir damals unglaublich klug vorgekommen. Im Nachhinein war das aber schon ziemlich naja... dumm gewesen.
Naja, zurück zu meiner Cola. Zumindest hoffte ich, dass es Cola war.
Daran, dass mir der Inhalt beim Öffnen dann entgegenspritzte, hätte ich denken können. Ja, das war kein Dreckwasser. Tobi meinte trocken: „Du hast da was"
Ich wischte mir Cola aus dem Gesicht und warf ihm einen genervten Blick zu.
„Komm schon, lächel doch mal", forderte er mich ironisch auf.
Mein gespieltes Lächeln glich wohl mehr einem Zähnefletschen.
„Jetzt hab ich Angst", konstatierte Tobi.
An meiner übergesprudelten Cola nippend, meinte ich: „Gut so"
Er lachte und tätschelte meinen Kopf.
„Ey!", beschwerte ich mich und richtete meine nicht wirklich existente Frisur.
Tobi schnaubte: „Alter..."
„Was?", meckerte ich. Wollte der Stress oder was?
Grade, als er etwas antworten wollte, kam Annelies ins Versorgungszelt gestapft. Wie immer leise fluchend und wie schon seit Tagen mit grandios schlechter Laune.
Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich fast gedacht, dass der Streit mit Luise sie auf ihre eigene Art mitnahm.
„Oh hey Tobi, ich wusste nicht, dass du hier bist"
Wie gesagt: wenn ich es nicht besser wüsste.
Von einer Sekunde auf die Andere hatte sie wieder gute Laune. Grinste blöd, strich sich beinahe schon verlegen eine Strähne hinters Ohr.
Oder kurz: Würg.
Mich schien sie garnicht zu bemerken.
„Joa", meinte Tobi achselzuckend „Ich hab mit Hinnerk getauscht, weil er noch was mit seinem Vater machen wollte"
Wirklich übermäßig interessiert fragte sie: „Oh, was denn?"
„Kein Plan, irgendwas an der Biogasanlage glaub ich", meinte er gelangweilt.
„Aha", machte Anni.
Die Stille darauf schien nur ihr unangenehm zu sein, denn für Tobi schien das Gespräch beendet zu sein. Er holte sich eine Packung Zwieback aus einer Tüte.
Unschlüssig stand die Braunhaarige noch immer rum.
Als ich die beiden mit ihrer Seltsamkeit allein lassen wollte und mich zum Gehen wandte, fragte Tobi: „Yo Kim, wir wollten nachher mit den Gören zum Baggersee gehen, kommst du mit?"
Bevor ich mit einem ganz klaren „Nein" antworten konnte, mischte Anni sich ein: „Willst du wirklich, dass sie mitkommt? Sie verbreitet doch nur schlechte Laune"
Ich zog nur die Brauen hoch und ging.
Annis Reaktion war genug Antwort.
Nur weil Tobi auf einmal wieder so tat, als wären wir beste Freunde, hieß das nicht, dass ich mir den Rest der Truppe antun musste.
Ganz abgesehen davon der Baggersee sehr nass und die Sonne sehr heiß. Beides Attribute, die ich möglichst zu vermeiden versuchte, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Schwimmen ging nicht und Hitze naja, war halt Hitze.
Grade als ich mich wieder in meinem Zelt verkriechen wollte, kam Tobi angejoggt.
„Was?", fragte ich barsch.
„Lass dir doch von Anni nicht den Tag versauen. Die ist vierzehn, die meint das nicht so"
Ich atmete durch und griff wirklich tief in meine Sarkasmusschublade: „Du solltest Anwalt werden. Wenn der Richter dich dann fragt, was du zur Verteidigung vorzubringen hast, sagst du bitte einfach genau das"
„Mach ich", versprach er schmunzelnd „Willst du jetzt mit zum Baggersee?"
Ich schüttelte den Kopf: „Ne, ich verbreite nur schlechte Laune"
„Lass dir das nicht von ihr einre-" „-ist ne Tatsache", unterbrach ich.
Tobi seufzte: „Du kannst doch aber nicht den ganzen Tag im Zelt hocken"
„Doch kann ich. Ist ganz einfach", ich schlüpfte in mein Zelt und schloss den Reißverschluss.
Nach draußen rief ich: „Siehst du?"
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Von heteronormativer Hölle und einem Ziegenmädchen
Ficção AdolescenteMila hat keine Lust. Keine Lust auf schlechtes Internet. Keine Lust auf ihre Mutter und ihren Ökotrip. Keine Lust auf nervige Dorfkinder und erst recht keine Lust auf das verdammte Dreckskaff, in das ihre Mutter sie verschleppen will. Es ist wortwö...