39. Eine andere Welt

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Wo ist sie?

Mein Kopf fliegt hin und her. Da passt man einmal kurz nicht auf und schon ist sie weg. Seufzend verlasse ich den Speisesaal und gehe an meinem Zimmer vorbei, ehe ich vor einer Tür stehen bleibe und anklopfe.
„Sumiko? Ich bin's."
Es dauert nicht lange, bis die Tür geöffnet wird und die Halbasiatin mit leicht schief gelegtem Kopf zu mir hochschaut. Ich setze ein etwas unsicheres Lächeln auf. „Ich weiß, der Tag war ziemlich anstrengend, aber hättest du vielleicht noch Lust, ein bisschen mit mir zu trainieren? Ich würde gerne den Umgang mit einer Schusswaffe lerne-"

„I'm in."

Überrascht ziehe ich die Augenbrauen hoch. „Wow, das ging schnell." Ich lache leise. „Aber ich möchte dich wirklich nicht stören oder belästigen."

„Das würdest du niemals."

Auf einmal steigen mir aus heiterem Himmel Tränen in die Augen und mir wird ganz warm ums Herz. Für mich ist das von Sumiko ein gewaltiger Schritt, sowas zu sagen. Ich freue mich über jeden noch so kleinen Fortschritt den sie macht. Sie geht schnell rein, um ihre Trainingskleidung zu holen, ehe ihre Zimmertür abschließt. Mein Lächeln wird immer breiter, während wir vor meine Zimmer erneut Halt machen, um auch meine Sachen zu holen, ehe wir eine der Trainingshallen ansteuern. Besser gesagt die für den Fernkampf.

Beim Umziehen schlägt mein Herz einen Ticken schneller und ich werde hibbeliger. Alles gut Sienna, du schaffst das. Nichts Besonderes.

Als wir dann jedoch die große Haupthalle betreten, würde ich am liebsten auf den Fersen umdrehen und wieder gehen. Ich fühle mich plötzlich wie ein in die Enge getriebenes Tier. Absolut unwohl.
Selbst jetzt zur Abendessenzeit ist hier noch relativ viel los und dabei hatte ich gehofft, dass die Trainingshalle wenigstens jetzt einigermaßen leer ist.
Tja, falsch gedacht.
Ich kann nicht anders als mich Fehl am Platz zu fühlen. All diese Keryno hier kämpfen schon seit Ewigkeiten mit Schusswaffen. Ich im Gegensatz kenne mich absolut Null mit ihnen aus. Das hier... ist nicht meine Welt. Ich bin durch und durch eine Nahkämpferin. Eine Schwertkämpferin.

Erneut seufze ich laut.

Mit gerunzelter Stirn greift Sumiko besorgt nach meiner rechten Hand. Ich schaue zu ihr herunter und setze schnell wieder ein Lächeln auf. „Es ist alles gut. Ich bin nur nervös, das ist alles."
„Du musst nicht nervös sein. Wenn dich einer blöd anguckt, verprügel ich ihn."
Für einen Augenblick starre ich sie perplex an, ehe ich laut lospruste. „Oh man, Sumiko du bist echt der Hammer. Wie du das eiskalt so emotionslos sagst." Mit meiner freien Hand tätschle ich ihr den Kopf. „Wollen wir?"
Sie nickt und zieht mich leicht hinter sich her.
Herrgott noch mal, ich sollte mich nicht so anstellen. Wo ist nur mein Selbstbewusstsein hin? Früher hätte mich sowas nie gestört. Im Gegenteil. Ich habe es geliebt, neue Dinge auszuprobieren, deswegen fiel es mir ja auch so leicht, mit dem Schwerttraining anzufangen.

Ich schaffe das.

Das hier ist wichtig, denn wenn ich zusätzlich noch mit Schusswaffen umgehen kann, muss ich nicht immer so dicht an die Vampire ran. Ich könnte sie – vor allem stärkere Vampire – auf Abstand halten und so vielleicht einige Verletzungen vermeiden.
Außerdem ist das eine gute Gelegenheit, um vor dem schwarzen Nebel und meinen Gedanken zu fliehen. Ich will einfach nicht ständig darüber nachdenken, was passiert ist und jedes Mal weinen. An die Sache mit dem Vampirkind will ich erst Recht nicht denken.

Wir bleiben vor einer Wand stehen, vor der ein Kasten mit Bedienfeld aus dem Boden ragt. Sobald Sumikos Hand über jenem schwebt, aktiviert es sich und leuchtet bläulich auf. Sie tippt eine Ziffer ein und nach einem kurzen Piepton wird ein Feld in die Luft projiziert, das eine Art digitaler Katalog zu sein scheint. Es werden die verschiedensten Pistolen und Gewehre angezeigt. Von einem Großteil davon wusste ich nicht einmal, dass sowas überhaupt existiert.

Keryno - Aufstand der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt