48. Schweißausbrüche

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Meine Füße tragen mich in Richtung des kleinen Parks, der sich in der hintersten Ecke des Quartiergeländes befindet. Automatisch scanne ich die Umgebung mit meiner Aura – keine weiteren. Ich bleibe vor einer großen Pfütze mitten auf dem Weg stehen und senke meinen Kopf, um mich selbst in ihr betrachten zu können. Es ist, als würde ich jemand anderes anschauen und nicht mich selbst. Schon wieder beginnen die Gedanken in meinem Kopf umherzukreisen. Ich schaue nach rechts zu der hohen Mauer, die das gesamte Quartier umgibt. Sie selbst sieht nicht besonders aus, doch für Vampire ist sie unzerstörbar und sie können sich ihr nicht großartig nähern, weil sich ein spezieller Stoff in ihr befindet, der für Vampire giftig ist. Über der Mauer selbst befindet sich eine Barriere, die sich wie eine Kuppel über das gesamte Gelände spannt. Obwohl man sie nicht sehen kann, ist sie da. Von außen kann keiner eindringen, doch von innen gelangt man heraus. Es bräuchte nur einen einzigen Sprung.

„Sienna?"

Heftig zusammenzuckend fahre ich herum. Ein junger Mann mit schwarzem Haar steht einige Meter von mir entfernt. Ich habe ihn definitiv schon öfter gesehen, aber wie hieß er noch gleich?

„Kai möchte kurz mit dir sprechen. Hast du einen Moment?"

Meine Augen weiten sich und beinahe wäre mein Herz stehen geblieben. Kai?

Ich setze ein Lächeln auf. „Klar, bring mich zu ihm."

Sobald er sich umdreht und losläuft, sinken meine Mundwinkel wieder. Was will er? Weiß er etwa schon von dem, was gestern passiert ist? Was, wenn es das ist?

Mein Herz setzt kurz aus, ehe es mir gewaltig gegen die Brust hämmert. Je näher wir dem Bürogebäude kommen, desto mehr Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn. Meine Hände zittern so sehr, dass ich mich im Saum meines Rockes festkrallen muss. Mir wird speiübel und ein fetter Brocken hat sich in meinem Bauch abgesetzt. Mit jedem Schritt wird es schlimmer. Alles in mir schreit danach, auf den Fersen umzudrehen und wegzurennen.

Wird er mich festnehmen? Mich einsperren?

Atmen erscheint mir plötzlich so unfassbar schwer.

Ich will da nicht hin!

Würde es Sinn machen, jetzt noch vorzutäuschen, dass es mir nicht gut geht?

Nein, das wäre nur verdächtig. Und außerdem ist es sowieso zu spät, denn Kais Bürotür ist schon in Sicht. Vor ihr angekommen, bleibt mir der Atem weg. Meine Beine sind wie Wackelpudding und ich fürchte, würde ich noch einen Schritt machen, würden sie unter mir wegknicken. Auf einmal dreht sich der Junge zu mir um und zieht die Brauen leicht zusammen. „Ist alles okay mit dir?"

Langsam schaue ich ihn an. Erst jetzt fällt mir auf, wie laut ich atme, nein, keuche.

„Ich.. Ähm..." Ich beiße mir von innen auf die Wange. „Ich... habe eine Fahrstuhl-Phobie."

Lüge.

„Tut mir leid, das wusste ich nicht! Warum hast du mir das denn nicht gesagt? Dann hätten wir die Treppe nehmen können."

„Ich wollte keine Umstände machen."

Er seufzt und stützt eine Hand in die Hüfte. „Das hättest du nicht."

„Tut mir leid."

„Muss es dir nicht", erwidere ich mit einem matten Lächeln. Sieh es dir an. Wie lieb er zu dir ist, obwohl du ihm eiskalt ins Gesicht gelogen hast.
Er klopft an die Tür und beinahe hätte ich „Nicht!" gerufen. Einige Sekunden später öffnet er die Tür, lässt mich eintreten und schließt sie hinter mir wieder.

Kai steht mit dem Rücken zu mir, den Blick auf das Fenster gerichtet. Panisch fliegen meine Augen hin und her, doch außer uns beiden befindet sich keiner weiter im Raum.
„Ich wollte mit dir kurz über das von gestern reden."
Das von gestern?
Mein Mund ist vollkommen ausgetrocknet, aber egal wie sehr ich schlucke, er will einfach nicht feucht werden. Mir dreht sich der Magen um und am liebsten würde ich mich übergeben.

Keryno - Aufstand der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt