15. Gedankenkarussell

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Das Erste, was ich verschwommen wahrnehme, ist ein Vorhang. Die genaue Farbe erkenne ich jedoch nicht.

Atem- und Ächzgeräusche, ebenso wie ein leises, regelmäßiges Piepen dringen an meine Ohren.

Als ich mich von der Seite auf den Rücken drehe, pocht mein Schädel unerträglich, als hätte man mir einen kräftigen Schlag mit einem Baseballschläger verpasst. Zischend fahre ich mir mit einer Hand an den Kopf und richte mich Millimeter für Millimeter auf. Doch je mehr ich in eine Sitzposition komme, desto schlimmer wird. Da der Raum sehr abgedunkelt ist, kann ich kaum etwas erkennen.

Wie spät ist es überhaupt?

Seufzend lasse ich mich wieder zurücksinken und lege einen Arm auf meine Augen.

Ich fühle mich wie gerädert. Als wäre ich von einem Lastwagen überfahren worden.

Ohne wirklich etwas dagegen tun zu können, spielt sich der gesamte Tag in meinem Kopf ab und all das kommt mir wie ein schlechter Traum vor. Ein schlechter, viel zu real wirkender Albtraum.

Die ganzen Kämpfe, die verlassenen Wohnungen, die zerstörten Gebäude, die verletzten und getöteten Menschen...

Ein gigantischer Fels hat sich auf meinem Brustkorb abgesetzt und wird immer schwerer. Bevor mich diese Erinnerungen noch in den Wahnsinn treiben, versuche ich schnell an etwas anderes zu denken.

Meine Gedanken fliegen zu meiner Aura.

Erst keimt wieder die Freude darüber, was ich heute mit ihr erreicht habe, auf, doch als sich wieder die Bilder der Opfer vor meine Augen schieben, verfliegt sie vollkommen.

Der kleine Junge von der Barriere ploppt in meinem Kopf auf. Dunkle, rote Augen und zwei kleine Hörner der gleichen Farbe.

Was um alles in der Welt war oder ist er? Eigentlich kann er ja nur ein Vampir sein, aber haben Vampirkinder Hörner?

„Eure Kraft, Euer wahres Ich ist gerade mal am Anfang seines Pfades und noch nicht einmal halbwegs erwacht. Vor Euch wartet noch ein langer Weg und ich hoffe, Ihr werdet ihn meistern. Nein, dem bin ich mir sicher."

Seine Wörter wiederholen sich immer wieder wie eine Endlosschleife.

Was meinte er damit?

Woher will er wissen, ob meine Kräfte noch nicht einmal zur Hälfte erwacht sind? Weiß er mehr über meine Kraft als ich? Haben meine Kräfte... etwa doch irgendwie etwas mit den Vampiren zu tun?

Aber was?

„Ich kann es kaum erwarten, bis Ihr vollständig erwacht und Euren Platz einnehmt. Doch lasst mich Euch zum Schluss noch einen Rat geben: Gebt Acht darauf, wem Ihr vertraut, denn nicht immer ist alles das, was es vorgibt zu sein."

Den letzten Satz habe ich bereits vor nicht allzu langer Zeit schon einmal gehört – von einem A-Vampir in Panso.

Stecken sie womöglich unter einer Decke?

Dann muss der kleine Junge ein Vampir sein. Es gibt nur diese Möglichkeit, denn ein Mensch war er definitiv nicht. Nur wieso bereiten mir seine Worte solche Sorgen?

Es scheint, als wüsste der kleine Junge etwas über meine Kraft. Warum sollte ein Vampir das tun? Und diese extrem veraltete Anrede die er verwendete. Kann das jedoch wirklich eine tiefere Bedeutung haben?

Haha, nein. Definitiv nicht. Dieser kleine Bengel hat sich über mich lustig gemacht.

Irritiert runzle ich die Stirn.

Das ergäbe allerdings genauso wenig Sinn. Selbst wenn er mich nur verspottet hat, hätte dieser junge Vampir mir dann wirklich einfach so die Barriere überlassen? Immerhin hat er mit ihr stundenlang verhindert, dass meine Kameraden zur Unterstützung die Stadt gelangen können. Er hatte nicht einmal dagegen angekämpft.

Keryno - Aufstand der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt