34. Nachwirkungen

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Was?

Wie ist das möglich?

Ich strecke meinen rechten Arm aus und fahre vorsichtig über die Verletzung am Bauch. Die klaffende Wunde ist nur noch ein handgroßer Schnitt, aus dem kaum noch Blut fließt. Wie kann das sein?
Ich meine, klar, ich habe versucht ihn zu heilen, aber dass es wirklich klappen würde?!
Stürmisch umarme ich Finn und erdrücke ihn beinahe. Am liebsten würde ich nicht nur ihn, sondern die ganze Welt vor Freude erdrücken. Diese wundervoIle Fröhlichkeit bäumt sich in mir auf und verdrängt die noch immer nachklingenden, inneren Schmerzen. Für jene ist jetzt kein Platz.

Ich kann es gar nicht fassen!

Mir treten weitere Tränen in die Augen und ich muss mir einen Freudenschrei verkneifen. „Hast du das gesehen? Levis Wunden haben sich wieder geschlossen! Ich habe ihn gerettet! Ich hab's wirklich geschafft!"
Ich wende mich von Finn ab und fahre mit einer Hand zärtlich über Levis Wange.
„Ich hab's geschafft", hauche ich leise. Ich beuge mich nach vorn und lege meinen Kopf auf seinem Brustkorb. Langsam schließe ich die Augen und lausche dem Pochen seines Herzes. Erneut rinnen mir Tränen übers Gesicht.
Was hätte ich nur gemacht, wenn es nicht funktioniert hätte?
Dann wäre Levi jetzt vielleicht tot.
Wie auch immer ich dazu imstande sein konnte, es ist mir egal. Ich muss Levi nicht verlieren.

„Oh mein Gott, was ist mit dir", fragt Finn und berührt mich vorsichtig, aber bestimmt an der Schulter.
Den Kopf leicht schief gelegt, richte ich mich wieder auf und sehe ihn fragend an. Und in genau diesem Moment bemerke ich das unkontrollierte Zittern meines Körpers.
Ich fühle mich plötzlich als würden sämtliche meiner Knochen und Organe Tonnen wiegen. Das widerliche Brennen und Stechen in meinem Oberschenkel und knapp über der Hüfte setzt erneut ein, doch ich setze bloß ein Lächeln auf. „Es ist alles in Ordnung."

Finns zieht die Augenbrauen zusammen und verzieht sein Gesicht zu einer erbosten Fratze. „Es ist alles Ordnung?! Sieht das für dich so aus?! Du zitterst wie verrückt und dir läuft verdammt noch mal schon wieder Blut aus dem Mund und du bekommst es nicht einmal mit!"

„Was ist passiert?", keucht Jonas und taucht nun auch neben uns auf.
Als er abwechselnd zwischen Levi und mir hersieht, weiten sich seine Augen. „Sienna was ist mit dir los?! Da war plötzlich dieses grelle, goldene Licht und jetzt sitzt du hier wie ein Häufchen Elend!"

„Sie hat anscheinend Levi geheilt und sich dabei übernommen."

„Sie hat was?!"

„Ich habe mich gar nicht übernommen", wende ich harsch ein und rapple mich langsam auf.
Meine Sicht verschwimmt leicht und alles dreht sich. Als würde sich die Welt kopfüber stellen. Die Augen zusammenkneifend lege ich eine Hand auf mein Gesicht. Ich atme ein paar Mal tief durch. Meine Aura ist ununterbrochen in Bewegung. Wie ein Bach, in den einige große Steine hineingeworfen wurden und somit seine makellose Oberfläche unterbrechen.

Es beunruhigt mich.

Ich habe das Gefühl, je mehr sie sich bewegt, desto mehr verliere ich an Kraft.
Ist es, weil ich sie so oft eingesetzt habe oder bin ich kurz davor, die Kontrolle über sie zu verlieren?
Je mehr das Adrenalin aus meinem Blut entweicht, umso schwächer werde ich. Immer schneller macht sich die Anstrengung in meinen Knochen breit und beinahe kann ich mich nicht mehr auf den Beinen halten. Sie sind wie Wackelpudding und ich komme mir wie ein Rehkitz vor, das gerade seine ersten Schritte macht.

Mit einem Ruck öffne ich die Augen und überfliege die Straße. Es sind nur noch zwei B-Vampire, aber einige Keryno vereinen ihre Kräfte und erledigen auch sie noch. Panisch suche ich den Platz nach Sumiko ab und als ich sie finde, atme ich erleichtert aus. Wie die Anderen auch hat sie etliche Verletzungen, aber keine, die lebensbedrohlich sein könnten.
Doch schnell sinken meine Mundwinkel wieder nach unten.

Keryno - Aufstand der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt