25. Vermutung

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„Wow, das ist einfach nur abgefahren!", ruft Finn mit einem breiten Lächeln.
„Du bist der Hammer!", fügt Jonas begeistert hinzu.
Überall schweben kleine, goldene Partikel in der Luft herum, die auf dem ersten Blick wie Glühwürmchen aussehen.
Ich rutsche ans Bettende und strecke meine rechte Hand nach einer Blume aus, doch kurz bevor meine Fingerspitzen sie erreichen, ist alles auch schon wieder verschwunden. Enttäuschung umkreist mein Herz wie Raubtier seine Beute.
Etwas unbeholfen kratze ich mich am Hinterkopf. „Das muss ich wohl noch üben."

Finn legt seine großen, schweren Hände auf meine Schultern. „Und das hast du mit der ganzen Barriere gemacht? Das sah bestimmt einfach nur atemberaubend aus!"
„Allein von außen sah das ja schon mega hammermäßig aus", wirft Jonas laut ein.
„Ich bin wirklich stolz auf dich", sagt Levi schmunzelnd und tätschelt mir den Kopf.
Prompt schießt mir das Blut in die Wangen und ich spüre, wie sie immer heißer werden. Auf einmal zieht Sumiko leicht an meinem Oberteil. „Gut gemacht."

„Danke."

Etwas baut sich in mir auf, wie ein Baum, der unnatürlich schnell immer größer wird.
Ich bin so froh, dass ich endlich etwas mit meiner Aura auf die Reihe bekommen habe!
Nach so langer Zeit konnte ich sie kontrollieren und sogar etwas so wunderschönes erschaffen. Umso schöner ist es, wie sich die Anderen für mich freuen und mit mir mitfühlen. Dennoch ist da dieses Unbehagen in mir, das für winzige Augenblicke verschwindet, sich aber nach kurzem wieder bemerkbar macht.

„Nur was hat das mit dem Jungen zu bedeuten?"
Diese Frage beschäftigt mich so fürchterlich. Es ist etwas, das ich nicht verstehe, demnach ist es logisch, nach einer Lösung zu suchen, doch wenn man eine solche nicht findet, kommen die Gedanken immer wieder zum Ausgangspunkt.
Es ist diese Angst vor dem Unbekannten, dieses Unwissen, die meine Gedanken immer wieder zu diesem Kind bringen. Das lässt mir einfach keine Ruhe und es ärgert mich, dass mir das die Freude über meinen Erfolg versaut.

Für einige Sekunden ist es still und jeder scheint seine Gedanken zu sortieren.
„Bist du dir sicher, dass es echte Hörner waren? Vielleicht war es nur ein Haarreif", vermutet Jonas.
„Ich bin mir si-"
Plötzlich bin ich mir nicht mehr sicher, ob sie echt waren.
Das Bild von dem Jungen, von seinen Haaren und den Hörnern, das mir vorher so glasklar im Kopf erschien, ist auf einmal so unklar.
Sie waren definitiv am Haaransatz, aber kann ich mir jetzt noch sicher sein, dass da keine Plastikbügel waren? Immerhin könnten die Haare sie verdeckt haben.

„Es könnte auch gut möglich sein, dass es tatsächlich an der Magie gelegen hat. Jeder von uns weiß, wozu sie imstande ist. Außerdem können wir nicht sagen, was seine Fähigkeit ist und demnach wissen wir nicht, welche Ausmaße sie hat und wozu der Junge fähig ist. Gut möglich, dass er die Hörner mit seiner Magie erschaffen hat", überlegt Levi laut und hat den Kopf nachdenklich leicht schief gelegt. „Ob es Jonas' oder meine Vermutung ist, ist im Endeffekt egal. Der kleine Junge wird zu hundert Prozent ein Vampir gewesen sein, das liegt eindeutig auf der Hand."

Erst starre ich ihn unverhofft an, ehe mir ein leises Lachen herausrutscht. Natürlich.
Was hätte der Junge sonst sein sollen? Ein Geist?
Ich seufze erleichtert. Langsam sollte ich wirklich damit aufhören, mir über solch offensichtliche Dinge derartige Gedanken und Sorgen zu machen.
Doch eine Schlange der erneuten Anspannung schlingt sich zischend an meinem Körper hinauf und mir brennt eine Frage auf der Zunge, die seit zwei Tagen ebenfalls ständig in meinem Kopf präsent ist.
Mein Lächeln erlischt wie eine ausgepustete Flamme.
„Aber was macht man mit einem Vampirkind?"
Levi zieht irritiert die Augenbrauen zusammen, so, als würde er meine Frage nicht verstehen. „Töten natürlich, was sonst?"

Ich zucke kaum merklich zusammen. „Aber..."
Mein Blick schwenkt zu Finn und Jonas und irgendwie hofft ein Teil in mir auf eine andere Antwort, allerdings wird meine Hoffnung zerschmettert.
Finn nickt eifrig mit dem Kopf. „Klar, immerhin sind sie die Brut des Bösen."
„Als Keryno ist es unsere Pflicht, sie auszulöschen", sagt Jonas und zeigt grinsend den Daumen nach oben.
Aus einem mir unerklärlichen Grund schleicht sich matte Enttäuschung in meinen Brustkorb.

Keryno - Aufstand der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt