46. Gewissensbisse

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Der Regen peitscht mir beim Springen ins Gesicht und fühlt sich wie Ohrfeigen an, während der Wind an meinen Haaren zerrt. Ob das ein Zeichen ist? Eine Strafe? Für den immensen Fehler, den ich gerade begangen habe?

Ich strecke meine Aura nach den Vampiren aus, doch sie sind verschwunden. Keuchend streiche ich mir über das Gesicht und springe auf ein Vordach und anschließend auf den Fußweg. Ich renne so schnell wie meine Füße mich nur tragen können und es kommt mir so vor, als würde ich vor etwas fliehen. Vor dem, was ich gerade angerichtet habe. Vor der Straftat. Vor meinen Feinden, die ich eigentlich hätte bekämpfen sollen.

Doch es gibt eine Sache, vor der ich nicht wegrennen kann.

Und das bin ich.

Ich selbst und meine Gedanken.

Plötzlich rutscht mein Fuß zur Seite und ich komme unsanft mit den Knien auf dem Boden auf. Sofort zieht sich ein penetrantes Stechen von meinen Knien aus durch meine Beine und alle meine Härchen stellen sich auf. Ich stöhne laut auf und stütze mich mit den Händen ab, um mit dem Oberkörper nicht auch noch nach vorn zu fallen.

Der Regen hinterlässt eine unangenehme Kälte auf meiner nassen Haut.

Mit zittrigen Händen streiche ich mir vereinzelte Strähnen aus dem Gesicht und beiße mir bibbernd auf die Unterlippe. In meiner Nase kribbelt es und schon in der nächsten Sekunde muss ich niesen. Meine Atmung wird immer schneller, während mir die Regentropfen erbarmungslos über den Körper rinnen.

Zu den Anderen.
Ich muss zu den Anderen.

Wie ein Mantra wiederhole ich diese Worte immer wieder in meinem Kopf und konzentriere mich auf meine Aura, um nach Finn, Jonas und Sumiko zu tasten. Als ich auf ihre Auren stoße, hafte ich meine an ihnen fest und eine Art goldener Faden macht sich sichtbar. Langsam rapple ich mich wieder auf und setze schwankend erst den einen, dann den anderen Fuß nach vorn. Ich knicke die Beine leicht ein. Als ich an mir herunterschaue, zische ich leise auf. Meine blutigen Knie brennen so sehr, als hätte ich sie geradewegs in Brennnessel gehalten. Auch das noch. Ich richte mich wieder vollends gerade auf und spanne meine Oberschenkel einige Male an, ehe ich wieder weiterrenne. Dabei versuche ich das widerliche Stechen und Brennen auszublenden.

„Sienna!"

Der Ruf ist durch das Rauschen des Regens beinahe nicht zu hören.

Sie sind mit der Suche bereits eine Straße weiter als zuvor.

Ich verstecke mich hinter der Hausecke, die mich nunmehr von meinem Trupp trennt. Für einen Moment schließe ich die Augen und versuche mich auf meinen Herzschlag zu fokussieren. Ich streiche mir mit den Händen über das Gesicht, räuspere mich und hebe einige Male die Mundwinkel an, ehe ich hinter dem Gebäude hervortrete. Sofort erfassen meine Augen Finn, Jonas und Sumiko, ebenso wie die Fühler meiner Aura, die mich geradewegs zu ihnen geführt haben.

Wenigstens das habe ich hinbekommen.

Fast gleichzeitig entdecken mich die Anderen ebenfalls und rennen auch schon auf mich zu. Ich versuche ein Lächeln aufzusetzen, aber es geht nicht. Obwohl es mich eine solche Überwindung kostet, heben sie sich nur ganz leicht.
Finn nimmt meine Hände in seine und mustert mich mit zusammengezogenen Brauen. „Wo zur Hölle warst du? Du bist eiskalt!"

Was habe ich nur getan?

„Das würde ich auch mal gern wissen", mischt sich eine weibliche Stimme ein.

Mein Kopf dreht sich langsam nach links, wo sich Rose unter einem Vordach untergestellt hat, jedoch nun einige Schritte auf uns zu macht. Prompt vergreift sich der Regen an ihrem roten Haar und scheint es in einen dunkleren Farbton zu verfärben.

Keryno - Aufstand der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt