33. Stimmen und Misere

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„Fass sie nicht an!", brüllt Levi.
Der A-Vampir verdreht die Augen, schwingt einen Arm und Levi knallt plötzlich in ein Geschäft. Ein Stich fährt mir durchs Herz.
„Kommen wir wieder zu dir. Was ist? Kommst du nun mit? Denk doch bloß dran, was für Vorteile dir das verschaffen würde", widmet er sich wieder an mich und lässt erneut eine Haarsträhne durch seine Hand gleiten.
„Ich hab gesagt du sollst deine dreckigen Pfoten von ihr nehmen!"
Der A-Vampir streckt die Hand aus und mit einem leichten Erdbeben schießt eine gewaltige, dicke Blumenranke aus dem Boden geradewegs auf Levi zu. Dieser wiederum schwingt seine Hand und der Wind durchtrennt die Ranke genau in Zwei. Über ihm erscheint eine weitere, die binnen weniger Sekunden in abertausende Fetzen zerschnitten wird. Doch hinter Levi schießt erneut eine aus dem Boden. Gerade, als ich nach ihm rufen will, durchbohrt sie seinen Oberschenkel. Levis schmerzerfüllter Schrei reißt mein Herz in Stücke.

Der Adlige sieht angewidert und genervt zu Levi und seine roten Augen scheinen noch aggressiver aufzuflimmern. „Das Vieh hat die Klappe zu halten."

Wie eine Gestörte schüttle ich den Kopf. Ich fühle mich, als würde gleich mein Motor überhitzen. Ich bin unfähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Die Leichen, die ich wegen des Krieges sehen musste, das Mädchen das ausgesaugt wird, die Erinnerungen an Sam, Dominik und Justin, wie sie grausam getötet werden, der Hinterhalt, wie ich zum ersten Mal auf die Fünf Vampire treffe bevor ich zur Organisation kam, Levis schrecklicher Schrei und wie er verletzt wird. Alles prasselt auf mich ein und vermischt sich. Mein Schädel brummt, als habe sich ein Bienennest in ihm eingenistet. Die gewaltige Aura des Adligen schnürt mir die Kehle zu. Ich kralle meine Fingernägel noch tiefer in meine Kopfhaut.

Ich will das nicht. Mach, dass es aufhört!

Ich traue mich nicht einmal zu Levi zu schauen. Mir blutet das Herz und meine Nackenhaare stellen sich auf, während mir ein kalter Schauer den Rücken hinabrinnt. Tausend Gedanken rasen durch meinen Kopf.Was, wenn er wirklich stirbt? Was mache ich nur ohne ihn? Wenn er sterben würde...

Das würde ich nicht verkraften.

Wenn ich mit dem Adligen gehen würde, könnte ich ihn anflehen, Levi und den Rest der Einheit zu verschonen. Das ist vielleicht die einzige Möglichkeit sie alle zu retten. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Levi sich aufrappelt, doch im nächsten Moment wird er von einer Range in der Magengegend durchbohrt und spuckt Blut.
Zittrig hebe ich einen Arm und ziehe am Oberteil des Adligen. „Hör auf. Bitte."
Meine Stimme ist nichts weiter als ein Hauchen.
„Oho? Hast du dich also entschieden?"

Ich öffne den Mund, aber auf einmal fühlt es sich an, als hätte man mir einen Stupser, einen leichten Schlag auf die Schulter gegeben.
Das Vieh hat die Klappe zu halten, echot es in meinem Kopf.
Zitternd balle ich meine Hände zu Fäusten. Ja genau, für euch sind wir Menschen nur dämliches Vieh. Nur Tiere, die ihr wahllos abschlachten könnt.
Aus heiterem Himmel bilde ich mir ein, Sam würde hinter mir schweben. „Sagtest du nicht, du würdest deine Familie, Freunde und Kameraden beschützen? Du wolltest doch niemals deine Augen vor der Realität verschließen."

Ja, aber-

„Sieh hoch."

Ich hebe den Kopf und erblicke geradewegs Levi. Er sieht schrecklich aus. Blass und voller Blut. Tränen treten mir in die Augen. Meine Gedanken rennen wild.
Sams Augen werden durch ihre Haare verdeckt, wie so oft kann ich ihre Augen nicht sehen, und grinsend flüstert sie mir ins Ohr: „Du wolltest die Menschen doch um jeden Preis beschützen... Selbst wenn du dafür zum Monster werden musst."

Noch im selben Moment springe ich auf, wirble herum, lasse simultan mein Schwert in meiner Hand auftauchen und hole aus. Für den Bruchteil einer Sekunde sehe ich meine eigene Spiegelung in der Klinge und rote Pupillen funkeln mir entgegen.

Keryno - Aufstand der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt