47. Kopf gegen Herz

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Levi
Er sitzt auf dem Sessel in seinem Zimmer, die Beine überschlagen und die Ellenbogen auf den Lehnen abgestützt, das Kinn auf den Fingerknöcheln abgelegt. In seinem Kopf wütet ein unsagbarer Sturm und doch herrscht Stille. Hunderte Nadeln bohren sich in seinen Brustkorb, von denen es immer mehr zu werden scheinen.

Das Bild von Sienna schiebt sich vor seine inneren Augen.

Als es an der Tür klopft, braucht es nur einen einzigen, winzigen Gedanken und sie wird von seinem Wind geöffnet. Schon in der nächsten Sekunde treten Finn, Jonas und sogar Sumiko ein und schließen die Tür wieder hinter sich. Während es sich Jonas auf dem Bett gemütlich macht, lehnt sich Finn gegen den Tisch. Die Halbasiatin bleibt mit etwas Abstand von den Anderen entfernt stehen.

Für eine kurze Zeit sagt niemand etwas.

„Was ist passiert?", durchschneidet Levis raue Stimme die Stille.

Er muss nicht einmal aufschauen, um zu wissen, dass die Anderen untereinander Blicke austauschen.

„Ich will alles hören. Alles. Ich weiß ganz genau, dass etwas passiert ist."

Erneut herrscht Stille, bis sie durch Finns lautes Seufzen gebrochen wird. „Alles schien soweit in Ordnung. Die Mission war nichts Besonderes, aber irgendwann war Sienna plötzlich verschwunden."

„Und wir wissen nicht wie lange", setzt Jonas fort. „Später fanden wir sie an einem Gebäude um die Ecke eine Straße weiter."

„Sie meinte, sie sei in einem Gebäude gewesen, weil sie etwas gehört hat. Das Komische war allerdings, dass sie bereits völlig durchnässt war."

Levi hebt den Kopf. „Wann hat es angefangen zu regnen und wie stark?"

Die beiden Jungs atmen hörbar aus und sehen sich gegenseitig an.

„Fünf bis zehn Minuten? Die ersten, vielleicht drei, vier Minuten war es nur leichter Niesel, ehe es in den normalen", Jonas setzt das letzte Wort mit Mittel- und Zeigefingern in imaginäre Anführungszeichen, „Regen übergegangen ist. Erst wenige Sekunden bevor wir sie gefunden haben, wurde es zu Platzregen."

„Dann muss sie schon länger draußen gewesen sein. Wäre sie kurz bevor ihr sie gefunden habt wirklich im Gebäude gewesen, hätte sie nicht komplett durchnässt sein dürfen", mutmaßt Levi und massiert sich die Schläfen. „Was hat sie gesagt?"

„Sie meinte sie hätte dort einen Vampir gehört. Offenbar war da aber keiner."

Finn schnalzt mit der Zunge. „Sie wirkte auf einmal sehr von der Spur. Als sei sie gar nicht mehr so richtig anwesend."

„Auch auf dem Rückweg", stimmt Jonas zu. „Sie schien fast schon verstört. Ja, das trifft es ganz gut. Vielleicht hat sie dort wo sie war Leichen gesehen. Die letzten Male haben wir immer versucht sie von ihnen fernzuhalten, aber dieses Mal war niemand dabei."

Auf einmal spielt sich das Gespräch mit Sienna von vorhin in seinem Kopf und es bohren sich Dornen tief in seinen Brustkorb und setzen ein bitteres Gift frei. Verstört? Nicht nur das. So abweisend habe ich sie noch nie erlebt, fährt es Levi durch den Kopf. Und das gefällt ihm ganz und gar nicht.

„Ich finde es nicht gut, hinter ihrem Rücken zu reden", mischt sich plötzlich eine leise Stimme ein.

Levis linke Augenbraue schießt in die Höhe, als er die Halbasiatin anschaut. Dass sie sich so sehr bessern würde, hätte er nicht gedacht. Auch, wenn das vermutlich zum größten Teil Sienna zu verdanken ist.
Sie verlässt ohne weiteres Wort den Raum und Levi seufzt. „Sie hat Recht. Wir sollten morgen gemeinsam mit ihr darüber sprechen, immerhin geht es um sie."



Sienna

Ich kralle mich in meine Haare und schüttle den Kopf. Der gesamte Tag spielt sich wie ein Schnellfilm ab. Plötzlich kommt es mir selbst in meinem eigenen Zimmer vor, als würden die Wände immer näherkommen und mich zerquetschen wollen. Nach Sauerstoff ringend taumle ich einige Schritte nach vorn, wobei mein Blick auf den Schreibtisch fällt. Ich hebe meine Hände und will alles von ihm wischen, stoppe jedoch mitten in der Luft und besinne mich eines Besseren.

Keryno - Aufstand der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt