45. Die Kehrseite

25 4 5
                                    

„Hört auf!", kreischt Emily auf einmal schrill.

Fassungslos schnaube ich belustigt auf. „Aufhören? Ihr habt doch angefangen. Wieso sollte ich? Hört ihr jemals auf? Ihr bringt auch unsere Freunde, unsere Familie um und das juckt euch einen feuchten Dreck."

Schnaufend legt sie den Kopf schief und hebt eine Braue. „Wir? Stimmt das? Haben wirklich wir deine Familie getötet?"

Ich verenge die Augen zu Schlitzen. „Nein, aber ihr seid genau solche Monster. Ihr alle tötet Menschen um zu überleben und dabei ist es euch vollkommen egal, was ihr dabei anrichtet."

Sie lacht auf und verdreht mit der Zunge schnalzend die Augen. „Natürlich sind wir das." Ihre Augen funkeln mich hasserfüllt an. „Lass mich dir eine Frage stellen. Würdest du auch alle Menschen hassen und töten wollen, wenn ein Mensch deine Freunde umgebracht hätte?"

Ich presse die Lippen zusammen. Was soll das jetzt?

„Lass mich dir eine weitere Frage stellen. Wenn ein Mensch einen anderen tötet, sind dann automatisch alle Menschen böse?"

Ohne, dass ich es gemerkt habe, sind meine Schultern leicht eingesunken und ohne etwas dagegen tun zu können, haben ihre Worte einen Stein ins Rollen gebracht.

Und dieser Stein rollt immer schneller.

„Sagt man nicht immer, jeder ist ein Individuum?" Emily beißt sich auf die Unterlippe. „Nicht alle Vampire sind bösartig und wollen Menschen was Böses. Nicht alle wollten, dass es so endet."

„Genau!", mischt sich auf einmal die C-Vampirin neben ihr ein. „Aber so weit könnt ihr ja nicht denken. Ist euch oder dir überhaupt bewusst, dass viele von uns schon seit Jahren friedlich unter den Menschen leben?" Sie lacht leise auf. „Nein, natürlich nicht. Sonst wären wir tot. Weißt du wie es ist, in ständiger Angst leben zu müssen, weil man gejagt wird, weil man einer anderen Spezies angehört und sich anders ernähren muss?" Mittendrin wird ihre Stimme wird immer lauter und am Ende zieht sie die Unterlippe zwischen die Zähne. „Warum? Das ist nicht fair. Ihr esst doch auch das Fleisch von Tieren. Reißt ihre Familien auseinander, haltet sie eng zusammengepfercht in dreckigen Ställen. Quält sie. Und das, obwohl ihr sogar noch andere Optionen habt. Ihr seid kein Stück besser."

Es ist lächerlich. So lächerlich. Ich hasse diese Wesen und doch stehe ich hier und lasse mich durch ihre Worte einschüchtern. Wieso höre ich überhaupt zu?

„Halt den Mund."

Emily lacht auf. „Warum? Weil du es nicht hören willst? Weil du nicht glauben willst, dass das die Wahrheit ist und ihr bloß ein ignoranter Haufen von Feiglingen seid, die wie hirnlose Idioten das glauben was man ihnen erzählt? So wie es nicht nur schwarz und weiß gibt, gibt es auch nicht nur Gut und Böse. Wie kann man nur so einfältig denken?" Sie legt den Kopf leicht schief. „Soll ich dir mal etwas Lustiges verraten?" Sie macht eine kurze Pause. „Einige von uns waren einst Menschen. Ich bin eine davon."

Meine Augen weiten sich. „Du warst... ein Mensch?"

Die Erkenntnis trifft mich wie ein Blitz.

Natürlich! Das erklärt, warum ihre Aura anders ist. Wieso hat mir das nicht gleich eingeleuchtet? Wenn B- und C-Vampire eine wellenförmige Aura haben, die der C-Vampire nicht ganz so ausgeprägt ist und sie bei vier C-Vampiren sogar noch schwächer ist, ist es doch eindeutig. Weil ich seit dem Tag des Aufstandes kaum noch C-Vampire gesehen hatte, habe ich diesen Fakt völlig vergessen. Dass ich plötzlich auch die Formen der Auren unterscheiden kann.

Menschen, die verwandelt werden und nicht dem Wahnsinn verfallen, werden zu C-Vampiren. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ihre Aura der der Menschen extrem ähnelt. Weil sie eine Mischung aus beiden ist.

Keryno - Aufstand der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt