16. Neuer Morgen

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Nervös spiele ich mit meinen Händen und unterdrücke das Bedürfnis, mich ständig zu räuspern. Schon seit etlichen Minuten sitzen wir in diesem riesigen... Konferenzraum?

Kann man ihn als solch einen bezeichnen?

Eigentlich ähnelt er mehr einem Vorlesungsraum einer Universität.

Ganz vorn befindet sich eine große, elektrische Tafel und einige Meter vor dieser wiederum eine Mischung aus Tisch und Rednerpult. Ansonsten stehen lange Sitzbänke, die nur ab und zu von einer schmalen Treppe unterbrochen werden, in einem Halbkreis und werden nach hinten hin immer höher versetzt.

Wir haben auf jeden Fall Glück, dass wir dank Levi noch einen Sitzplatz ziemlich weit vorn bekommen haben.

Ob das wieder mit seinem Rang zusammenhängt? Hoffentlich vergesse ich nicht nachher Finn oder Jonas danach zu fragen. Falls dafür überhaupt noch Zeit bleibt, denn ich weiß jetzt schon, dass unser Tag eng bemessen sein wird.

Trotz der unzähligen Sitzmöglichkeiten müssen viele Keryno stehen.

Nicht allzu lange Zeit später taucht Kai mit acht weiteren Keryno auf, von denen sich vier links, die anderen rechts hinter ihn stellen. Sofort erheben und verbeugen wir uns. Überraschenderweise verbeugt Kai sich ebenfalls, ehe er sich auf das Rednerpult stützt und tief durchatmet.

Einer der Keryno links hinter ihm hebt seine Arme und richtet die Handflächen auf Kai. Ihre Aura verfärbt sich in ein kräftiges Gelb.

„Was machen die da?", flüstere ich fragend an Jonas gewandt.

„Das sind Kais Assistenten. Im Moment können hier nicht alle anwesend sein. Erstens ist der Raum zwar groß, aber für alle Keryno unseres Quartiers reicht er dennoch bei weitem nicht aus. Und Zweitens müssen sich viele um die Verletzten kümmern, weiterhin die Mauern bewachen, andere Kollegen wiederum versuchen die Kameras und die Magie-Sensoren in der Stadt von hier aus wieder hinzubekommen. Deswegen überträgt er das Ganze für die Anderen", wispert er zurück.

Verstehend nicke ich mit dem Kopf.

„Gestern war vermutlich der schlimmste Tag, den die Menschheit je erlebt hat", beginnt Kai und seine Stimme ist klar und deutlich zu verstehen.

Augenblicklich herrscht absolute Stille. „Das, wofür wir und unsere Vorgänger uns schon seit Jahrhunderten einsetzen, wurde binnen eines Tages, innerhalb weniger Stunden rücksichtslos mit den Füßen getreten und zerstört. Wir haben darin versagt, dieses Ereignis abzuwenden, aber was passiert ist, ist passiert. Es gibt keine Möglichkeit, die Situation draußen umzukehren oder abzubrechen. Ich weiß es ist schwer, aber wir können und dürfen nun nicht in der Trauer versinken. Wir müssen gegen Schwächen, Angriffe und weitere, unzählige Todesfälle – und die wird es geben – gewappnet sein."

Er macht eine kleine Pause und lässt seinen Blick durch den Saal schweifen.

„Doch statt uns zu demotivieren, werden sie uns zusätzliche Kraft verleihen, denn mit ihnen kommt die feste Entschlossenheit, die Vampire umso mehr bis auf den letzten auszurotten. Besonders für die Toten sollten wir bereit sein, alles zu geben, jede Schwierigkeit und alle Hürden zu überwinden, so wie wir es schon immer tun." Er malmt mit dem Kiefer. „Viele Kameraden sind von uns gegangen, doch ihre Tode sind für die gesamte Welt von großer Bedeutung. Das wird die Zukunft noch oft genug beweisen. Ihr Tod ist niemals vergebens. Wenn sie sterben, tun sie das aus einem wichtigen Grund: Sie schützten ihre Kameraden und unschuldige Menschen. Sie gaben ihr Bestes und haben alle Ehre der Welt verdient."

Kai tritt einen Schritt zurück und plötzlich steht Levi ebenfalls auf der Bühne. Überrascht schaue ich zuerst nach links und anschließend wieder nach vorn.

Keryno - Aufstand der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt