49. Notwendige Gespräche

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Was soll ich nur tun?

Ich möchte mit ihnen darüber reden. Ihnen mein Herz ausschütten. Ihnen davon erzählen, was mich seit gestern so unfassbar belastet. Mit ihnen über das Vampirkind reden, das ich vor einiger Zeit beschützt habe.

Aber ich kann nicht.

Und auf einmal überkommt mich ein merkwürdiger Gedanke.

Wie können sie so kaltblütig sein? Levis Worte von vor wenigen Wochen hallen in meinem Kopf wider. Dass selbst Vampirkinder ohne das geringste Zögern zu töten sind, weil sie genauso solche Monster werden wie ihre Eltern. Dabei sind sie doch unschuldig. Es ist wie Emily und die Anderen es sagten. Man kann es sich nicht aussuchen, als was man geboren wird.

Aber ist nicht genau wiederum das, wovon Levi gerade sprach? Dass Vampire solche Dinge mit Absicht sagen, um uns zu manipulieren? Damit wir Mitleid mit ihnen bekommen, ins Zögern geraten und leichter von ihnen getötet werden können?

Für mich klang das allerdings kaum nach Manipulation. Emily meinte es ernst. Wobei, denkt man das nicht auch, eben wenn man manipuliert wird?

Ich weiß, es ist närrisch von mir plötzlich so zu denken, obwohl ich bis vor wenigen Tagen genauso war. Auch ich habe bisher so viele Vampire getötet. Sie beleidigt, ihnen einen grausamen Tod gewünscht. Ich habe mein gesamtes zukünftiges Bestreben danach ausgerichtet, diese Monster vom Angesicht der Erde verschwinden lassen. Wie kann ich es da jetzt wagen, derartig über meine Familie zu urteilen?

Ich frage mich, ob ich diese Probleme jetzt nicht hätte, wenn ich so wie sie in der K.O. aufgewachsen wäre? Weil ich es gar nicht anders kennen würde?

Wenn sie wüssten, was ich gerade denke, während ich vor ihnen stehe...

Nein, sie dürfen es nicht wissen. Auf gar keinen Fall.

Das wird jetzt zu einem Spiel. Zu einem fiesen Spiel.

Ich setze ein Lächeln auf. „Gibt's sonst noch was? Ansonsten würde ich mich gern noch mal hinlegen, irgendwie bin ich noch ziemlich müde."

„Na klar. Vielleicht sollten wir das auch tun", entgegnet Finn mit einem schelmischen Grinsen.

Sobald ich an ihnen vorbeigelaufen bin, erlischt mein Lächeln.

Es fühlt sich so an, als würde mich ein Gummiband, dass mich mit Levi und den Anderen verbindet, mit aller Gewalt zurückziehen und dazu bringen wollen, ihnen alles bis ins kleinste Detail zu erzählen.

Doch ich kann nicht.

***

Wie ich es mir dachte, ist es unmöglich zu schlafen. Die Gedanken kreisen umher und geben mir keine Ruhe. Wären sie nicht, dann läge es an Emilys widerhallenden Worten und gäbe es diese nicht, wäre es die Angst vor den Albträumen. Vor den unzähligen roten Augen, die mich auf Schritt und Tritt verfolgen.

Das treibt mich in den Wahnsinn.

Wann hört das endlich auf?

Wie lange muss ich das noch ertragen?

Mit einem Stöhnen trete ich die Bettdecke von mir und starre an die Decke, ehe ich aufspringe und meine Schuhe anziehe. Wenn ich nicht schlafen kann, dann kann ich auch trainieren gehen, so bin ich immerhin beschäftigt.

Also schließe ich mein Zimmer ab und steuere eine der Trainingshallen an. Auf dem Weg dorthin entdecke ich allerdings Levi, wie er sich mit einigen Keryno unterhält.

Sollte ich...?

Ich schüttle leicht den Kopf und gehe weiter, bleibe jedoch einige Schritte später erneut stehen. Ich sollte mit ihm reden, denn eine Erklärung bin ich ihm mehr als schuldig. Und eine Entschuldigung. Vor allem nachdem ich ihn derartig verraten und so kalt und abweisend zu ihm war, obwohl er nichts falsch gemacht hat. Im Gegenteil. Ich hätte ihn nicht so verletzen dürfen. Ich lehne mich mit dem Rücken gegen eine Laterne, die Augen auf ihn gerichtet. Beobachte sein dunkelbraunes, beinahe schwarzes, sanft im Wind wehendes Haar und seine blauen, grau gesprenkelten Augen die selbst auf diese Entfernung funkeln. Nach nur wenigen Sekunden fliegt sein Blick zu mir und meine Lippen formen sich automatisch zu einem leichten Lächeln.

Keryno - Aufstand der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt