51. Aufkommende Zweifel

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Im Schneidersitz und mit geschlossenen Augen sitze ich auf meinem Boden und atme ruhig ein und aus. Ich stelle mir den Flow meiner Aura vor, wie sie in meinem Körper rotiert und mich von innen heraus stärkt, während sie mich zugleich von außen wie eine Art Hülle umgibt. Ich kann sie ganz genau fühlen. Langsam lasse ich sie ansteigen, immer größer werden und fokussiere mich dabei auf das Gefühl. Stück für Stück weite ich sie aus, über den Boden, die Möbel, die Wände, die Decke und über die Türschwelle zum Bad hinaus. In meinem Kopf erscheint mein Zimmer in einem goldenen Schimmer gemeinsam mit dem Badezimmer und zeigt jedes einzelne Möbelstück an. In der Mitte meines Zimmers sehe ich mich sitzen, doch im Vergleich zu den Gegenständen bin ich in ein kräftiges, strahlendes Gold getränkt. Ich sehe alles ganz genau, als würde ich normal mit meinen Augen schauen.

Aber was ist das da unter meinem Bett?

Im Gegensetz zu dem Rest sehe ich nur einen sehr schwachen, schwarz-gräulichen Umriss. Egal wie sehr ich mich auch konzentriere, ich kann nicht erkennen was es ist. Es sieht auf jeden Fall sehr dünn und flach aus. Ein Bild vielleicht? Ich ziehe meine Aura zurück, krabble zum Bett und schaue darunter. Es ist tatsächlich ein Bild.

Ich verziehe das Gesicht und ziehe es schnell hervor. Urgh, ist das ekelhaft. Ich sollte da unbedingt mal mit einem Besen drunter oder so, da lebt ja schon der Tod so staubig wie das ist.

Ich lache leise auf. Schade. Wäre cool gewesen, wenn es etwas Besonderes gewesen wäre.

Aber was ist das?

Die Karte ist völlig zerknittert und mit dicken Fusseln übersät. Ich puste über beide Seiten und wedle das Bild einige Male in der Luft.

„The False One" steht ganz oben in einer dicken Schrift.

Darunter sind zwei Mädchen abgebildet, die mit dem Rücken zueinanderstehen und jeweils in einen Spiegel schauen. Beide tragen extravagante, wunderschöne Kleider aus einer längst vergangenen Zeit. Das linke Mädchen hat braunes, leicht gewelltes Haar, die Arme verschränkt und die rechte Hand auf die Wange gelegt, die Lippen zu einem boshaften Grinsen verzogen. Ihr Spiegelbild ist jedoch das genaue Gegenteil. Die Arme hängen schlaff neben dem Körper, das Gesicht tränenüberströmt und am Hals ist eine fette Blutspur rundherum. Das rechte Mädchen hat strahlend blondes Haar das im Lichtschein den Eindruck erweckt, es wäre aus Gold. Hier ist es umgedreht. Ihr Spiegelbild hat den Kopf mit einem noch teuflischeren Grinsen leicht nach hinten gelehnt und das atemberaubende Kleid ist mit Blutflecken durchtränkt.

„Nicht alles ist das, was es vorgibt zu sein" steht in einer schnörkligen Schrift auf dem unteren Teil des Bildes geschrieben.

Das Buch kenne ich! Ihr Leben lang wurde Clary, das linke Mädchen, für die Böse gehalten. Sie kommt aus der mächtigsten Familien nach der Königsfamilie, allerdings starb ihre Mutter bei ihrer Geburt, weshalb ihr Vater und ihr vier Jahre älterer Bruder sie über alles hassten. Von allen ignoriert, war ihre Kindheit von Einsamkeit und Dunkelheit geprägt. An ihrem elften Geburtstag adoptierte ihr Vater die gleichaltrige Mary. Während Erstere ein Leben im Schatten lebte, badete Mary im Licht. Obwohl Clary bereits in der Hölle lebte, machte Mary es noch viel schlimmer. Sie schmiedete die teuflischsten Pläne, nur um Clary die Schuld zuzuschieben, doch egal wie oft sie sich zu verteidigen versuchte, niemand glaubte ihr. An ihrem sechzehnten Geburtstag wurde sie beschuldigt, die Kronprinzessin und Mary vergiftet zu haben, wofür sie in aller Öffentlichkeit geköpft wurde. Anschließend wacht sie genau einen Tag vor ihrem elften Geburtstag auf. Sie war in der Zeit zurückgereist und bekam die Chance, alles zu ändern.

Sam und ich waren damals riesige Fans von diesem Buch und ich weiß noch, wie uns diese Kuh aufgeregt hatte. Als wäre es gestern gewesen.

Ein penetrantes Stechen zieht sich durch meinen Kopf, ehe ein Bild von Vampiren und Keryno in ihm aufploppt.

Keryno - Aufstand der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt