Kapitel 58

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Zum Vormittag hin hatte ich das Gefühl, dass immer mehr Menschen kamen. Die Springprüfungen waren wohl eindeutig interessanter als die Dressurprüfung. Ich stand schon in Shadows Box um ihn zu satteln.  Meine Familie hatte ich gebeten nicht mit in den Stall zu kommen, da Shadow auf Fremde meist nicht so freundlich reagierte. Es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung gewesen. Als ich gekommen war hatte der Wallach das Treiben draußen durch sein Fenster beobachtet. Ich hatte seine Anspannung schon bemerkt, als ich seine Boxentür geöffnet hatte und auch jetzt, während ich ihn fertig machte, wollte er einfach nicht still stehen. Immer wieder lief er hin und her und drehte nervös seine Ohren. "Das ist ihm alles nicht so geheuer", meinte ich zu Mali, die mir nun den Sattel brachte. Sie musterte ihr Pferd ebenfalls mit besorgtem Blick, der junge Wallach stand eindeutig unter Stress. "Wer weiß was Tuniere für ihn früher bedeutet haben", meinte Mali nachdenklich und legte den Sattel auf Shadows Rücken. Wir brauchten doppelt so lange wie sonst um Shadow endlich fertig zu machen und verließen dann etwas spät den Stall. Draußen schoben sich Menschen an uns vorbei, Kinder riefen und fremde Pferde wieherten. Shadow tänzelte nervös neben mir her, er hatte seinen Schweif aufgestellt, in dem ein rotes Band leuchtete. "Hoffentlich kommt jetzt nicht Herr Lenning", meinte Kasmir, die uns in der Menge leicht ausgemacht hatte und zu uns gekommen war. Shadows Augen waren weit aufgerissen, sein Blick flackerte hin und her. Meine Finger klammerten sich um seine Zügel, vielleicht hatte Megan recht gehabt und wir würden es wirklich nicht einmal bis zum Einritt schaffen. Zumindest war ich heilfroh, als wir nun die Abreitehalle betraten, wo es deutlich ruhiger war. Marko hatte Frau Lodrig von den schweren Bedingungen in der Abreitehalle bei den Sichtungsspringen erzählt und großen Wert darauf gelegt, dass es hier besser klappen würde. Trotzdem wuselten um uns Pferde und Menschen. "Ich glaube wenn ich gleich aufsitze kann es gut sein, dass er einmal losspringt", meinte ich nun zu Mali und Kasmir, "Wenn Herr Lenning das sieht sind wir geliefert" "Wo ist der eigentlich?", fragte Mali und ließ ihren Blick durch die Halle schweifen. "Vorhin war er am Kuchenstand", antwortete Kasmir und klopfte dem aufgereckten Pferd den Hals. "Er darf nicht hier in die Halle kommen", sagte ich ernst und blickte ebenfalls zu Tür. Wenn Herr Lennig sah, wie Shadow hier gleich mit mir Rodeo spielte wäre alles vorbei. "Kein Problem", grinste Kasmir nun und schob sich an uns vorbei, "Euer Ablenkungsmanöver ist schon auf dem Weg" Ich lächelte meine Freundin an. "Danke", sagte ich aus tiefsten Herzen, doch Kasmir winkte nur ab und verschwand aus der Halle. "Bereit?", fragte Mali und ergriff Shadows Zügel, damit ich aufsteigen konnte. Ich nickte, würde schon schiefgehen. Ich setzte den linken Fuß in den Steigbügel und musste erstmal einbeinig hinter Shadow herhopsen, der mal wieder nicht stehen bleiben wollte. Mali hatte auch ganz schön ihren Schaff, da der Wallach nun androhte vorne hoch zu gehen. Ich biss die Zähne zusammen und stieß mich mit dem rechten Bein ab. Unsanft landete ich im Sattel, woraufhin Shadow sofort mit dem Kopf schlug. Mali hielt noch immer die Zügel, während ich versuchte meinen anderen Steigbügel aufzunehmen. Schnell nahm ich dann noch die Zügel richtig auf und nickte Mali zu. Sie musterte mich noch einen Moment mit unsicheren Blick, doch ließ dann die Zügel los. Ich schickte Shadow gleich ganze Bahn, doch der Wallach hatte eindeutig keine Tunierlaune. Unwirsch schlug er mit dem Kopf und wollte immer wieder rückwärts gehen. Nervosität strömte durch meinen Körper und ich merkte wie ich mich verspannte. Doch ich kämpfte dagegen an und versuchte mich nicht mit den Beinen festzuklammern. "Ohje, was ist denn das für ein Gaul?", hörte ich die Stimme von Trina, sie saß auf einem dunkelbraunen Pferd ohne Abzeichen, "Die hat ja nur so verrückte Biester" Ich biss die Zähne zusammen, ich würde mich nicht provozieren lassen. Nach ein paar Minuten ließ ich Shadow antraben, woraufhin der Wallach ersteinmal auf der Stelle bockte. Ich stellte mich fest in die Steigbügel und ließ ihn gewähren, was anderes konnte ich im Moment eh nicht tun. Ein Raunen ging durch die Halle, während sich Shadow unter mir austobte. Doch nach fünf Minuten war sein Dampf verpufft und er ließ sich ordentlich reiten. Natürlich versuchte er heute mehr denn je unter mir wegzurennen und ich hatte ordentlich zu tun, aber durch seine Bockerei hatten wir nun zumindest ausreichend Platz. Plötzlich ritt aber Trina mit ihrem Pferd zu dicht an uns vorbei und streifte Shadows Flanke mit ihrer Gerte. Sofort riss Shadow den Kopf hoch und trat nach der Gerte. Nur um ein paar Zentimeter verfehlte er Trinas Pferd, doch ich landete unsanft auf Shadows Hals und wurde ordentlich durchgeschüttelt. "Sag mal spinnst du?", fuhr ich Trina an, als ich mich wieder aufgerichtet hatte, "Da hast du jetzt mehr Glück als Verstand gehabt, dass Shadow dein Pferd nicht erwischt hat" Trina musterte mich nur biestig, "Dein Gaul hat sie ja wohl auch nicht mehr alle. Tritt wenn man ihm nur zu nahe kommt" Nun packte mich doch die Wut. "Deswegen hat er ja das Band im Schweif", fuhr ich sie an, "Mach einfach mal deine Augen auf und träum nicht von Erfolgen die du so nicht haben wirst" Damit ließ ich Shadow angaloppieren. "Sprung frei!", rief ich laut und deutlich und steuerte den Steilsprung an. Jetzt erst recht!

"An den Start geht nun die Nummer 24 Amber Kessler mit Black Shadow", ertönte die Stimme aus den Lautsprechern. Ich hatte die Beine fest am Pferd und schob Shadow durch den Einritt. Nervös trabten wir auf den Platz, die Zuschauerreihen waren brechend voll. Wo war Sprung eins nochmal gewesen? Ich blickte mich unsicher um, Shadow knirschte mit den Zähnen und zog gegen die Zügel. Ihm war die Sache hier auch nicht geheuer, als ich nun vor den Richtertisch ritt um zu grüßen. Mali stand mit Kasmir am Eingang, zwischen den Zuschauern entdeckte ich meine Eltern. Ich atmete tief durch, meine Angst war gerade nicht sehr hilfreich. Shadows Ohren waren steil gespitzt und ich glaubte seinen Herzschlag durch den Sattel zu hören. Ich atmete aus, wir würden es schaffen. Die Zuschauer verschwammen vor meinen Augen und wurden eine ferne Masse. Der Lärm drang nicht mehr zu meinen Ohren, als sich plötzlich mein Blick auf einen Menschen fokusierte, der in der letzten Reihe stand und mich kritisch beäugte. Es war Herr Lenning, sein Blick war ausdruckslos auf Shadow und mich gerichtet. Ich glaubte sogar das kratzen seines Bleistiftes zu hören, als er sich etwas auf seinem Klemmbrett notierte. Shadow scharrte nervös unter mir und ich wendete den Blick ab. Ich durfte mich jetzt nicht ablenken lassen. Ein Glöckchen erklang, der Start war frei. "Und los Shadow", raunte ich dem Wallach zu, dessen Ohr kurz nach hinten zuckte, "Jetzt müssen wir uns beweisen" Ich ließ Shadow angaloppieren, sofort schlug der Wallach übermütig nach hinten aus, doch ich hatte den ersten Sprung schon ins Auge gefasst. Ein Steilsprung, ich merkte wie sich Shadow verspannte und langsamer wurde. Meine Finger verktamoften sich um die Zügel und schon passierte es. Shadow brach mir vor dem Sprung aus und rannte an der Seite vorbei, doch diesen Weckruf hatte ich gebraucht. Plötzlich fiel die Anspannung von meinen Schultern, ich durfte nicht auf ein Wunder hoffen, sondern musste mein Glück selbst in die Hand nehmen und reiten. Ein Raunen der Menge drang an mein Ohr. Im leichten Sitz nahm ich nun erneute einen großen Anlauf zum Sprung, ich würde reiten. Ich setzte mich tief in den Sattel und ließ Beine und Zügel dran. "Los Shadow", murmelte ich, "Ganz oder gar nicht" Doch wir wollten beide! Mit gespitzen Ohren zog Shadow den Sprung an und drückte ab. Ich meinte Kasmir triumphierend rufen zu hören, doch mein Blick blieb fest auf dem Pacours gerichtet. Adrenalin rauschte durch meinen Körper und auch Shadow hatte nun zum Angriff aufgerufen. Nur sein Hufschlag war zu hören, ansonsten war es totenstill, als würden alle den Atem anhalten. Wie ein Rennpferd wollte er die nächsten Sprünge angreifen, doch ich hielt ihn zurück. Die Kombination lag nun auch hinter uns, Shadow bohrte gegen die Zügel und ich hatte meine Mühe ihn zur Distanz zu lenken. Als er nun die Sprünge sah, hörte er sofort auf zu meckern und ließ sich brav vor dem Einsprung zurücknehmen. Im sauberen Fluss kamen wir durch die Distanz. Ich richtete mich zu voller größe im Sattel auf, Shadow hatte mir soeben neues Selbstbewusstsein gegeben. Gleichzeitig fixierten wir den Oxer, den es als nächstes zu überwinden galt. Wir beide wollten nur eins: darüber springen. Schon lag der Oxer hinter uns und wir bogen auf die letzte Linie ab. Ich sammelte meinen ganzen Mut und gab Shadow Paraden um ihn auf das was nun kam vorzubereiten, doch mein Pferd hatte selbst aufgepasst und sein Tempo eigenständig angepasst. Wie von selbst nahm er die letzten Sprünge und ich ließ mich einfach mitziehen. Voller Verwunderung stellte ich fest, dass Shadow nun nicht mehr raste oder gegen die Zügel bohrte, als wäre bei ihm der Knoten geplatzt. Das letzte Hindernis war nun in Sicht. Wieder eine Kombination, die Shadow schon von weitem ins Auge gefasst hatte. Mit gespitzen Ohren zog er die Sprünge an. Ich ließ den Zügel dran, doch konnte nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf mein Gesicht stahl. Es passte einfach perfekt. Mit großen Sprüngen flog Shadow durch die Kombination. Als wir nun das Ziel passierten, wurden wir auch schon von lautem Beifall empfangen. Mein Blick wurde wieder klarer und die Musik drang nun laut in meine Ohren. Was für ein Pferd! Ab der Hälfte des Pacours hatte ich gedacht, dass ich das Pferd gewechselt hatte. So sicher war ich sonst nur mit Bella gesprungen. Der Wallach war wie ein altes Schulpferd durch den Pacour marschiert. Überschwänglich klopfte ich meinem Pferd den Hals. Was für ein Ritt! In den Zuschauereihen sah ich meine Familie, die sogar aufgestanden war und am lautesten jubelte. "Super Shadow", rief ich meinem Pferd zu und ließ es eine Runde um die Sprünge galoppieren. "Für diesen Ritt erhält das Paar eine 6,7", ertönte es durch die Lautsprecher. Ich klopfte meinem Pferd den Hals. Dafür, dass wir einen Fehler durch die Verweigerung am ersten Sprung hatten, war das wirklich in Ordnung. Ich trabte nun zu Mali und Kasmir nach draußen, die Shadow und mich dort mit offenen Armen empfingen. Wie wild redeten sie durcheinander und lobten den jungen Wallach, der soeben über seinen eigenen Schatten gesprungen war. Doch mein Blick flog nun zu Herr Lenning. Der Mann stand noch immer da und machte sich emsig Notizen. Sein Blick war undurchdringbar, hatten wir ihn überzeugen können?

Black Shadow - GefundenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt