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D A V I N A |  1 1  A P R I L

Enzo zieht den Schlüssel aus dem Schloss, greift an den Griff und öffnet die Tür. Ein Windstoß frische Luft stößt mir entgegen und ein Seufzen entfährt mir.

Ich trete einen Schritt nach vorne und will eilig an Enzo vorbeilaufen, bevor er die Tür wiederschließt und mir sagt, dass das nur ein Spaß war und mein Weg nach draußen wieder verschlossen ist, aber mein Entführer hält mich auf, in dem er mich an der Taille festhält.

„Nicht so schnell, cielo", raunt er. „Du benimmst dich und machst was ich dir sage, verstanden?"

Zögerlich nicke ich. Was passiert jetzt?

Enzo lässt mich los. Hastig schlüpfe ich an ihm vorbei aus der Tür und laufe die ersten beiden Treppenstufen runter. Kurz bleibe ich stehen und atme die frische Luft ein.

Eine Hand legt sich auf meinen Rücken und vorsichtig werde ich die restlichen Treppenstufen runter bugsiert.

Im selben Moment wird ein Auto vorgefahren. Ein schwarzer SUV. Die Beifahrertür öffnet sich und ein Mann, ich schätze ihn auf Mitte fünfzig, steigt aus. Er nickt Enzo zu, sagt etwas auf einer anderen Sprache zu Enzo und öffnet die hintere Tür des SUVs.

Mein Entführer schiebt mich zum Wagen.

„Steig ein", fordert er mich auf.

Stumm befolge ich seine Anweisung und klettere auf die Rückbank des Autos. Enzo nimmt neben mir Platz und die Autotür wird leise geschlossen.

Während ich mich anschnalle, steigt der Mann, der uns vorhin die Autotür geöffnet hat, ebenfalls wieder in den Wagen und der Fahrer, ich schätze diesen auf Mitte zwanzig, startet den Motor.

Langsam rollt der SUV den Weg entlang bis zu dem silbernen Eisentor, das sich wie letztes Mal automatisch öffnet, als wir davorstehen.

Die Autofahrt verläuft ruhig.

Ich starre aus dem Fenster und beobachte erst die Landstraßen, die an uns vorbeiziehen und dann die großen Gebäude von Denver, bis wir plötzlich vor einem Friedhof halten.

Mein Herz setzt einen kurzen Moment aus.

Ich starre durch das Fenster auf den Eingang des Friedhofes und bewege mich nicht. Mein Vater liegt auf diesem Friedhof. Was machen wir hier?

Plötzlich tritt der Fahrer des SUVs in mein Blickfeld und öffnet die Tür.

Ich schnalle mich ab und klettere aus dem Auto. Enzo ist ebenfalls ausgestiegen und kommt neben mir zum Halt.

Ich trete ein Stück vom Auto weg, sodass die Autotür wieder geschlossen wird und lasse mich von Enzo, der unbemerkt seine Hand auf meinem Rücken platziert hat, in Richtung eines kleinen Friedhofskiosk schieben.

„Hallo, was kann ich für Sie tun?" fragt uns ein älterer Herr freundlich, als wir vor dem Kiosk zum Stehen kommen.

„Such dir einen Blumenstrauß aus, cielo", sagt Enzo an mich gewandt und ignoriert somit den freundlichen Herren vom Kiosk.

Ich schenke dem Herrn einen entschuldigenden Blick, was er mit einem kleinen Lächeln abwinkt, und schaue hinter ihn zu den Blumensträußen.

Nachdem ich alle gemustert habe, zeige ich auf einen Blumenstrauß, den ich schön finde. Ich will nicht, dass es jetzt irgendwelche Probleme gibt. Der Verkäufer scheint nett zu sein und ich will nicht, dass ihm etwas passiert.

Der Kioskverkäufer nimmt den Blumenstrauß aus der Vase und hält ihn mir hin. Rasch trete ich einen Schritt vor und nehme den Blumenstrauß entgegen. „Danke schön."

„Darf es noch etwas sein?"

Ich sehe im Augenwinkel, wie Enzo mit einem Kopfschütteln antwortet und dem Mann einen Geldschein in die Hand drückt.

„Komm." Mein Entführer dreht sich vom Kiosk weg und läuft in Richtung Friedhofeingang.

Er ist immer so freundlich.

„Schönen Tag noch", wünsche ich dem Kioskverkäufer, bevor ich mich ebenfalls umdrehe und mit schnellen Schritten zu Enzo aufschließe. Die beiden Männer von vorhin stoßen ebenfalls zu uns, sodass wir nun zu viert den Friedhof betreten und den Hauptweg entlang gehen.

Langsam laufe ich zwischen den Männern her und lasse meinen Blick einmal schweifen. Vielleicht schaffe ich es zu fliehen. Ich war schon oft auf diesem Friedhof und ich weiß, dass es zwei Eingänge gibt. Den, durch den wir den Friedhof soeben betreten haben und einen weiteren weiter hinten.

Mein Blick gleitet zu dem Wald, der sich hinter dem Friedhof befindet. Wenn ich es durch ihn schaffe, gelange ich an eine Hauptstraße. Das wäre meine Chance.

Die beiden Männer bleiben stehen, während Enzo, wie schon oft heute, eine Hand auf meinen Rücken legt und mich in einen kleinen Weg hineinführt.

Ich zähle sechs Gräber auf der linken Seite, bevor ich das Grab meines Vaters sehe und schlucken muss.

Fragen schwirren in meinem Kopf, als Enzo seine Hand von meinem Rücken nimmt und ich an das Grab meines Vaters ran trete.

Woher weiß Enzo, dass mein Vater tot ist?

Woher weiß Enzo, dass heute der Todestag meines Vaters ist?

Woher weiß Enzo, wo sich das Grab meines Vaters befindet?

Wieso hat er mich hergebracht?

Ein Schluchzen entflieht meinem Mund, als ich alle Fragen beiseitedränge und das Grab meines Vaters mustere.

Jonathan Wilson
03.12.1971 - 11.04.2018
Geliebter Vater, Sohn und Ehemann

Ein frischer Blumenstrauß liegt auf dem Grab und ein kleines schon fast ausgebranntes Teelicht steht am Rand. Ein Feuerzeug liegt daneben.

Jemand war schon hier. Meine Mom war schon hier.

--∆--

A/N:

Heyy!  :)

Wie war euer Tag bisher so?

Wie fandet ihr Enzo heute?

Meinung generell zum Kapitel?

Ich wünsche euch noch einen schönen restlichen Tag und hoffe, dass ich euch mit dem Kapitel eine kleine Freude machen konnte :)

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