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D A V I N A |  1 1  A P R I L

Die Tür wird hinter mir geschlossen, ein Schlüssel wird im Schloss gedreht und Schritte entfernen sich.

Stille umhüllt mich, als ich auf den Boden sinke. Eine Träne befreit sich aus meinem rechten Auge und kullert meine Wange hinunter.

Gegen die Tür hämmern wäre zwecklos, das hat mir Santiago bereits mitgeteilt.

Ich schraube die Wasserflasche in meiner Hand auf, setzte sie an meinen Mund an und lasse das kühle Wasser meine brennende Kehle runterlaufen.

Weitere Tränen kullern über meine Wangen. Eine Träne streift meine Lippen. Und noch eine. Der salzige Geschmack mischt sich mit dem kühlen Wasser. Trotzdem trinke ich weiter. Ich trinke weiter, bis die Flasche leer ist. Erst dann setzte ich sie ab und stelle sie neben mich auf den Boden.

Das Brennen meiner Kehle ist versiegt, meine Tränen jedoch nicht. Sie kullern weiter über meine Wangen. Wie viel kann ein Mensch weinen?

Weitere Minuten verstreichen. Ich sitze immer noch auf dem Boden. Mein Blick geht ins Leere und ein Schluchzen entfährt mir. Wieso ich? Wieso muss mir sowas passieren? Was habe ich getan, dass ich so bestraft werde?

Meine Blase drückt und will genauso wie die Wasserflasche zu vor geleert werden. Mein Magen knurrt, auch wenn ich absolut keinen Appetit verspüre. Eine Mischung aus einem Gähnen und einem Schluchzer entfährt mir.

Mühsam rapple ich mich endlich vom Boden auf und laufe auf das große Bett zu. Ich lasse mich darauf sinken, lege mich auf die Seite und ziehe meine Beine an meinen Körper.

Ein erneuter Schluchzer lässt meinen Körper beben. Wieso ich?

Weitere Zeit vergeht. Immer noch liege ich zusammengekauert auf dem Bett. Vereinzelte Tränen laufen noch über meine Wangen, genauso wie vereinzelte Schluchzer meinem Mund entkommen.

Am liebsten würde ich schreien. Schreien, bis meine Stimme weg ist und meine Kehle wieder brennt, jedoch entkommen meinem Mund nur ein weiterer Schluchzer. Der Schrei bleibt mir im Hals stecken.

Meine Blase drückt weiterhin und bettelt förmlich danach entleert zu werden. Bevor ich jedoch weiter daran denken kann, höre ich, wie ein Schlüssel von außen ins Schloss gesteckt wird und anschließend gedreht wird.

Eilig setze ich mich auf und blicke zur Tür, die noch im selben Moment geöffnet wird. Jimenas Kopf kommt zum Vorschein, bevor sie ganz die Tür öffnet, rasch den Raum betritt und die Tür wieder schließt.

Verwirrt sehe ich die Frau an. Was macht sie hier? Ein besorgter Gesichtsausdruck liegt auf ihrem Gesicht, als sie mich mustert. Sie kommt auf das Bett zu und zieht meinen sitzenden Körper in ihre Arme.

Die Tränen, die über meine Wangen kullern, vermehren sich wieder. Mein Körper bebt in Jimenas Armen. Ich vergrabe mein Gesicht in ihrem Bauch und schlinge meine Arme, so als wäre sie der Anker, der mich vor dem Ertrinken rettet, ebenfalls um sie.

„Was machst du nur, Kind?" murmelt Jimena leise, eher zu sich selbst. Sie hält mich noch einen kurzen Augenblick fest, bevor sie sich wieder von mir löst und mich ansieht.

„Wir haben nicht viel Zeit. Santiago hat gerade die Villa verlassen. Ich weiß nicht, wie lange er wegbleibt oder wann Mr. García nach Hause kommt. Wir müssen uns beeilen. Ich kann dir nicht helfen zu fliehen, es tut mir leid, aber ich will dich wenigstens ins Bad bringen. Du musst bestimmt auf die Toilette oder willst dir einfach nur dein Gesicht waschen", sagt Jimena. Während sie redet, sieht sie immer wieder nervös zur Tür.

Wortlos stehe ich vom Bett auf und folge der Haushälterin, die schon wieder auf dem Weg zur Tür ist. Ich kann es ihr nicht verübeln, denn ich will genauso wenig, wie sie wissen, was passiert, wenn sie hier erwischt wird. Für mich klingt das nämlich so, als hätte sie keine Befugnis hier zu sein. Bei mir. In diesem Raum. Dass sie das gerade für mich riskiert ...

Leise öffnet Jimena die Tür einen Spalt breit und lugt heraus. Anscheinend sieht sie niemanden, denn sie öffnet die Tür nun ganz und verlässt das Zimmer.

Ich unterdrücke meine Tränen, genauso wie meine Schluchzer und folge der Haushälterin. Gemeinsam laufen wir den Flur entlang, bis wir am Badezimmer ankommen und Jimena die Tür öffnet.

Rasch schlüpfe ich an ihr vorbei ins Zimmer und schließe leise die Tür hinter mir. Ich entleere meine Blase auf der Toilette und wasche meine Hände am Waschbecken. Anscheinend spritze ich mir eine kalte Ladung Wasser ins Gesicht und sehe in den Spiegel. Müde Augen sehen mir entgegen.

Schnell wende ich meinen Blick wieder ab, ziehe mir das T-Shirt, dass ich gerade trage, über den Kopf und hole mir ein kleines Handtuch von der Kommode neben der Dusche. Ich öffne den Wasserhahn erneut und halte eine Ecke des Handtuches unter Wasser.

Als die Ecke nass ist, wische ich mir damit unter beide Achseln und versuche somit den Schweiß wenigstens ein bisschen von meinem Körper zu entfernen. Wenn ich duschen gehen würde, würde es auffallen. Außerdem bräuchte das Duschen in diesem Augenblick Zeit. Zeit, die ich nicht habe.

Nachdem ich das Handtuch erneut nass gemacht habe und auch über meine Arme gegangen bin, wasche und drücke ich es aus und hänge es über das Waschbecken.

Meine Handlungen passieren auf Autopilot. Zumindest erkläre ich es mir so. Eine andere Erklärung dafür, dass ich das gerade noch schaffe, habe ich nicht.

Ich bin fertig. Ich möchte einfach nur aus diesem beschissenen Albtraum aufwachen. Ich möchte aufwachen und von Dad in die Arme genommen werden. Möchte, dass er mir über den Rücken streicht und mir sagt, dass ich nur schlecht geträumt habe und alles okay wäre. Dass ich nur schlecht geträumt habe, er lebe und ich nicht bei Enzo wäre.

Meine Gedanken werden von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. „Davina?" vernehme ich Jimenas gedämpfte Stimme durch die Tür.

„Ich komme sofort", rufe ich. Hektisch hebe ich das T-Shirt, das ich zuvor zu Boden fallen gelassen habe, auf und streife es mir über.

Ich atme einmal tief durch und fahre mir durch die Haare. Dann eile ich zur Badezimmertür und öffne sie vorsichtig.

Jimena kommt zum Vorschein. „Ich weiß nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt, weswegen du lieber wieder in dein Zimmer solltest." Entschuldigend sieht sie mich an.

Ich nicke, denn ich verstehe sie. Während wir den Flur entlang zurück zum Zimmer laufen, gleitet mein Blick zur Treppe. Vielleicht ist die Haustür unten nicht abgeschlossen...

Ich schüttle kaum merklich den Kopf und unterbreche somit meine Gedanken. Das ist egoistisch. Ich bin egoistisch. Daran sollte ich nicht denken. Jimena hat gerade ziemlich viel für mich aufs Spiel gesetzt. Vielleicht sogar ihr Leben, nur damit ich auf die Toilette gehen kann. Außerdem würde ich höchstwahrscheinlich, selbst wenn die Tür öffnen wäre, nicht weit kommen. Draußen sind zu viele von Enzos Leuten.

Ich wende meinen Blick von der Treppe ab. Er trifft auf Jimenas. Ihr Blick ist flehend, ängstlich. Ich werde es nicht tun.

Unser Blickkontakt wird unterbrochen, als ich das Zimmer betrete und ihr den Rücken zu kehre. Vielleicht unterschreibe ich so gerade mein eigenes Todesurteil, aber besser mein als das der unschuldigen, netten Haushälterin.

„Es tut mir leid, Davina", ertönt ein leises Flüstern. Ein paar Sekunden später das Schließen der Tür. Dann das Umdrehen des Schlüssels im Schloss und schließlich leise, kaum hörbare Schritte, die sich entfernen.

Weitere Sekunden verstreichen, bevor ich erneut auf die Knie sinke. Es kommen keine Tränen mehr. Vielleicht sind sie jetzt aufgebraucht. Ich weiß es nicht. Das elendige Gefühl schreien zu wollen steckt immer noch in meinem Hals. Ich will es rauslassen, den Schrei rauslassen, aber es geht nicht. Es geht nicht.

--∆--

A/N:

Einen wunderschönen guten Abend!

Wie geht's euch? Alles klar bei euch?

Was haltet ihr von Jimena? Ich find sie süß.

- Stille -

Okay, da ich offensichtlich nichts mehr zu sagen habe, wünsche ich euch einen schönen Abend und ein schönes Wochenende! :)

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