Everly:
Das Gras ist noch nass vom Tau, als ich über die Wiese des kleinen Friedhofs laufe, der sich ganz bei uns in der Nähe befindet. Alles wirkt sehr natürlich und vermittelt in keinsterweise diese düstere Friedhofsatmosphäre.
Das war ihm wichtig. Er wollte nie auf einem klassischen Friedhof beerdigt werden, sondern in einer Urne auf einer Art Waldfriedhof. Darüber haben wir vor seinem Tod lange gesprochen.
Schon von weitem erkenne ich die Stelle, an der er liegt.
Alles ist voll mit Blumen, Gestecken, Bildern und Kerzen. Viele unserer Freunde scheinen schon hier gewesen zu sein und haben eine Kleinigkeit vorbeigebracht.
Nur ich komme erst jetzt. Das schlechte Gewissen und die darauffolgende Übelkeit zwingen mich beinah in die Knie und ich komme mir ziemlich egoistisch vor.
Ich war noch nicht einmal hier, weil ich es nicht geschafft habe, es über mich zu bringen.
Ich weiß, dass jeder anders trauert und seine Zeit braucht, aber trotzdem komme ich mir so vor, als hätte ich ihn im Stich gelassen.
Während meine Gedanken darum kreisen, komme ich der Stelle immer näher, bis ich schließlich vor ihr stehe.
Mein Blick fällt auf den kleinen Stein und die darin eingravierte Schrift mit seinem Namen darauf.
Tyler Watson geb. 18.03.1999 gest. 28.08.2020
Mir schießen augenblicklich die Tränen in die Augen, während ich mich langsam zu Boden sinken lasse. Meine Beine zittern ohnehin so stark, dass ich nicht mehr stehen könnte, selbst wenn ich es wöllte. Mein Kopf füllt sich mit Erinnerungen, die wie ein Film vor meinen Augen ablaufen.
In diesem Moment sehe ich alles nochmal, auch wenn sich das komisch anhört. Ich sehe uns. Als alles noch gut war und wir einfach nur glücklich waren. Unser erstes Date, unseren ersten Kuss. Jeden kleinen schönen Augenblick, den wir zusammen erlebt haben. Ich spüre wie meine Wangen feucht werden, während ich an die guten Zeiten zurückdenke und meinen Tränen freien Lauf lasse.
Und so sitze ich dort. Auf dem Boden und weine um den Jungen, den ich so sehr geliebt habe.
Drew:
Das Frühstück mit unseren neuen Nachbarn war eigentlich ganz nett, aber trotzdem bin ich froh, als wir wieder zu uns rüber gehen.
Nach Hause, wie meine Mutter es nennt.
Ich frage mich, ob dieser Ort jemals mein zuhause sein wird. Mein zu Hause ist Chicago, 2000 Meilen entfernt von hier entfernt und obwohl ich mir damals nichts mehr gewünscht habe, als von dort weg zu kommen vermisse ich es jetzt.
Dort kannte ich wenigstens irgendwelche Leue und hatte auch ein paar echte Freunde. Hier beschränkt sich meine einzige Bekanntschaft auf ein Mädchen, das mich nicht leiden kann und zwei Erwachsene im Alter meiner Eltern.
Gedankenverloren stelle ich einen Umzug Karton auf meinen Schreibtisch. Mal abgesehen von der Matratze, die auf meinem Fußboden liegt, ist es das einzige Möbelstück in dem kleinen Raum. Alles wirkt noch ganz unpersönlich und ich bin heilfroh, wenn heute endlich ein Teil unserer Möbel geliefert wird und ich mit dem Auspacken anfangen kann.
Ich krame meinen Laptop aus der Kiste und setze mich damit auf mein provisorisches Bett. Dann öffne ich die Website der UCLA. Obwohl ich absolut keine Lust auf diese Universität habe, kann ich mir ja wenigstens mal den Campus im Netz und das Studienangebot ansehen. Denn nach Chicago ist eins klar: Meine Studienfächer sind für mich absolut gestorben.
Allerdings habe ich auch keine Ahnung, was ich ansonsten studieren soll und ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, wie ich meinen Eltern klar machen will, dass es sinnvoll ist, nach zwei Jahren die Hauptfächer zu wechseln. Ich scrolle ein bisschen durch die Studienangebote, finde aber nicht wirklich etwas, dass mir gefällt, weshalb ich nach ca. 20 Minuten meinen Laptop frustriert zu klappe. Und weil etwas anderes meine Aufmerksamkeit erregt hat.
Mein Blick wandert zu meinem Fenster und von dort aus zum Nachbarhaus, wo Everly gerade ihr Zimmer betritt. Auch wenn ich es nicht gut erkennen kann, weil ich dafür einfach viel zu weit weg bin, ist ihr deutlich anzusehen, dass was auch immer sie in den letzten zwei Stunden erlebt hat, sie ziemlich aufgewühlt haben muss.
Ihre Arme hängen schlaf hinunter und sie lässt sich mit einem solchen Schwung aufs Bett fallen, dass es ein Wunder ist, dass dieses nicht unter ihr zusammenbricht.
Du weißt schon, dass das ziemlich Stalker Haft klingt oder, zischt mich meine innere Stimme an.
Sie hat nicht ganz Unrecht. Ich benehme mich ein bisschen wie dieser Stalker Vampir in diesem grauenvollen Teenie Film, den meine Schwester aus welchem Grund auch immer abgöttisch liebt. Den Hype darum habe ich irgendwie noch nie verstanden.
Da ich ja schlecht Everly die ganze Zeit anstarren kann, schnappe ich mir meine Jacke und laufe die Treppe hinunter. Laut meinen Eltern dauert es noch ungefähr zwei Stunden, bis der Möbeltransporter ankommt und die kann ich auch nutzen, um ein bisschen die Gegend zu erkunden. Mir fällt nämlich auf, dass ich nicht einmal weiß, wo hier der nächste Supermarkt ist.
Also aktiviere ich Google Maps, setzte mir eine Stecknadel, damit ich nachher wieder nach Hause finde (bei meinem Talent kann es nämlich gut sein, dass ich mich hoffnungslos verlaufe) und gehe los. Ich habe zwar keine Ahnung, wohin ich laufe, aber unterwegs komme ich an einem 7- Eleven, einem chick-fil-A, einem McDonalds und einem kleinen Starbucks Café vorbei, sowie an weiteren kleinen Cafés und Restaurants.
Also verhungern werde ich hier jedenfalls nicht, denke ich grinsend und bleibe vor einem kleinen, hübschen, mexikanischen Restaurant stehen.
Vor der geöffneten Tür stehen ein paar kleine Tische, die liebevoll dekoriert sind und aus dem inneren ertönt fröhliche spanische Musik. Außerdem duftet es hervorragend. Obwohl das Restaurant relativ klein zu sein scheint, sind sehr viele Leute da. Draußen sind alle Tische belegt und drinnen tummeln sich die Menschen. Ich beschließe hineinzugehen und einen Flyer mit zu nehmen. Meine Schwester und ich sind süchtig nach mexikanischem essen und meine Eltern leider eine Katastrophe drin, es zuzubereiten.
Auch von innen macht das Restaurant einen ziemlich guten Eindruck. Ich nehme mir einen Flyer vom Tresen und will gerade wieder gehen, als eine Stimme hinter mir meinen Namen sagt. Verwundert bleibe ich stehen, da ich hier eigentlich niemanden kenne und so auch niemand meinen Namen kennen sollte.
Doch als ich mich umdrehe, blicke ich in das Gesicht von Everlys Vater, welcher mich freundlich anlächelt.
„Was tust du denn hier?", fragt er mich freundlich. Normalerweise finde ich s merkwürdig mich mit Erwachsenen zu unterhalten, vor allem mit welchen, die ich noch nicht einmal 24 Stunden kenne, aber Mr. und Mrs. Taylor haben gestern einen so freundlichen Eindruck gemacht, dass diese Beklommenheit sofort verfliegt.
„Ich schaue mich einfach nur ein bisschen um.", antworte ich ihm wahrheitsgemäß und lasse unauffällig mein Handy in meiner Hosentasche verschwinden, auf welchem immer noch Google Maps geöffnet ist. Muss ja nicht jeder wissen, dass ich die Orientierung eines Maulwurfs habe.
Maulwürfe können sich ausgesprochen gut orientieren, raunt mir meine innere Stimme zu, welche ich mit einem vernichtenden Blick zum Schweigen bringe.
Danke für die absolut unnötige Information.
Dann fällt mein Blick auf die dampfenden Teller in seiner Hand. „Arbeiten sie hier?" Sein Lachen wird breiter, während er die Teller an einen vorbeigehenden Kellner abgibt.
„Das Restaurant gehört mir.", antwortet er mir und ich komme mir ein bisschen dämlich vor. „Ich koche eigentlich nur, aber aktuell sind wir etwas unterbesetzt.", meint er und wirft einen Blick zur Küche, wo er jetzt vermutlich sein sollte, anstatt sich mit mir hier zu unterhalten.
„Dann will ich Sie gar nicht länger aufhalten."
„Das tust du nicht. Aber könntest du deinen Eltern ausrichten, dass wir ihren Vorschlag sehr gut finden und die Einladung gerne annehmen?"
Welche Einladung?
„Deine Eltern haben uns zu Silvester eingeladen", antwortet er mir, da ich meine letzte Frag offenbar laut gestellt habe. Dann erst wird mir die Bedeutung seiner Worte bewusst.
Silvester? Mit Everly?
Na das kann ja lustig werden.
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Two broken Souls - Finding Happiness Again
Romance„Suchst du etwas?", raune ich Everly zuckt so heftig zusammen, dass ihr erstens der Karton aus den Fingern gleitet und sie zweitens selbst das Gleichgewicht verliert und ins Straucheln gerät. Da ich allerdings finde, dass ihre Gesundheit wichtiger i...