Seit einer geschlagenen halben Stunde schaue ich aus dem Fenster. Mein aufgeklappter Laptop steht unangetastet vor mir auf dem Schreibtisch. Ich habe mich noch nicht getraut irgendetwas an der aufgerufenen Seite zu verändern. Stattdessen starre ich einfach aus meinem Fenster ins nichts und betrachte die bunte Weihnachtsbeleuchtung im Garten unserer Nachbarn.Normalerweise liebe ich die Weihnachtszeit. Alles ist so gemütlich und die ganzen Straßen in Santa Monica sind wundervoll geschmückt, doch dieses Jahr wünsche ich mir einfach nur, dass diese Zeit so schnell wie möglich vorbei geht und ich die ganzen glücklichen Menschen, die sich an jeder Straßenecke tummeln und Weihnachtslieder singen, nicht länger ertragen muss. Sie erinnern mich nur schmerzlich daran, dass ich vermutlich nie wieder so glücklich sein kann.
Ich lenke meine Aufmerksamkeit wieder auf den geöffneten Chatverlauf auf meinem Laptop und merke wie mir beim bloßen Anblick der Nachricht schon wieder die Tränen in die Augen schießen.
So geht das seit einer halben Stunde. Und obwohl ich weiß, dass das Lesen dieser Nachrichten mir vielleicht helfen könnte, bringe ich es noch nicht übers Herz und klappe meinen Laptop mit Schwung wieder zu, bevor ich mir fast schon wütend die Träne wegwische, die über meine Wange rollt.
Ich weiß sowieso was der Inhalt der 123 nicht geöffneten Nachrichten sein wird, die ich seit fast vier Monaten ignoriere. In allen wird ungefähr das Gleiche stehen. Beileidsbekundungen und die Frage, wie es mir geht, auf die ich selbst keine Antwort habe. Körperlich geht es mir so weit gut.
Ich habe in den letzten vier Monaten zwar fast sieben Kilo abgenommen und nicht viel Energie für mein Äußeres verschwendet, aber das ist meiner Meinung nach nicht schlimm, auch wenn mir mein Spiegelbild jeden Morgen das Gegenteil beweist.
Psychisch gesehen bin ich total kaputt. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal gelacht habe oder überhaupt den Hauch von Freude empfinden konnte. In mir drin fühlt sich alles so leer und kalt an und ich habe mittlerweile Angst, dass diese Leere nie wieder verschwinden wird.
Mein Therapeut meint zwar, dass alles besser wird und ich mich irgendwann wieder „normal" fühlen werde, aber wirklich davon überzeugt bin ich nicht. Momentan existiere ich und das ist auch schon alles was ich tue und wozu ich bereit bin.
Ich bin froh, dass ich mich gerade wenigstens in den Semesterferien befinde, da ich mir ziemlich sicher bin, dass ich mein Studium auch direkt abbrechen könnte, wenn ich noch mehr des Stoffes verpassen würde. Es reicht, dass ich fast zwei komplette Monate nachholen muss.
Die UCLA hat zwar Verständnis für meine Situation, hat mir jedoch auch klar gemacht, dass ich nicht unbegrenzt fehlen kann, was mir auch einleuchtet. Trotzdem ist mein Studium gerade so ziemlich das Letzte, das mich interessiert.
Ich werde von einem leisen Klopfen an meiner Zimmertür aus meinen Gedanken gerissen und zucke erschrocken zusammen, bevor ich mich mit einem Ruck umdrehe. Meine Mutter steht im Türrahmen und lächelt mich freundlich an.
„Hey Schatz, wie geht es dir?", ihr Blick ist mitfühlend und ich weiß, dass sie darauf hofft, dass ich ihr antworte, dass es mir gut geht und es auch wirklich so meine. Doch diesen Gefallen kann ihr nicht tun. Noch nicht.
„Ich weiß, dass du gerade niemanden sehen möchtest, aber unsere neuen Nachbarn sind gerade angekommen und dein Vater und ich haben sie zum Essen eingeladen. Es wäre nett, wenn du mit runterkommst und hallo sagst."
Richtig, die neuen Nachbarn. Das Haus links neben uns, das jetzt seit gut zwei Jahren leer steht, weil ständig irgendetwas kaputt ist und es niemand haben möchte. Ich wusste zwar, dass es wieder zum Verkauf steht, aber nicht, dass dort tatsächlich jemand einziehen möchte und schon gar nicht jetzt. Auf einmal nehme ich auch die unbekannten Stimmen wahr, die eindeutig aus unserem Wohnzimmer kommen und die ich die letzte halbe Stunde gut ausgeblendet haben muss, sowie den Duft der Quese Dillas meines Vaters.
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Two broken Souls - Finding Happiness Again
عاطفية„Suchst du etwas?", raune ich Everly zuckt so heftig zusammen, dass ihr erstens der Karton aus den Fingern gleitet und sie zweitens selbst das Gleichgewicht verliert und ins Straucheln gerät. Da ich allerdings finde, dass ihre Gesundheit wichtiger i...