Dieses Silvester ist beschissen. Netter ausdrücken kann man es leider nicht. Und leider scheine auch nur ich das so zu sehen.
Meine Schwester strahlt bis über beide Ohren, während sie den Erzählungen von Everlys Eltern lauscht, meine Eltern und Mr. und Mrs. Taylor scheinen die besten Freunde zu sein und Everly... Everly vermeidet es konsequent mich anzusehen, während sie das Essen auf ihrem Teller von links nach rechts schiebt.
Ich nehme ihr ihren Ausbruch vorhin in keinster Weise übel. Sie scheint gerade eine Menge durchzumachen und ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass ich vorhin einfach nur derjenige war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.
Doch gerade bin ich selbst kurz davor durchzudrehen.
In dreißig Minuten beginnt das neue Jahr und ich habe keine Ahnung, was ich mir davon erhoffe. Vielleicht, dass die beschissensten drei Monate meines Lebens enden. Oder dass der Schmerz aufhört, der konstant da zu sein scheint und der sich einfach nicht ignorieren lässt.
Doch leider weiß ich, dass sich mein Gefühlsleben nicht an Daten und Uhrzeiten hält und sich deswegen auch nicht um Punkt Mitternacht verpieseln wird. Schade eigentlich.
Da ich allerdings diese geballte gute Laune keine weitere Minute ertragen kann und wir mit dem Essen sowieso schon durch sind, stehe ich auf, schnappe mir meine Jacke und setzte mich in den Garten. Kurz überlege ich, ob es im Dezember vielleicht nicht zu kalt dafür ist, sich einfach so in das nasse Gras zusetzten, beschließe dann aber, dass eine Erkältung als Neujahrsstart doch ausgezeichnet zu meiner jetzigen Situation passen würde.
Ich nehme ein paar tiefe Atemzüge und bin erstaunt darüber, was für ein Sauerstoffmangel bei uns im Haus zu herrschen scheint. Hier draußen ist es viel angenehmer und die kühle Nachtluft sorgt dafür, dass mein Kopf etwas klarer wird.
Eigentlich war dieses Silvester ganz anders geplant. Normalerweise würde ich jetzt mit meiner Freundin und meinen Jungs zusammen auf das Feuerwerk warten, welches sich über der Skyline von Chicago ausbreitet und während des Wartens würden wir Musik hören und feiern, dass wir schon zwei Jahre College geschafft haben. Nur dass ich nicht mehr in Chicago bin und auch keine Freundin mehr habe.
Und jetzt, wie der größte Loser allein und traurig im Garten rumsitzt, haucht mir meine innere Stimme ins Ohr.
Oh nein, nicht du schon wieder.
Erster Vorsatz fürs neue Jahr: Einen Weg finden diese unglaubliche Nervensäge loszuwerden, auch wenn sie meistens nicht ganz Unrecht hat.
Meine Jungs haben mir zwar geschrieben, wie schade sie es finden, dass ich dieses Jahr nicht dabei bin, was mich wirklich sehr gefreut hat, aber trotzdem habe ich mich noch nie so allein gefühlt, wie in diesem Moment. Das Knacken eines Astes hinter mir lässt mich herumfahren. Neben unserer kleinen Gartenpforte steht Everly mit zwei Flaschen in der Hand und schaut mich fragend an.
„Willst du mir mit den Dingern eins überziehen, oder soll das ein Friedensangebot werden?" Kurz überlege ich, ob meine Aussage vielleicht unter der Gürtellinie ist, angesichts der Tatsache wie miserabel ihr es noch vor ein paar Stunden ging, entschließe mich dann aber dagegen, als ich das amüsierte Grinsen auf ihrem Gesicht sehe. Vorsichtig kommt sie näher und setzt sich neben mich ins Gras, während sie mir stumm eine Flasche hinhält.
„Das ist die beste Grapefruit-Limonade, die es in Mexiko gibt.", meint sie leise. „Mein Vater kauft immer Unmengen davon, wenn wir meine abuela besuchen."
Irgendetwas gefällt mir an der Art, wie sie das Wort abuela ausspricht. Vielleicht gefällt mir auch einfach nur der Klang ihrer Stimme allgemein. Er hat irgendetwas beruhigendes an sich, auch wenn ihr deutlich anzuhören ist, dass der nächste Satz sie einiges an Überwindung kostet.
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Two broken Souls - Finding Happiness Again
Roman d'amour„Suchst du etwas?", raune ich Everly zuckt so heftig zusammen, dass ihr erstens der Karton aus den Fingern gleitet und sie zweitens selbst das Gleichgewicht verliert und ins Straucheln gerät. Da ich allerdings finde, dass ihre Gesundheit wichtiger i...