2. Reaping

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Reaping

Die restliche Zeit bis zur Ernte verbrachte Haymitch auf dem Sofa. Er versuchte die vielen Stimmen um ihn herum so gut es ging zu ignorieren, während er langsam in einen schlafähnlichen Zustand abdriftete.

Erst Petunias schrille Stimme ließ ihn auffahren. „Haymitch! Wirst du wohl endlich aufstehen? Du bist nicht zu deinem Vergnügen hier!"

Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich und er richtete sich auf, um den ganzen Raum besser im Blick haben zu können. Ein weiterer Grund, weshalb er den Tag der Ernte hasste. Er erinnerte ihn immer ein wenig, an seine eigene Ernte. Natürlich war er nicht zu seinem eigenen Vergnügen hier. Was dachte sich diese Frau eigentlich?

Der Raum hatte sich geleert, einzig Effie Trinket stand noch im Türrahmen, und schaute etwas verunsichert zu ihm herüber. Mit zwei großen Schritten stand er neben ihr und beäugte sie skeptisch von oben herab, ohne Petunia auch nur eines Blickes zu würdigen.

„Am besten, du stellst dich gleich einfach zu mir, während Petunia mit ihrer Abschiedsrede beginnt", flüsterte sie ihm ins Ohr, als Petunia mit erhobenem Kopf an ihnen vorbeizog.

Die zwei folgten ihr schweigend, doch Haymitch konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er nickte Effie zu, die ihn erwartungsvoll anschaute, denn ihm fiel auch nichts besseres ein. Anwesenheit war Pflichtprogramm, sodass er sowieso nicht um die Ernte herumkommen würde.

Petunia eilte zielstrebig durch die langen Flure, sodass die Gruppe schon in weniger als zwei Minuten am Haupteingang ankam. Die großen, von jahrelanger Witterung angeschlagenen Flügeltüren waren bereits weit geöffnet. Dahinter erhaschte Haymitch den Platz der Ernte. Der Ort, an dem sein Schicksal seinen Lauf genommen hatte. Vierzehn Jahre war es mittlerweile her, dass Petunia seinen Namen gezogen hatte. Als er hinaus in die Mittagssonne starrte, hatte er nicht das Gefühl, als wäre tatsächlich so viel Zeit vergangen. Ganz im Gegenteil. Wenn er sich genug anstrengte, konnte er die verstörten Gesichter seiner Familie sehen; die unterdrückten Tränen in den Augen seines Mädchens. Nicht mehr ganz so klar wie damals, aber dennoch waren sie hier. So wie jedes Jahr.

„Du setzt dich dort hin." Haymitch wandte abrupt den Blick vom Platz ab. Petunia hatte Effie zu sich gewunken und gab ihr Anweisungen, noch ehe sie mit kleinen federnden Schritten auf sie zugetrippelt kam.

Haymitch blinzelte mehrmals und starrte benommen an sich herunter. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er mittlerweile hinaus ins Freie getreten war. Um sein Herz nicht noch schwerer werden zu lassen, wagte er es nicht, den hunderten Augenpaaren zu begegnen, die jeden seiner Schritte beobachteten. Stattdessen drehte er den Kopf und folgte Petunias Finger, welcher auf die zwei Stühle deutete, die rechts vom Mikrofon standen. Hinter der Kugel für die Jungen. Hinter seiner Kugel.

Etwas in seinen Fingern juckte und schmerzte zugleich und als sein Fokus zu seiner ehemaligen Eskorte huschte, fing er den schelmischen Blick auf, den sie ihm aus den Augenwinkeln zuwarf. Für einen Moment packte ihn blinde Wut, überfiel ihn wie eine eiskalte Welle und ließ ihn erzittern. Er wusste nicht einmal warum. Für gewöhnlich ließ er sich nicht so leicht von Petunia provozieren, sonst hätte er sie in den vierzehn Jahren der Zusammenarbeit sicherlich schon umgebracht. Und er konnte mit Stolz von sich behaupten, dass ihr in all der Zeit kaum ein Haar gekrümmt hatte – mit Ausnahme einiger Glasflaschen, die er nach ihr geworfen hatte oder das ein oder andere Kleid von ihr, welches natürlich ganz aus Versehen einem Rotwein zum Opfer gefallen war. Er war besser als viele der anderen Sieger und das, obwohl es ihn schlimmer als die meisten getroffen hatte. Hoffentlich würde Effie sich als weniger schlimm entpuppen als der Drache.

Eine Sekunde lang starrte Haymitch fast schon abwesend auf seine Kugel. Petunia musste Effies Worte im Flur gehört haben. Warum sie daraus nun eine persönliche Fehde mit ihm anzetteln wollte, war ihm ein Rätsel. Ohne die beiden Kapitolerinnen eines weiteren Blickes zu würdigen, schritt er an ihnen vorbei und wollte sich schon auf die linke Seite setzen, als Effie ihn am Arm packte.

An Era Awakens (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt