Too Close For Lies
Haymitch kam mit langsamen Schritten aus seinem Badezimmer. Effie saß auf der Kante seines Bettes und wirkte ein wenig verloren in dem Chaos, das in seinem Raum herrschte. Sie hatte darauf bestehen wollen, sich auf den Sessel zu setzen, der neben seinem Bett stand, allerdings hatte Haymitch den Großteil seiner Kleidung der vergangenen Tage dort deponiert. Der Streit von eben war ihr deutlich anzusehen. Unter all den Tränen hatte sich ihre Mascara verflüssigt und schwarze Streifen schmierten über ihre Haut, dort wo sie ihre Wangen heruntergelaufen waren. Es war ein Kontrast zu ihrem üblichen Aussehen. Gerade war nichts an ihr glamourös, aber das störte Haymitch nicht. Er fand sie ohne ihre knalligen Perücken und das ganze Makeup, das ihre Gesichtszüge verzerrte, sowieso viel hübscher. Nicht, dass er Effie das jemals so sagen würde.
Ihre Augen fuhren zu Haymitch hoch, als er sein Schlafzimmer betrat. Er hatte das schmutzige Hemd und den Sakko in die hinterste Ecke seines Bads geworfen, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen und sich ein schlichtes, weißes Shirt drübergezogen. Die schwarze Anzughose hatte er anbehalten, weil er vergessen hatte, sich eine frische Hose mit ins Bad zu nehmen und nochmal ins Schlafzimmer zurückgehen hatte er nicht gewollt, weil es ihm komisch vorkam und er Effie nicht länger als nötig warten lassen wollte. Er hatte sie sowieso schon kaum überzeugen können, ihn in sein Zimmer zu begleiten, um ihr alles zu erklären. Und nachdem er sich die letzten Minuten im Spiegel betrachtet hatte, wusste er nicht einmal, wie genau er sich dazu überwinden würde, die Wahrheit überhaupt auszusprechen.
Haymitch schwankte immer noch auf den Beinen und stöhnte, als er sich neben Effie auf das Bett warf. Sein Rücken traf die Matratze und für einen Moment musste er die Lippen zusammenpressen, um seinen Mageninhalt nicht hochzuwürgen. Die Decken und Kissen unter ihm waren weich und einladend und in dieser Sekunde wollte der junge Sieger nichts lieber tun, als die Augen zu schließen und in den Schlaf zu driften.
„Also?", riss Effie ihn aus seinen Gedanken. Ihre Stimme klang scharf und ließ die Wärme verschwinden, die der Alkohol in Haymitchs Körper verbreitet hatte.
Mit schweren Lidern schaute Haymitch zu ihr auf. Effie hatte den Abstand zwischen ihnen etwas erweitert, sodass sie nun am äußersten Rand seines Bettes saß und ihn nüchtern und ohne jede Sympathie beäugte. Die Situation war ihr unangenehm, aus ihrer Sicht war sie wahrscheinlich sogar unprofessionell. Haymitch wollte gar nicht wissen, wie er aussah. Er war ein Wrack. Der Blick eben im Spiegel hatte gereicht, um zu wissen, dass er immer noch stockbesoffen war, doch nun schweifte er auch noch in einen Halbschlaf ab. Von außen betrachtet musste Effie wie ein Engel neben ihm wirken. Der Gedanke stimmte ihn wütend und traurig zugleich, auch wenn er nicht sagen konnte, was es war, dass ihn störte.
Mit einem Seufzen nickte Haymitch schließlich, machte aber keine Anstalten, sich vom Bett zu erheben. „Vielleicht sollte ich nicht ohne Faden einfach drauflos erzählen", sprach er in einem undeutlichen Lallen und die Worte reihten sich ohne Sinn und Verstand aneinander. In dem Zustand, in dem Haymitch war, würde das hier schwierig werden. „Was willst du wissen? Stell mir eine Frage und ich werde sie ehrlich beantworten."
Natürlich wusste er, dass Effie das nicht gefallen würde, weil sie mit einer direkten Erklärung von ihm gerechnet hatte. Das war der Vorwand gewesen, unter dem Haymitch sie zu einer letzten Chance hatte überreden können. Doch er konnte es nicht. Er konnte die Worte nicht einfach aussprechen. Er wüsste nicht einmal, wo er anfangen sollte, und am Ende würde er sich in eine Geschichte verstricken, die noch viel tiefer ging als nur der heutige Abend. Das wollte er nicht; um ihretwillen. Haymitch betrachtete Effies schönes Gesicht und schaute dabei zu, wie Wut und Neugier gegeneinander ankämpften. Dann nickte sie resigniert, hielt aber nicht inne, was ihm keine weiteren Sekunden der Ersparnis brachte.
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An Era Awakens (Hayffie)
Fanfiction„Augen auf, Kopf hoch und lächeln. Lass sie niemals die Zerstörung sehen." Vierzehn Jahre nach seinem Sieg ist Haymitch zu einem jungen Alkoholiker verfallen. Die 64. Hungerspiele stehen an und Distrikt 12 bekommt ganz überraschend eine neue Betreue...