An Era Awakens (Hayffie)

35.2. Guilt

Effie hatte das Gefühl, jedes Gespür für Raum und Zeit zu verlieren. Sie wollte vorwärtshechten, nach Haymitchs Arm greifen und ihn zu den nächstbesten Sponsoren zerren. Stattdessen rührte sie sich nicht. Ihre Füße waren wie festgefroren. Ihr Herz klopfte bis in ihren Hals. Sie musste nicht zu Haymitch schauen, um zu wissen, dass er in seine übliche, aussichtslose Starre verfallen war. Sie wusste, was er ihr sagen würde. Dass es zu spät war. Vier gegen einen. Bis sie einen spendierwilligen Sponsoren gefunden hatten, würde ...

Ramon hob seinen Stock. Sein Gesicht war die Ruhe selbst. Keine Angst spiegelte sich dort. Die Karrieros hoben ihre eigenen Waffen in Antwort. Dünnes Holz gegen robusten Stahl. Cashmere machte einen Schritt nach vorn. Langsam. Sie waren ihm zahlenmäßig haushoch überlegen, es gab keinen Grund für Eile. Sie hatte ihren Arm noch nicht einmal in die richtige Position gebracht, als etwas Silbernes von der Seite an ihr vorbeizischte.

Cashmere wich aus vor Schreck und der Junge aus Distrikt 2 rannte an ihr vorbei. Ramon bewegte sich rückwärts, geradewegs in Magnus' Richtung, aber der rührte sich nicht. Der Junge aus 2 zögerte nicht als er sein Schwert auf Ramon herabsausen ließ. Cashmere ließ einen wütenden Fluch los, der jedoch im Knacken von Holz unterging, als Ramons Stock entzweibrach.

Ramon machte einen weiteren Satz zurück und wäre dabei beinahe mit Magnus kollidiert, wenn dieser nicht ebenfalls zurückgewichen wäre. Um dem Jungen aus Distrikt 2 nicht im Weg zu stehen, der diesen Tod wohl unbedingt für sich beanspruchen wollte. Er holte ein weiteres Mal aus und Ramon duckte sich. Er musste wissen, dass er verloren war. Anders hätte Effie es sich nicht erklären können, als er sich waffenlos auf seinen Angreifer stürzte, nachdem er dessen Abwehr überwunden hatte.

Die Jungen taumelten und stürzten in das finstere Wasser. Ramon war stark genug, um seinen Gegner unten zu halten. Seine Finger fuhren zu dem Waffengurt des anderen, weil er selbst nichts als den nun nutzlosen Stock besessen hatte. Der Junge 2 spuckte Wasser. Zappelnd versuchte er, sich aus Ramons Griff zu befreien.

Ein Lächeln zierte Ramons Lippen. Nicht dieses typisch arrogante, selbstgefällige, hasserfüllte Lächeln, welches er stets für Effie und das Kapitol übriggehabt hatte. Ein bedauerndes, trauriges Lächeln. Da war kein Zorn auf seinem Gesicht, als er den Dolch zu fassen bekam und ihn mit einem Ruck aus dem Leder zerrte. Schuld. Weil er töten musste. Ein anderes Tribut. So hatte er Effie nicht angeschaut, als er versucht hatte, sie umzubringen. Weil das hier Distrikt war. Nicht Kapitol.

Und dann, Ramon hatte das Messer einige Zentimeter gehoben, erstarrte er plötzlich – öffnete den Mund. Verdutzt. Schließlich in Verständnis. Ein Keuchen ging ihm über die Lippen noch ehe das Blut aus ihm herausströmte.

Cashmere hatte ihm ihr Schwert durch den Brustkorb gerammt. Das Geräusch, das es machte, als sie es in einem Ruck aus ihm herauszog, war ohrenbetäubend. Knackende Knochen. Reißende Muskeln. Erstickender Sauerstoff, wie bei einem Ballon der Luft verlor. Cashmeres goldene Klinge war blutbeschmiert.

Ramon weitete die Augen. Spuckte Blut. Direkt in das Gesicht des Jungen unter ihm. Rot, rot, rot. Der Schwall schien kein Ende zu nehmen. Dann erschlaffte sein Körper. Von jetzt auf gleich. Er hob den Kopf gen Himmel, seine Augen auf einen unsichtbaren Punkt gerichtet und kippte nach vorn. Die Kanone ertönte in der Sekunde, in der sein Körper platschend im Wasser aufkam.

„Und so geht der Kämpfer aus Distrikt Zwölf unter. Das war Ramon Caravan, liebe Leute. Was für ein Spektakel!"

Ramon war tot. Innerhalb eines Wimpernschlags. Hätte Effie geblinzelt, hätte sie es verpasst. Sie blickte auf den Bildschirm. Auf den Leichnam, um den sich die Karrieros scharrten, auf den Cashmere nun spöttisch herabgrinste. Alles was sie sah war Blut. Rot, rot, rot. Alles was sie hörte war das Keuchen, das ihm gerade noch über die Lippen gegangen war. Er hatte keine Angst gehabt.