22.2. Too Close For Lies

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Die Ohrfeige kam so unvorbereitet, dass Haymitch zu taumeln begann und nach hinten fiel. Die Kissen fingen den Sturz ab und er war zu betrunken, um irgendeine Gegenreaktion hervorzubringen. Was hätte er auch tun sollen? Er hatte sie verletzten wollen und so revanchierte sie sich dafür. In diesem absurden Moment fiel ihm auf, wie weit Effie sich bereits von ihrem Bild der perfekten Kapitolerin entfernt hatte. Sie hatte ihre tadellose Fassade fallen lassen. Sie hatte ihre Manieren vergessen. Sie hatte ihr wahres, wildes, wunderschönes Ich zum Vorschein gebracht. Und all das seinetwegen. Ein gehässiges, gemeines Lachen verließ Haymitchs Lippen, als er zu ihr hochschaute. Er wusste nicht, weshalb er sie mit einem Mal leiden sehen wollte. Möglicherweise, weil sie der eigentliche Grund für seine Schande war; weil er sich Laetitia in tausend Jahren nicht nochmal hingegeben hätte, wenn Effie nicht gewesen wäre.

Haymitch blieb keine Zeit, sich weiter über seine Handlungen zu wundern. Seine Intentionen waren in dem Moment vergessen, in dem Effie zu schreien anfing. „Wie konntest du das nur tun, Haymitch? Wie kommst du überhaupt auf die gottverdammte Idee, dich so ausnutzen zu lassen? Was hat dich nur geritten, etwas so Dummes zu tun? Du warst doch immer der Besonnene und Vorsichtige von uns beiden!" Effies Gesicht war nur Zentimeter von seinem entfernt, sie hatte sich in ihrer Rage halb über ihn gebeugt und den Kopf gesenkt und doch schien sie meilenweit weg zu sein. Sie war aufgelöst in Emotionen, ihre Züge verzerrt und ihre Nägel bohrten sich durch den dünnen Stoff seines Shirts. Haymitch hatte sie noch nie so aufgelöst erlebt, dabei hatte sie seit ihrer ersten Begegnung so einiges mitgemacht. Die Wut in ihrer zittrigen Stimme war allgegenwärtig. Nichtsdestotrotz konnte er die Sorge, den Schmerz, die Schuld hören, die sie vergeblich versuchte, zu verstecken.

„Ich glaube nicht daran, dass Elowen oder Ramon Siegerpotential haben", stellte Haymitch so nüchtern fest, wie es ihm unter den gegebenen Umständen möglich war. Es kostete ihn all seine verbliebene Kraft, Effie nicht in einer beschwichtigenden Umarmung an seine Brust zu ziehen. Das hier war nicht der passende Moment und Haymitch war sich ziemlich sicher, dass die Geste sie nur wütender machen würde. Und überhaupt: Warum sollte er sie trösten? Er konnte sich ja selbst nicht einmal trösten. „Aber du glaubst daran. Du warst so hoffnungsfroh, dass du auch mich daran hast glauben lassen. Zumindest für einen Moment."

„Aber ich hätte doch niemals gewollt, dass du sowas tust..." Effies Stimme brach und ihre Hände zitterten, als sie versuchte, Haymitch wieder in eine sitzende Position zu hieven. Nun hatte die Qual die Wut endgültig ersetzt. „Ich hätte das niemals von dir verlangt. Egal wie viel mir an den Kindern liegt. Ich bin doch kein Monster, das sich-"

„Das weiß ich doch", flüsterte Haymitch und gab Effies kläglichen Versuchen nach, ihn aufzurichten. Er musste sich zwingen, nicht selbst die Kontrolle über seine Emotionen zu verlieren.

„Ich kann das nicht fassen." Effie war immer noch in einer panischen Attacke gefangen. Sie starrte ihm ins Gesicht und er spürte ihren Blick auf sich, aber Haymitch konnte sich nicht überwinden, ihren Augen zu begegnen. Er wollte die Verzweiflung nicht sehen, die sich mit den Jahren in ein dumpfes, lebloses Gefühl in den Tiefen seiner Selbst verwandelt hatte. Stattdessen fixierte er den bordeauxroten Teppich seines Zimmers und wünschte, sie während dieser Phase der Fassungslosigkeit komplett ausblenden zu können. „Das ist ... Prostitution. Wir müssen das melden, Haymitch. Wir dürfen sie nicht damit davonkommen lassen. Sie und ihr Mann werden ihre Jobs verlieren, wenn das an die Öffentlichkeit kommt."

In einem plötzlichen Tatendrang versuchte Effie vom Bett aufzuspringen, aber Haymitch schnappte sich ihr Handgelenkt, um sie zurückzuhalten. „Denkst du wirklich, dass eine Anzeige etwas bringen würde? Bist du wirklich so dumm, Effie?"

Effie erwiderte seinen scharfen Blick perplex. Unschlüssigkeit und Überforderung spiegelten sich in ihren Augen und Haymitch wunderte sich, in welch behütetem Haushalt sie aufgewachsen war, dass sie von alldem wirklich keine Ahnung hatte. Fluch oder Segen? Er konnte es nicht sagen, sprach jedoch weiter, bevor die junge Frau ihn unterbrechen konnte. „Du lebst doch schon dein Leben lang hier. Du musst doch wissen, wie die Dinge hier laufen. Das System würde sich gegen dich wenden, nicht gegen die Lowells. Sie haben hier die Fäden in der Hand und mehr als eine Handvoll mächtiger Verbündeter."

An Era Awakens (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt