Der Abend verschwamm vor Haymitchs Augen. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie tanzten. Es waren Bruchstücke, die er vor seinen Augen wahrnahm. Er spürte Margaritas Arm um seinen eigenen. Sie tanzten immer noch, aber nicht mehr auf der Tanzfläche. Sie hielten beide Gläser mit grüner Flüssigkeit in den Händen und reckten sie in die Höhe, als wären sie auf einer schäbigen Hausparty und nicht auf der elitärsten Veranstaltung in ganz Panem. Aber das war es wohl, was die Kapitoler ausmachte. Und für ein einziges Mal ließ Haymitch sich von ihrem Partystrom mitreißen. Er war sowieso schon außer Kontrolle. Er hatte keine Macht mehr über seinen Körper. Margarita hüpfte um ihn herum und zu irgendeinem Zeitpunkt fingen andere Leute an, mitzumachen. So wie Margarita mit ihnen redete, mussten es Freunde von ihr sein.
Chaff war ebenfalls da. Er hüpfte nicht und tanzte nicht, stand aber inmitten der Menge mit einem Glas derselben grünen Flüssigkeit und grinste von einem Ohr zum anderen. Es musste ihn amüsieren, Haymitch so zu sehen. Nach einem so seriösen Start in die Saison war sein Freund wahrscheinlich froh, ihn endlich wieder so zusehen, wie er ihn die letzten Jahre gekannt hatte. Vielleicht war es Effies Blicke, welche bis in die Nacht nur an Intensität gewonnen hatten. Seneca war immer noch an ihrer Seite, aber sie hatte ihre Gesichtszüge nicht im Griff. Jedes Mal, wenn Margarita Haymitch einen Arm um die Schulter legte oder ihm die Haare aus dem Gericht strich, wurde das Blau ihrer Augen dunkel und eisig.
Chaff schien seinen Schlag gegen sie in vollen Zügen zu genießen, auch wenn Haymitch nicht ganz verstand, was sein Freund sich daraus eigentlich erhoffte. Er hatte sie vom ersten Tag an nicht gemocht und diese Gelegenheit, ihr eins auszuwischen, auch wenn es etwas auf Haymitchs Kosten ging, schien ihm recht gut zu gefallen. Chaff hatte Kapitolern schon schlimmeres angetan.
Margaritas Arm um Haymitchs Hüfte war alles, was der junge Sieger noch wahrnahm. Der Alkohol vernebelte alles. Seine Sicht, sein Gehör, seine Instinkte. Alles was er sah waren verschwommene Farben. Alles was er hörte war lautes Gedröhne. Er trank weiter. Er tanzte weiter. Es half. Da war kein Gedanke an Elowen, kein Gedanke an Effie. Er wusste ohnehin, dass sie irgendwo auf der anderen Seite der Terrasse stand und ihm Messer in den Rücken starrte.
„Das will ich auch machen!", kreischte Margarita in diesem Augenblick an Haymitchs Ohr und er drehte den Kopf, nur um zwei ihrer Freunde zu sehen, die eine lachende Frau in die Höhe hoben als wären sie Akrobaten in einem Zirkus. Margarita klatschte belustigt in die Hände und die beiden Jungs lösten zwei Hände von dem Körper der Frau und streckten sie aus, als würden sie ein neues Kunststück präsentieren. Nur dass sie Gläser voller Alkohol in den Händen hielten.
Margarita begann wieder, vor Haymitch auf und ab zu hüpfen, diesmal aber mit einer Intention in ihren pinken Pupillen. „Du bist stärker als sie, Haymitch!" Dann zeigte sie mit dem Zeigefinger auf ihre Freunde, als wäre sie ein kleines quengelndes Kind, das versuchte, seinen Willen zu bekommen. „Komm, heb mich hoch!"
„Ja, meine Liebe, ich bin vielleicht ... stärker, aber auch ... hmm ... zehn Jahre älter, oder so." Haymitch taumelte von links nach rechts und nahm einen Schluck von der grünen Flüssigkeit. Dann zeigte er ihr den Vogel.
„Och komm schon, Haymitch", säuselte Chaff plötzlich an seinem Ohr, schlang ihm brüderlich einen Arm um die Schultern und zeigte ihnen die Zähne. Sein Mundgeruch triefte vor Vodka. „Einer ihrer Freunde kann dir ja ... helfen, alter Mann."
Haymitch kniff die Augen zusammen und riss sich von Chaff los, was sie beide beinahe das Gleichgewicht gekostet hätte. Einer von Margaritas Freunden griff nach seinem Arm und rettete ihn vor dem Boden. Er seufzte theatralisch in sich hinein und drückte Chaff dann sein klebriges Glas in die Hand, dem es dabei fast aus den Fingern rutschte. „Na gut", lallte er in Margaritas Richtung. „Aber heul nicht rum, wenn ich dich fallenlasse, ja?!"
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An Era Awakens (Hayffie)
Fanfiction„Augen auf, Kopf hoch und lächeln. Lass sie niemals die Zerstörung sehen." Vierzehn Jahre nach seinem Sieg ist Haymitch zu einem jungen Alkoholiker verfallen. Die 64. Hungerspiele stehen an und Distrikt 12 bekommt ganz überraschend eine neue Betreue...