32. Green, Red and White

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Green, Red and White

Erst Tag 4 der Hungerspiele und Haymitch hatte bereits das Gefühl, dass die Zeit im Kapitol sich ins Unendliche streckte. Er kniff die Augen zusammen und versuchte, das Stöhnen zu unterdrücken, welches ihm über die Lippen gehen wollte. Mit einem Finger schob er sich die schwarze Sonnenbrille höher auf die Nase; das verdammte Ding rutschte ihm die ganze Zeit auf dem Nasenrücken herunter. Effie hatte sie ihm besorgt, als er verkündet hatte, dass es keine andere Möglichkeit gab, ihn dazu zu bewegen, das Penthouse zu verlassen. Es war Hochsommer. Die Sonne war unerbittlich und sein halb verkatertes, halb betrunkenes Hirn zuckte bei jedem Lichtstrahl, der sich irgendwie an den getönten Gläsern vorbeischummelte. Wenigstens konnte er mittlerweile aufrecht stehen, ohne dabei das Gleichgewicht zu verlieren. Es hatte drei Schmerztabletten gebraucht, um seinen Kopf von Schmerz und Schwindel zu befreien. Trotz alldem fühlte er sich, als könnte er dem eitlen Kapitoler, dem Effie und er nun gegenüberstanden, jede Sekunde auf die polierten Lackschuhe kotzen.

Zu seinem Glück übernahm Effie das Reden. Alles was er tun musste war, sich bei ihr einzuharken und sein aufgesetztes Lächeln nicht zu erzwungen wirken zu lassen. Die Frau des Sponsors warf ihm bereits einen seltsamen Seitenblick zu. Er neigte den Kopf, um sie über den Rand der Sonnenbrille zu betrachten und zwinkerte. Sie brach den Augenkontakt abrupt ab und er grinste. Haymitch wusste, dass Effie ihm dafür wahrscheinlich am liebsten ihren Ellbogen in die Seite gerammt hätte, aber Höflichkeit und Etikette verboten ihr jegliches schlechte Benehmen.

Nach den Ereignissen vom Tag zuvor hatte sich die Lage für Eustace in der Arena beruhigt. Sie verbrachte den Großteil ihrer Zeit auf einem Baum, dämmerte vor sich hin und erlaubte sich ab und an einen Schluck Wasser und ein paar Beeren. Man konnte ihr ansehen, dass sie Rye Hookers Tod immer noch nicht wirklich glauben konnte. Ihre grünen Augen fixierten immerzu einen fernen Punkt und sie schien tief in Gedanken. Die Audienz hatte bereits wieder das Interesse an ihr verloren.

Haymitch war einfach nur froh, dass die Medizin, die sie ihr gestern noch hatten schicken können, ihren Job getan und die Verletzung verschlossen hatte, die sie sich bei dem Sturz am Fluss zugezogen hatte. In den Sümpfen herrscht aufgrund angesiedelter Bakterienstämme eine erhöhte Infektionsgefahr bei offenen Wunden. Auch wenn der junge Sieger keinen Funken Sympathie für Seneca Crane hegte, wäre es dumm gewesen, nicht auf seine Worte zu vertrauen. Spielmacher verrieten nicht viel über ihre Arenen, um dem Publikum die Spannung nicht zu verderben.

Das Team aus Distrikt 8 hatte entweder bei Cranes Vorstellung der Arena geschlafen, oder sie konnten es sich nicht leisten, Medikamente in die Arena zu schicken. Ihr männliches Tribut wäre heute Morgen beim Versuch, etwas zu trinken, beinahe von einem Krokodil zerfetzt worden. Nun trug der Junge eine blutige Bisswunde mit sich herum, die vor Tierspeichel und Sumpfwasser triefte. Nicht die besten Bedingungen. Noch hielt er sich auf den Beinen, aber mit nur einem funktionstüchtigen Arm, war er auch ohne eine wahrscheinlich bevorstehende Sepsis so gut wie erledigt.

Im Laufe des späten Mittags gelang es Effie, eine ältere Frau für Ramon zu überzeugen. Unter der Bedingung, dass er den heutigen Tag überlebte, würde sie etwas zu seiner Unterstützung beisteuern. Es war ungewöhnlich, wie sich die Dinge für Distrikt 12 entwickelten. Haymitch fragte sich, was die Menschen zuhause wohl davon hielten; ob sie froh waren, dass die Kinder diesmal länger durchhielten oder ob es ihnen gleichgültig war. Nach dem kurzen Hoch von gestern, für welches Eustace einen Jungen töten musste, waren die Leute hier nicht weiter begeistert von ihr. Seltsamerweise schien die Situation den gegenteiligen Effekt für Ramons Platz auf den Wetttabellen und Ranglisten zu haben. Er wurde zwar immer noch nicht wirklich hochgehandelt, hatte seit gestern jedoch einige Prozentpunkte zugelegt und ließ Eustace dabei weit hinter sich. Bisher hatte er rein gar nichts getan, um zu beweisen, dass er das Geld der Kapitoler wert war. Doch die Hungerspiele hatten sich noch nie nur rein um die Überlebensfähigkeit gedreht; alles spielte in die Bewertung der Tribute mit ein: Geschlecht, Größe, Attraktivität und so weiter. Jungs wurden meist etwas höher gehandelt, weil die Biologie auf ihrer Seite war. Wenn die jüngere Distriktpartnerin töten konnte, zog man im Kapitol automatisch den Schluss, dass das ältere männliche Tribut mindestens zur gleichen Leistung fähig sein musste. Im Fall von Ramon war die Sache klar: Siebzehn, breit gebaut, solide Größe und attraktiv obendrein. Da übersahen die Kapitoler schon gern mal die Details. Für Haymitch unverständlich, weil er sich lieber auf Fakten als auf reine Mutmaßungen konzentrierte, aber Glücksspiel war hier eben sehr beliebt. Wenn Eustace töten kann, kann Ramon das sicher auch war heute das Motto.

An Era Awakens (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt