Zu Effies Bedauern erschien Haymitch nicht zum Frühstück, genauso wenig wie Ramon. „Hast du Ramon seit unserer Ankunft im Trainingscenter gesehen?", fragte sie Elowen, die ihr gegenüber am Tisch saß und gerade ein dunkles Brot in Scheiben schnitt.
Das junge Mädchen hob den Kopf und ihre smaragdgrünen Augen strahlten ihr entgegen. Sie hat so hübsche Augen, dachte Effie sich und unterdrückte ein Seufzen. Sie hoffte inständig, dass ihr Stylist ein Kleid schneidern würde, welches ihr auch wirklich gerecht wurde.
Elowen schüttelte den Kopf und kniff die Augen in einer nachdenkenden Geste zusammen. „Jetzt wo du es sagst", sagte sie leise. „Ich habe ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen."
Effie wusste, dass dies nichts Gutes bedeutete. Heute war der erste Trainingstag der Tribute und sie musste die beiden nach dem Frühstück unten in der Eingangshalle abliefern. Und das wiederum bedeutete, dass Effie sich gleich gezwungen sehen würde, Ramon zu suchen. Höchstwahrscheinlich hatte er sein Zimmer seit ihrem letzten Aufeinandertreffen nicht verlassen. Allerdings würde Effie ihm trotzdem einen Besuch abstatten müssen. Einzig der Gedanke daran schnürte der jungen Frau die Kehle zu. Der Appetit verging ihr augenblicklich.
Trotz ihrem unguten Gefühl nickte sie auf Elowens Aussage und schenkte ihr ein Lächeln. „Dann werde ich wohl lieber mal nachschauen, ob bei ihm alles in Ordnung ist", antwortete Effie ihr. „Tut mir leid, dass ich dich hier allein sitzen lasse, Liebes. Unser Zeitplan heute ist leider sehr straff."
Elowen zuckte nur mit den Schultern und lächelte sanft. Mittlerweile hatte sie das Brot in mehrere Scheiben geschnitten und belegte sie mit Käse. „Ich esse sowieso nur."
Effie nickte und stand auf. Sie betrachtete das Brot in Elowen' Händen und fragte sich für einen Moment, ob es aus Distrikt 12 kam. Es war kein Brot aus dem Kapitol, das erkannte sie. „Denk daran, dir gleich die Trainingskleidung anzuziehen, die man dir auf dein Zimmer gebracht hat", erinnerte sie Elowen und verließ dann mit schnellen Schritten den Wohnbereich.
Mit jedem Schritt, den ihre Beine machten, wurde das mulmige Gefühl in Effies Brust größer. Jede Zelle ihres Körpers sträubte sich dagegen, Ramons Zimmer aufzusuchen. Desto näher sie seinem Zimmer kam, desto schwerer wurde es, das Bild seiner verzerrten Augen aus ihrem Gedächtnis zu verdrängen.
Eine Minute später fand sie sich mit klopfendem Herzen vor Haymitchs Tür wieder. Energischer als zuvor schlug sie mit ihrer Faust gegen das schwere Holz. Während sie auf eine Antwort wartete, spürte sie wie das Blut in ihren Ohren pochte. Sie wartete weiter, aber er öffnete ihr nicht die Tür. Effie seufzte in sich hinein und konnte das niedergeschlagene Gefühl nicht ignorieren, das immer größer zu werden schien. Wieso musste alles, was ihn betraf, immer so schwierig sein?
„Haymitch, bitte, ich brauche deine Hilfe", bat Effie laut und senkte den Kopf. Mit ihrer rechten Hand stützte sie sich m Türrahmen ab. Erschöpfung übermannte sie von jetzt auf gleich. Hier zu betteln war definitiv unter ihrer Würde, egal wie unwohl Ramon sie fühlen ließ.
Doch dann vernahm sie schwere Schritte von der anderen Seite der Tür und einen Augenblick später hatte Haymitch die Tür in einer ruckartigen Geste aufgerissen. „Was willst du?" Es hörte sich mehr nach einem Knurren als nach einer Frage an.
„Ich muss die Kinder gleich runter zum Training begleiten", begann sie vorsichtig und schaute Haymitch ins Gesicht. Ein glasiger Schleier lag über seinen Augen und seine Wangen waren leicht gerötet. Er trug immer noch dasselbe wie vor einer Stunde, aber nun hatte er eine Flasche in der Hand. Effie musste gar nicht genau hinschauen, um zu wissen, dass es sich um etwas Alkoholisches handelte. „Keiner von uns hat Ramon nach gestern gesehen. Kannst du bitte mit zu seinem Zimmer kommen und ihn dazu bringen, zum Training zu erscheinen? Ich denke nicht, dass er es wahrnehmen wird, wenn ihn keiner dazu zwingt. Es ist doch Vorschrift."
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An Era Awakens (Hayffie)
Fanfiction„Augen auf, Kopf hoch und lächeln. Lass sie niemals die Zerstörung sehen." Vierzehn Jahre nach seinem Sieg ist Haymitch zu einem jungen Alkoholiker verfallen. Die 64. Hungerspiele stehen an und Distrikt 12 bekommt ganz überraschend eine neue Betreue...