27.1. Kiss or Kill

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Kiss or Kill

In der Sponsorenlounge herrschte wildes Treiben. Die Leute rannten quietschend durcheinander, warfen sich einander in die Arme und lachten vergnügt. Wenn Effie es nicht mit eigenen Augen miterlebt hätte, hätte sie aus Erzählungen Dritter sicher nicht geglaubt, wie manche sich hier aufführten. Die Leute drehten durch: Schauspielerinnen, die vor der Kamera eine zarte, schüchterne Persönlichkeit vorgaben, tranken sich in Ekstase. Geschäftsmänner, auf die Ehefrauen zuhause warteten, warfen mit ihrem Geld um sich und vergnügten sich mit mehreren Frauen und Männern in einer Nacht. Seltene Ausnahmen waren Paare wie die Lowells, die nicht mal versuchten, einen Hehl daraus zu machten, dass sie sich beide nebenher mit anderen trafen. Es war, als würde die Elite für die Dauer der Hungerspiele all ihre Moral über Bord werfen, um sich Drogen und Leidenschaft hinzugeben. Natürlich würden einige wenige Schlagzeilen an die Öffentlichkeit geraten, doch das meiste würde diese Räumlichkeiten niemals verlassen. Jetzt verstand Effie, warum sie zu Beginn ihrer Einstellung eine Verschwiegenheitserklärung hatte unterschreiben müssen. Sie war sich nicht sicher, ob jeder im Kapitol diese Art von Partys gutheißen würde. Drogen- und Sexskandale in diesem Ausmaß überschritten selbst hier eine Linie. Aber was niemand wusste, konnte auch keinen Skandal auslösen.

Effie zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, während sie an ihrem Champagner nippte und der Geschichte eines Sponsors lauschte, der von einer abenteuerlichen Reise in die Katakomben des Kapitols berichtete. Sie hörte nur halb hin, denn sie wusste, dass er sich niemals für Distrikt 12 interessieren würde. Die Hälfte der übrigen Eskorten, die ihn umgaben, schienen ihr Interesse ebenfalls nur vorzuspielen. Ihre Augen schweiften immer wieder zu anderen Einflussnehmern in der Lounge ab, als wären sie auf der Suche nach einer gewinnbringenderen Beschäftigung. Einige von den älteren Eskorten, die diese Geschichte sogar bereits zu kennen schienen, lachten, noch bevor der eigentliche Witz fiel.

Die Sponsorensuche ermüdete Effie. Ihr Blick fiel auf eine der Uhren auf den Bildschirmen und sie seufzte in sich hinein. Es war nicht einmal Mittag. Wäre Haymitch hier, hätte sie ihre Langweile wenigstens mit jemandem teilen können. Ihre Augen scannten den Eingangsbereich, aber immer noch keine Spur von ihm.

Haymitch hatte heute nicht wie üblich im Wohnzimmer auf sie gewartet und war auch sonst nirgends im Penthouse auffindbar gewesen. Effie hatte sogar jeden Winkels seines eigenen Zimmers abgesucht. Nur zur Sicherheit, falls er alkoholisiert irgendwo zusammengebrochen war. Petunia hatte sie in ihrer Einweisung zu Beginn vor solchen Situationen gewarnt. Trotzdem war es ihr im Nachhinein ein wenig unangenehm, seine Privatsphäre so verletzt zu haben. Doch es machte die Wut darüber, dass Haymitch gestern kein Wort über seine heutige Abwesenheit verloren hatte, nicht ungeschehen. Zuerst war sie verwirrt gewesen, weil sie angenommen hatte, dass er einfach ohne sie zur Lounge gefahren war. Weshalb auch immer er das hätte tun sollen. Wie sich herausgestellt hatte, war er weder im Penthouse noch hier. Effie hatte keine Ahnung, wo er sein könnte, und es ärgerte sie. Sie hasste es, nicht die Kontrolle zu haben.

Die ganze Arbeit blieb an ihr hängen, sie hatte keine Unterstützung und blieb den Sponsoren Antworten schuldig, für die Haymitch zuständig gewesen wäre. Nachdem der Abend gestern zwischen ihnen mehr oder weniger gut verlaufen war, wenn man Petunias Szene und Haymitchs Besuch auf der Krankenstation außer Acht ließ, hatte Effie nicht damit gerechnet, dass der heutige Tag so starten würden. Der gestrige Kuss ging ihr nicht aus dem Kopf und das ärgerte sie noch mehr als seine Abwesenheit. Er nahm einen so großen Teil ihrer Gedanken ein, dass es ihr schwerfiel, sich zu fokussieren. In der Arena tat sich wenig, dafür aber umso mehr zwischen ihnen.

Sie konnte nicht sagen, was sie fühlte. Sie wusste es nicht. Obwohl die Liebe Bestandteil der meisten Filme und Lieder im Kapitol waren, war sie hier doch ziemlich selten. Zumindest in dem Umfeld, in dem Effie groß geworden war. Man heiratete aus wirtschaftlichen Gründen, um die eigene Linie zu stärken, weniger aus Zuneigung für den Partner. Es missfiel ihr genauso sehr wie jeder Versuch ihrer Mutter, ihr einen geeigneten Kandidaten vorzustellen. Nun, wo sie Kontakt zu Seneca Crane hatte, gab diese wenigstens Ruhe. Seneca war ein guter Mann, Effie mochte ihn. Man konnte es um einiges schlechter treffen. Andererseits war sie sich nicht sicher, ob sie ihn lieben könnte. Es mochte Menschen geben, die solche Gefühle mit der Zeit erzwingen konnten, aber zu ihnen gehörte sie definitiv nicht.

An Era Awakens (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt