33 - no energy

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04. Juni 1993

Ich musste fast eine Woche zur Beobachtung im Krankenflügel bleiben und durfte diesen tristen Raum nun endlich verlassen. Ich fühlte mich noch immer ziemlich schlapp, obwohl ich fast die ganze Woche nur im Bett lag, geschlafen habe und gefühlt jeden Tag tausend Heiltränke zu mir nahm. Einige Male bekam ich Besuch von June, Elle, Fred und George und sogar Professor McGonagall hat sich ein Mal bei mir erkundigt, um zu schauen, wie es mir ging. Mein Vater jedoch hat sich die ganze Zeit kein einziges Mal blicken lassen. Ich dachte, nach dem Vorfall in der Kammer, ich würde ihm wenigstens ein bisschen etwas bedeuten, doch wie es aussah, habe ich mich geirrt. Irritiert davon, wie stark mir dieser Gedanke weh tat, bemerkte ich die Blicke der anderen Schüler nicht, als ich mit Professor Dumbledore zurück zum Gryffindor Turm lief. Als wir beim Portrait der fetten Dame angekommen sind, blieben er stehen. "Falls etwas ist, wissen sie ja, wo sie mein Büro oder das von Professor McGonagall finden." Ich nickte schweigend. "Ich werde Anne eine Eule schicken und ihr von den Geschehnissen berichten." Anne hatte ich komplett vergessen und nun, als Dumbledore ihren Namen erwähnte, merkte ich erst, wie sehr ich sie vermisste. Bis zu den Sommerferien hatten wir nur noch drei Wochen Unterricht und ich freute mich schon riesig auf sie und die anderen. Doch ich war mir nicht sicher, ob es schlau war, ihr zu erzählen, was in Hogwarts alles passiert ist. Sie würde sich nur Sorgen machen, dachte ich, meinen Blick auf das Portrait gerichtet. "Ich schreibe natürlich, dass sie sich keine Sorgen machen muss, und dass sie wieder wohl auf und in besten Händen sind", erwiderte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich wand meinen Blick vom Portrait ab und schaute direkt in Dumbledores hellblaue Augen. "Danke", wisperte ich, worauf mir Dumbledore zunickte. Ich wandte mich von ihm ab und betrat durch das Portraitloch den Gryffindor-Gemeinschaftsraum.

Als ich im Zimmer ankam, legte ich mich erschöpft auf das Bett. Erstaunt darüber, wie viel Anstrengung mich der kurze Weg vom Krankenflügel in den Gryffindorturm gekostet hat. Mir ging es zwar bedeutend besser und ich hatte fast keine Schmerzen mehr. Madam Pomfrey konnte alle Verletzungen heilen und mein Gehirn wurde so wie es aussah bei den Stürzen nicht gravierend beschädigt. Doch ich hatte immer noch gelegentlich so stechende Kopfschmerzen, dass ich nicht mehr klar denken konnte und mir beinahe schwarz vor Augen wurde. Ausserdem war mir fortlaufend übel und schwindelig. Mit der letzten Kraft, die ich noch hatte, sammelte ich mich, stand auf und bewegte mich ins Bad. Als ich in den Spiegel schaute, sah ich erst, wie fertig ich aussah. Ich blickte einem energielosen Körper entgegen, der fast genau so aussah, wie ich mich fühlte. Tiefe Ringe bildeten sich unter meinen Augen. Ich war bleich und zitterte. Meine Augen waren glasig und sahen aus, als hätte ich die ganze Nacht durchgeheult.

Nach dem ich mich geduscht und mich wieder frisch gemacht habe, ging ich zurück in das Zimmer und sass an die Bettkante. Ich machte nichts, sass einfach nur da und starrte in die Leere. Kurz darauf ging die Tür auf und June betrat das Zimmer. Sie trug ein Lächeln auf den Lippen, doch als sie meinen Gesichtsausdruck sah, wandelte sich dieses Lächeln in Sorgenfalten um. "Faye? Alles in Ordnung?" Ich nickte ohne etwas zu sagen. "Bist du sicher? Du siehst nicht wirklich danach aus." "Alles gut. Ich bin nur ziemlich erschöpft", gab ich leise zur Erklärung von mir. June schaute mich mit einem misstrauischen Blick an, sagte aber nichts mehr. Ich wusste, dass man mir ansah, dass es mir nicht gut ging. Um ehrlich zu sein ging es mir überhaupt nicht gut. Aber ich wollte nicht noch länger in diesem Krankenbett verweilen und wenn es etwas gab, das ich hasste, war es, wenn sich alle Sorgen um mich machten. Das gab mir das Gefühl, nicht stark genug zu sein und ich wollte stark sein. Ich wollte zeigen, dass ich mit schwierigen und gefährlichen Situationen umgehen kann und nicht wie ein Schwächling aussehen, der nichts hinkriegt und verletzlich war. Und genau das war jetzt der Fall.

"Kommst du zum Abendessen in die Grosse Halle oder soll ich dir was mitbringen?" unterbrach June meine Gedanken und setzte sich neben mich. "Ich komme mit runter", gab ich ihr als Antwort ohne weiter darüber nachzudenken. Ich hatte zwar keinen Hunger und mir war ziemlich übel, aber vielleicht tat es ganz gut alle anderen wieder in einem gewohnten Umfeld zu sehen und meinen Alltag so normal wie möglich zu gestalten. "Ist dir das nicht ein bisschen viel? Also nicht, dass ich dich nicht dabei haben möchte, aber vielleicht wäre es vorerst besser, wenn du ein bisschen Ruhe hast." Ich zuckte mit den Schultern. Ich wusste, dass June recht hatte und mich das Abendessen in der grossen vermutlich ziemlich überfordern würde, aber ich wollte nicht schon wieder alleine sein. Das war ich letzte Woche schon genug. "Geht schon", erwiderte ich schlussendlich. June sah mich mitfühlend an, stand anschliessend wieder auf und hielt mir die Hand hin. Ich griff danach und hakte mich bei ihr ein.

Nach einer gefühlten Ewigkeit und mindestens tausend Treppenstufen erreichten wir die Grosse Halle, die schon beträchtlich gefüllt von Schülern war, obwohl es noch ziemlich früh für das Abendessen war. Beim Betreten lagen viele Blicke von Schülern auf mir, die ich versuchte zu ignorieren. Ich wollte gar nicht wissen, wie ich aussah, so wie die mich musterten. Mein Blick blieb am Lehrertisch hängen, von dem her mein Vater jede Bewegung von mir beobachtete. Er schien ziemlich verwundert zu sein, mich bereits wieder hier zu sehen und auch er hatte einen erschrockenen Gesichtsausdruck, da man mir vermutlich von zehn Kilometern Entfernung ansah, wie es mir ging. Trotzig und mit funkelnden Augen starrte ich zurück. Als sich unsere Blicke trafen, wandte er seinen schnell ab und tat so als hätte er mich nicht gesehen. Ich hatte wirklich das Gefühl, ich würde ihm vielleicht trotzdem  etwas bedeuten. Ich dachte er sorge sich um mich, nach dem, was letzten  Freitag passiert war. Doch anscheinend hatte ich mich geirrt. Nicht  einmal jetzt, wo uns nur einige Meter trennten, kam er zu mir, um sich  zu erkundigen, wie es mir ging. Wütend aber irgendwie auch enttäuscht drückte ich nun Junes Arm etwas kräftiger. Unsere Beine liefen nun etwas schneller zu George und Ginny, die bereits am Gryffindortisch sassen.

Als ich mich neben Ginny niederliess, merkte ich erst, wie viel Kraft mich der Weg gerade gekostet hat. Und plötzlich hielt ich die Idee, hier unten zu sein und mit so vielen Leuten in einem Raum zu Abend zu essen, nicht mehr so ideal. Mir wurde auf einmal wieder ziemlich übel und schwindelig. Meine Atmung beschleunigte sich. Es baute sich ein Druck in mir auf, den ich nicht ganz deuten konnte und ich nahm nichts mehr um mich herum wahr, ausser die lauten, durcheinander redenden Stimmen der Schüler. "Faye?", hörte ich eine gedämpfte Stimme neben meinem Ohr. "Faye? Alles gut?" Ich konnte die Stimme nicht zu ordnen. Es war laut. Viel zu laut. Die Stimme verschwamm mit den anderen und wirkte, als käme sie von einiger Entfernung. "Ich muss raus", keuchte ich nach Luft ringend. Mit zittrigen Beinen stand ich von der Bank auf, wurde jedoch an meiner Hand festgehalten. Als ich mich umdrehte starrte ich in Junes besorgte Augen. "Was ist los Faye?" hörte ich nun ihre Stimme deutlich klarer als vorher. "Es- es geht nicht. Ich muss raus." Meine Antwort war nichts mehr als ein tonloses Flüstern. Bevor ich mich wieder umdrehte, erhaschte ich einen kurzen Blick auf den Lehrerpult, von dem mich mein Vater mit einer ernsten Miene beobachtete. "Ich muss raus", wiederholte ich und Tränen stiegen in meine Augen. "Komm wir gehen." Behutsam legte June ihre Hand auf meine Schultern und wir verliessen gemeinsam die grosse Halle.

Faye Lily Evans - The Girl Who LovedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt