44 - i care about you, faye

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13. Januar 1993

Ich sass gerade im Zaubertränkeunterricht und starrte irgendwo ins Leere. Wir mussten einen Aufsatz über die Auswirkung der Mondphasen auf den Effekt der Tränke schreiben. Ich war schon fast fertig, doch konnte mich für den letzten Abschnitt einfach nicht konzentrieren. Immer wieder spürte ich Snapes Blicke auf mir, was relativ merkwürdig war. Seit unserem Streitgespräch letzten Samstag ist die Situation zwischen uns ziemlich angespannt. Eigentlich hatte ich vor heute Zaubetränke zu schwänzen, jedoch entschied ich mich kurzfristig dagegen. Die anderen würden nur Fragen stellen und ewig kann ich Snape nicht aus dem Weg gehen. Doch ich hatte auch nicht das Bedürfnis mit ihm über das, was zwischen uns im Raum steht zu sprechen.

Ich erwachte aus meinem Starrmoment, als mich Elle anstupste und zu Snape nickte. "Evans?" Vermutlich war es bereits das zweite Mal, als er mich rief, denn die Frage habe ich anscheinend verpasst. Die Köpfe einiger Schüler waren zu mir umgedreht, als ich etwas durcheinander zu Snape nach vorne blickte. "Tschuldigung?" Fragend zog ich die Augenbrauen hoch. "Sind sie fertig?" wiederholte er mit seiner monotonen Stimme. "Nein Sir", sagte ich und sank den Blick wieder auf mein Blatt. Ich kritzelte einige weitere Sätze hin und las den Aufsatz zum Schluss noch einmal ganz durch, um ihn, wo nötig, noch etwas zu verbessern. Einige Minuten später packte ich meine Sachen zusammen und ging nach vorne, um das Pergament auf den Lehrerpult zu legen. Ich blickte Snape nicht an, als ich den Aufsatz abgab, stattdessen drehte ich mich, bevor er etwas sagen konnte, um und verliess das Klassenzimmer.

Trotz meiner abschweifenden Gedanken, war ich wieder einmal die erste, die ihren Aufsatz abgab. Zaubertränke lag mir einfach und ich musste mir nicht wirklich grosse Mühe machen, um gute Noten zu schreiben. Naja, wurde mir vermutlich vererbt.

Am selben Abend war ich auf dem Weg zum Slytherin Gemeinschaftsraum, da ich mit Elle zum Lernen für Zaubertränke verabredet war. Gerade als ich die Treppen zu den Kerkern hinunterstieg und in den kühlen, feuchten Gang einbog, kam mir mein Vater entgegen. Ich schenkte ihm keine Beachtung und lief geradeaus weiter. Als er wenige Meter vor mir war, verlangsamte er seinen Schritt. "Faye." Seine Stimme klang ruhig. Ich ignorierte ihn, doch als ich an ihm vorbei lief, packte er mich am Handgelenk. "Faye!" Gereizt fuhr ich herum und zog die Hand aus seinem Griff. "WAS?" zischte ich. Einen Moment sagte er nichts, also entschied ich mich, weiter zu laufen. "Es tut mir leid." Ich hielt inne und stutze, wandte meinen Blick jedoch nicht von der Richtung ab.

"Was tut dir leid?" Erst jetzt drehte ich mich zu meinem Vater um. "Ich? Mein verkorkstes Leben? Oder wie du mich behandelst?" ergänzte ich gehässig. Er schaute mich mit einem gemischten Blick aus Verunsicherung und Reue an. "Was ich zu dir gesagt habe, tut mir leid. Aber ich mache mir Sorgen um dich, Faye. Verstehst du das nicht? Früher oder Später wird herauskommen, wer du bist und diese Tatsache bringt dich in Gefahr. Sirius Black ist nur der Anfang." Ich lachte schnaubend auf. War ja klar. Es tat ihm nicht wirklich leid. Er wollte nur sein Verhalten rechtfertigen. Ich drehte mich wieder um und wollte weiterlaufen, dieses Gespräch hinter mir lassen, da es sowieso zu nichts führte. doch als er weiter fuhr, hielt ich erneut an.

"Du würdest jede Gefahr auf dich nehmen, um Menschen zu beschützen die dir etwas bedeuten. Du würdest dich für jeden opfern Faye, dafür bist du die, die sich in grösster Gefahr befindet. Wenn die Leute wüssten, wer du bist..." Er hielt kurz inne, fuhr aber kurz darauf wieder fort. "Du stehst nicht unter Schutz des Zaubereiministeriums, so wie Potter. Nur wenige Leute wissen von deiner Existenz und haben die Möglichkeit dir Schutz zu gewähren. Nimm ihn an, Faye." Und schon wieder waren wir beim gleichen Thema. Empört drehte ich mich um. Ungläubig und trotzig starrte ich in die schwarzen Augen meines Vaters und ging gereizt einen Schritt auf ihn zu.

"Und was ist mit meinen Bedürfnissen? Ihr habt das Gefühl, durch eure Massnahmen bin ich in Sicherheit, doch in Wahrheit ist es genau das, was mich zerstört. Mir wird die Freiheit genommen. Ich habe auch ein Leben. Ständig entscheiden andere über dieses Leben. Mein Leben! Was gut für mich sein soll und was nicht. Ständig werden Entscheidungen über mich getroffen, bei denen ich nicht mitreden darf. Ich bin keine Marionette und ebenso bin ich nicht aus Zucker. Ich bin nicht zerbrechlich. Du selbst hast gesagt, ich habe viel potenzial. Dann werde ich mich doch wohl auch selbst vor dem beschützen können, was mich in Gefahr bringt." Meine Stimme klang aufbrausend. Ich war aufgebracht und verärgert, doch ich wollte ihm zeigen, was sein Handeln für Emotionen in mir auslöst. Wie ich mich dabei fühle, wenn alle das Gefühl haben, sie wissen, wie sie mich zu beschützen haben müssen. "Ich mache mir Sorgen um dich Faye!" platzte es aus ihm heraus. Ich schnaubte. "Ja klar. Eine schöne Art das zu zeigen. Und wenn du mich nicht wieder einmal zurechtweisen musst und mir deutlich machst, wie verantwortungslos ich sei, werde ich von dir ignoriert. Dann existiere ich für dich nicht. Dann bin ich nur eine von diesen arroganten, frechen Gryffindor Schülerinnen, die sowieso nichts taugen", sagte ich zynisch.

"Ich wollte dich nicht verletzen. Das war nie meine Absicht, Faye." Seine Stimme war noch genauso eintönig wie vorher und ich konnte keinerlei Emotionen herauslesen. Ich schloss die Augen, die sich mit Tränen füllten und atmete einmal tief durch. "Hast du nicht." Ich schlug meine Augen wieder auf und blieb an dem funkelnden Blick meines Vaters hängen. "Du hast mir nur verdeutlicht, dass ich eine Enttäuschung für dich bin." Ich lächelte künstlich. "Das stimmt nicht", sagte er monoton. "Du vermittelst mir aber das Gefühl, dass ich dir nichts bedeuten würde." Eine Träne kullerte über meine Wange. Nun trat mein Vater mit wehendem Umhang einige Schritte auf mich zu. "Überall in dir erkenne ich Lily. Dein Charakter, dein Aussehen, deine Gesten. Du bist eins zu eins sie. Du könntest mir gar nicht nichts bedeuten." Mein Herz schmerzte. Ich atmete stockend und musste mich bemühen, meine Tränen zurückzuhalten. "Mag sein, dass wir uns sehr ähnlich sind. Aber ich bin nicht sie. Ich bin nicht Lily." Meine Stimme klang zerbrechlich.

"Nein bist du nicht... Aber du bist ihre Tochter." Er machte eine kurze Pause. "Sowie auch meine", fügte er kaum hörbar hinzu. "Du bedeutest alles für mich Faye. Ich halte Abstand zu dir, weil ich nicht will, dass du Lilys Eigenschaften verlierst. Ich bin kein guter Mensch. Ich will nicht, dass du so wirst wie ich. Ich habe Angst zu versagen." Wortlos und mit zitterndem Atem stand ich ihm gegenüber. Einige Sekunden vergingen, ohne dass jemand von uns etwas sagte. Dann holte ich tief Luft.

"Ich will gar nicht, dass du den perfekten Vater für mich spielen musst. Ohne den konnte ich die letzten 14 Jahre problemlos leben. Alles was ich brauche ist ein bisschen Verständnis und Anerkennung für wer ich bin." Doch das war nicht ganz die Wahrheit. Ja, ich hatte eine wunderschöne Kindheit mit Leuten um mich herum, die mich liebten. Die für mich eine Familie waren. Doch ich hatte immer das Bedürfnis meine echten Eltern kennen zu lernen. Mein ganzes Leben lang fehlte dieser Teil in mir.

"Seit ich denken kann, war es mein grösster Wunsch meine Mutter eines Tages in die Arme schliessen zu können. Ich konnte sie nie kennenlernen, doch wir hatten trotzdem eine besondere Bindung. Das spürte ich. Ich spürte ihre Liebe in mir. Und vielleicht klingt es absurd, doch ich kann mich daran erinnern, wie sie mich an dem Tag, als sie mich ins Waisenhaus brachte, im Arm gehalten und mir ins Ohr geflüstert hat 'Ich liebe dich Faye'. Die Vorstellung von meiner Mutter war und ist alles für mich." Meine Augen funkelten und meine Stimme klang nostalgisch.

"Ich habe jeden Tag Moms Brief gelesen, den sie mir zum Abschied geschrieben hat. Der Brief und ein Foto von ihr und mir waren die einzigen Anhaltspunkte, die ich von ihr hatte, doch sie machten mir Hoffnung. Hoffnung, dass ich ihr wirklich eines Tages wieder begegnen würde. Als ich den Brief von Hogwarts bekam, wurde die Hoffnung grösser und ich hatte das Gefühl, meiner Mutter endlich einen Schritt näher gekommen zu sein. Und dann-" Meine Stimme brach ab und meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich atmete einmal tief durch. "Und dann habe ich erfahren, wer sie war, und dass sie tot ist. Von einem Moment auf den anderen ist die Hoffnung einfach verpufft. Ich spürte wieder diese Leere in mir, die zwar die ganze Zeit da war, die jetzt aber mit Sicherheit nie gefüllt werden kann. Ich würde meine Mutter nie in die Arme schliessen, mit ihr lachen und reden können." Meine Stimme zittert und Tränen liefen mir über meine Wangen. "Und dann erfuhr ich, wer mein Vater war und hatte das Gefühl, ich wäre ihm egal. Ich hatte das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, nicht gewollt oder akzeptiert zu sein. Und ich konnte mich niemandem anvertrauen." Meine Stimme klang aufgebracht und ich sprach unter Tränen. Ich war sichtlich überfordert mit der Situation, doch es fühlte sich einfach gut an, alles einmal loszuwerden. Es sprudelte einfach aus mir heraus. "Ich darf mit niemandem darüber sprechen. Ich bin einfach allein  damit. Ich-" Doch meine Stimme brach ab. "Ich kann nicht mehr", fügte  ich noch leise unter Tränen hinzu.

Und dann tat er etwas, was mich ziemlich überraschte. Er nahm mich in den Arm. Severus Snape nahm mich in den Arm. Und es fühlte sich nicht komisch oder unangenehm an. Es war genau das, was ich gerade brauchte. Eine Umarmung von meinem Vater. Und in diesem Moment spürte ich, wie eine riesige Last von mir abfiel. Eine Last, die sich über so viele Jahre in mir angestaut hat. Ich schluchzte an seinen Brustkorb und es tat so gut. "Du bist mir nicht egal, Faye. Ich hoffe das weisst du", sagte er bestimmt, nachdem wir einige Sekunden oder vielleicht sogar Minuten so dastanden. Ich löste mich wieder von ihm und strich mir mit meiner Hand einige Tränen aus dem Gesicht. Als ich meinen Blick wieder zu meinem Vater hob, merkte ich, wie auch seine Augen verdächtig glitzerten. "Danke", wisperte ich kaum hörbar und er nickte nur.

Faye Lily Evans - The Girl Who LovedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt