52 - open up, close down

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Februar 1994

In den nächsten Wochen hatte ich das Gefühl, dass sich Draco mir gegenüber etwas geöffnet hatte. Er wirkte fröhlicher und nicht mehr so besorgt. Keine Ahnung, ob es etwas mit unserem Gespräch zu tun hatte, oder ob er wirklich einfach weniger Probleme hatte.

Trotzdem hat sich etwas zwischen uns geändert. Wir sind uns auf einer freundschaftlichen Weise näher gekommen und er war dabei, Vertrauen zu mir aufzubauen. Er ging lockerer mit mir um, auch wenn mir seine verstohlenen und nachdenklichen Blicke nicht entgingen. Wir redeten sehr viel miteinander, doch über sich erzählte Draco fast nie etwas. Ich weiss nicht, ob er Angst hatte, ich würde ihn verurteilen, wenn ich zu viel über ihn, seine Familie oder seine Vergangenheit erfahren würde oder ob er einfach nicht gerne darüber sprach. Ich drängte ihn auf jeden Fall nicht, denn schliesslich erzählte ich ihm ja auch nicht alles. Ausserdem fand ich seine geheimnisvolle Art irgendwie interessant. Doch manchmal hatte er wieder Rückfälle. Immer in ähnlichen Situationen, wenn ich das Gefühl hatte, ich wäre fast zu ihm durchgedrungen. Immer, wenn er kurz davor war, sich ganz zu öffnen, wich er zurück und schaffte Abstand. Er war abweisend und liess mich nicht in seine Nähe kommen.

Das gleiche passierte auch in anderen Situationen. In Situationen, in denen zwischen uns eine Spannung herrschte. Da war eine Anziehung zwischen uns, die ich nicht wirklich deuten konnte. Keine Ahnung was für eine Art von Anziehung das war, doch irgendetwas war auf jeden Fall zwischen uns. Ich fühle mich irgendwie zu ihm hingezogen und ich glaube er ebenso zu mir. Ich kann meine Gefühle ihm gegenüber nicht einordnen, doch ich ich fühlte mich wohl in seiner Nähe und hatte oft das Bedürfnis ihn zu berühren. Und das sollte eigentlich nicht sein. Das durfte nicht sein. Er war Draco Malfoy und ich die Schwester seines Erzfeindes. Alles was über Freundschaft hinaus gehen würde, wäre bereits von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

"Faye?" Elles Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Doch bevor ich fragend zu ihr schaute, sah ich zu Dracos Hand, die die äussere Seite meines Oberschenkels leicht berührte und sie leicht zum kribbeln brachte. Dann hob ich meinen Kopf und sah zu Draco, der jedoch in einem Gespräch vertieft war, und nicht einmal merkte, was seine Berührung in mir ausgelöst hat. Ich schluckte und drehte meinen Kopf zu Elle, die neben June auf der Couch gegenüber von mir sass. "Alles okay?" Ich räusperte mich. "Ehm ja. Wieso was soll sein?" Nun starrte mich auch June durchdringlich an, denn meine Stimme zitterte leicht und klang vermutlich nicht wirklich überzeugend. Draco bewegte sich leicht und kam mir noch näher, als er ohnehin schon war. Ich atmete unruhig aus und schloss dabei kurz meine Augen. "Sicher?" Nun war es June, die mich fragte. Ich öffnete die Augen wieder und nickte. Als Draco seinen Kopf zu mir drehte stand ich reflexartig auf. "Ich muss noch meine Hausaufgaben für McGonagall fertig machen. Ich bin in der Bibliothek, falls ihr mich sucht", sagte ich erklärend. June und Elles Blicke lagen immer noch auf mir und waren ebenso irritiert, wie Dracos. Doch eigentlich stimmte es wirklich, ich hatte noch einiges zu tun, aber vor allem musste ich einfach schnell raus. Frische Luft schnappen und mich sammeln. Keine Ahnung was das war, doch es ist besser, wenn ich es bald herausfinden würde.

Auf dem Weg in den Gryffindorturm war ich so in Gedanken versunken, dass ich nicht wirklich wahrnahm, was um mich geschieht, bis eine dunkle Gestalt direkt vor mir auftauchte, und mich an der Schulter festhielt um mich zu stoppen. Ich blickte hoch, in die schwarzen Augen meines Vaters. Er runzelte die Stirn. "Ist etwas passiert?" Ich schüttelte langsam den Kopf. "Nein. Wieso?" Er hob eine Augenbraue hoch. "Du wirkst ziemlich nachdenklich." Ich setzte ein Lächeln auf. "Alles bestens!" Ich nickte ihm versichernd zu, während ich an ihm vorbei lief. Snape drehte sich noch einmal zu mir um, führte dann den Weg zu seinem Büro ohne weiteres zu sagen ebenfalls fort.

Ich holte rasch die Bücher, die ich für die Hausaufgaben in Verwandlung brauchte, aus meinem Zimmer und ging dann die Treppen in den Gemeinschaftsraum wieder hinunter. Als ich durch das Portraitloch hinaus ging, stiess ich fast mit George zusammen. "Du hast deinen Kopf heute auch irgendwo anders", sagte er amüsiert. Ich presste die Zähne aufeinander. "Sorry..." entgegnete ich knirschend. "Auf dem Weg in die Bibliothek?" Ich nickte. "Kommst du mit?" Er zog eine Grimasse. Doch als ich ihn mit schmollendem Mund ansah knickte er ein. "Na gut, aber nur deinetwegen." Ich grinste. "War mir schon klar, dass du nicht freiwillig Hausaufgaben machst." Also hakte ich mich bei ihm unter und wir gingen die Treppen hinunter in den vierten Stock des Schulgebäudes, wo sich die Bibliothek befand. Ich war echt froh um Georges Anwesenheit, denn ich konnte Ablenkung und Unterhaltung gerade ziemlich gut gebrauchen. Doch ich wusste, dass ich mich mit meinem Empfinden auseinandersetzen musste, auch wenn ich es lieber verdrängen würde.

Vor dem Abendessen ging ich noch einmal ins Zimmer, um die Bücher zu verräumen. Als ich das Zimmer betrat lag June auf dem Bett und las ein Buch. "Hey", sagte ich leise, während ich meine Tasche auf meinem Bett ablegte und mich daneben auf die Bettkante setzte. June senkte das Buch. "Hey?" Ihr fragender Unterton und durchdringlicher Blick entging mir nicht. "Willst du mir jetzt sagen, was los ist?" Ich seufzte. June kannte mich einfach zu gut. "Es ist nichts. Wirklich. Es ist einfach gerade ziemlich viel los und ich habe einen vollen Kopf", redete ich mich heraus. Was genau alles los war, wusste ich ehrlich gesagt selber nicht wirklich. "Hat dein voller Kopf etwas mit Draco zu tun?" Ich drehte mich ertappt zu ihr um. "WAS?" fragte ich ungläubig. "Komm schon Faye. Ich seh doch, wie ihr euch anschaut." Ich wand meinen Blick wieder von ihr ab, auf den Schuh, den ich gerade versuchte zu entknoten. "Da ist nichts", murmelte ich. "Das würde nie gut gehen." June seufzte. "Das hat nichts mit einander zu tun. 'Da ist nichts' und 'Das würde nie gut gehen' sind zwei komplett andere Dinge." Ich drehte mich wieder zu ihr um und runzelte die Stirn. June hat sich mittlerweile aufgesetzt und sah mich noch immer an, als könnte sie meine Gedanken lesen. Ich hasste es, wenn sie das tat. Sie hatte viel zu gute Menschenkenntnisse und konnte vermutlich wirklich die Gedanken an Gesichtsausdrücken ablesen. Also versuchte ich meinen zuversichtlichsten Gesichtsausdruck aufzusetzen und wiederholte, was ich eben gesagt habe. "June zwischen Draco und mir ist nichts und da wird auch nie etwas sein. Ehrlich." June sagte nichts weiter, sass einfach nur schweigend da und musterte mich. Sie wusste, dass das nicht die ganze Wahrheit war und ich wusste, dass sie Recht hatte. Und das machte mir Angst. Zwischen Draco und mir lief zwar nichts, was über freundschaftliche Absichten hinaus ging, doch ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, meine Gefühle gegenüber ihm wären rein freundschaftlich. Ich fühlte etwas für ihn und das war gefährlich. Würde jemals mehr zwischen uns sein, könnte es gar nicht gut enden. Auch wenn wir uns gut verstanden, waren wir zu verschieden. Wir kamen von zwei komplett verschiedenen Welten mit Vergangenheiten, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Er war ein Malfoy. Ich die Tochter von einer muggelstämmigen Hexe, die Schwester von Harry Potter und eine Gryffindor. Wie könnte das funktionieren?

Diese Gedanken liessen einen Kloss in meinem Hals bilden. Mein Kopf fühlte sich an, als drohte er zu explodieren. Deswegen entschied ich mich aufzustehen, alles zu verdrängen und dem allem aus dem Weg zu gehen. Draco aus dem Weg zu gehen, bis sich meine Gedanken und Gefühle wieder etwas geordnet haben.

Ich nahm einen dunkelroten, fast braunen Hoodie mit dem Gryffindor Logo auf dem Rücken, der mir viel zu gross war, aus meinem Kleiderschrank und zog ihn über mein weisses Rollkragenshirt. Dann schlüpfte ich in meine schwarzen Converse und schaute June auffordernd an. "Kommst du? Ich habe hunger." June nickte seufzend und kurz darauf verliessen wir das Zimmer in Richtung grosse Halle, ohne noch ein weiteres Wort über Draco und mich zu verlieren.

Faye Lily Evans - The Girl Who LovedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt