Am nächsten Nachmittag nach Unterrichtsschluss setzten June und ich uns nach draussen auf eine Bank im Innenhof, um das schöne Spätsommerwetter zu geniessen. Ich las gerade einige Seiten im Buch Verwandlung - die Zwischenstufen, die Professor McGonagall uns aufgetragen hat, als sich ein Schatten über die Buchseiten ausbreitete. Ich hob meinen Kopf und blickte in ein blasses, von Narben überzogenes Gesicht. Ich war so irritiert, dass ich einen Moment brauchte, bis ich realisierte, wer vor uns stand. "Professor Lupin", sagte June, die diese Erkenntnis wohl einige Augenblicke früher hatte als ich. Er nickte uns zur Begrüssung nur zu, ergänzte dann jedoch: "Wie ich sehe, geniesst ihr ebenfalls die traumhafte Sommerluft." "Naja, von Geniessen kann wohl nicht wirklich die Rede sein", erwiderte June und hob als Erklärung das Buch etwas hoch. "So schlimm ist es jetzt wirklich nicht", widersprach ich, den Blick immer noch nachdenklich auf Professor Lupin gerichtet. "Hm." Professor Lupin schmunzelte. "Faye, kann ich dich für einen kurzen Spaziergang entführen? Ich würde gerne mit dir über etwas reden." Etwas irritiert schaute ich zu June, wandte meinen Blick aber gleich wieder zu Professor Lupin. "Ähm, ja klar", antwortete ich dann rasch. Er nickte mir lächelnd zu und drehte sich schon einmal um. June schaute mich fragend an, ich zuckte als Antwort jedoch nur mit den Schultern und kehrte ihr dann den Rücken zu.
Als wir einige Meter gelaufen sind nahm ich schliesslich meinen Mut zusammen. "Was ist los Sir? Habe ich etwas angestellt?" Lupin lächelte. "Gewissenhaft, wie deine Mutter", sagte er beiläufig. Ich stutzte. "Wie bitte? Woher-" "Lily hat mir ihr Geheimnis anvertraut kurz nach dem sie von dir erfahren hat." Ich verstand immer noch nichts. "Das kann nicht sein! Sie hat niemandem ausser Anne davon erzählt." Ich schaute ihn mit zusammengekniffenen Augenbrauen an. "Das hat sie ihr so gesagt, ja, weil sie nicht wollte, dass Anne sich auf die Suche nach mir macht und unerwünscht irgendwo Aufmerksamkeit erregen würde." Mir schwirrten gerade so viele Fragen im Kopf, aber ich hatte Mühe sie auszusprechen. "Woher kannten Sie sie?" fragte ich schlussendlich als erstes und blickte zu ihm hoch. "Wir waren im gleichen Jahrgang, als wir Hogwarts besuchten und verstanden uns von Anfang an ziemlich gut. Deine Mutter war für mich da, wenn es niemand anderes sonst war. Später hat sie James Potter, einen meiner engsten Freunde geheiratet. Wir wurden alle Mitglieder des Orden des Phönix und kämpften gegen Voldemort. Was dann passiert ist, weisst du ja wahrscheinlich." Eine Träne kullerte über meine Wange. Ich senkte meinen Blick und starrte auf den Boden vor mir.
"Hat sie es sonst noch jemandem erzählt? Ich meine von mir?" fragte ich nach einem Moment, in dem keiner von uns etwas sagte. "Ich nehme an deinem Vater", erwiderte er seufzend. "Sie wissen wer mein Vater ist, nicht wahr?" Professor Lupin schaute mich fragend an. "Weisst du es denn?" Ich nickte. Mittlerweile befanden wir uns in der Mitte von der Holzbrücke. Ich stütze mich mit den Ellbogen auf dem Geländer ab und schaute in die Ferne. "Ich bin ihm egal." Professor Lupin trat nun neben mich und blickte in die selbe Richtung. "Nein Faye, das bist du ihm bestimmt nicht. So schwer das Verhältnis zwischen Snape und mir auch sein mag, kann ich mit Gewissheit sagen, dass er ein grosses Herz hat, auch wenn einem das grösstenteils nicht so vorkommt." Nun wandte ich meinen Blick wieder Professor Lupin zu. "Wieso versucht er es dann nicht wenigstens. Jedes Mal wenn ich denke, dass wir uns ein bisschen näher gekommen sind, bricht er die Beziehung wieder ab und tut so, als wäre ich nur eine seiner Schülerinnen." Ein Wutgefühl kam in mir hoch. Nie konnte ich mit jemandem darüber reden und jetzt erst merkte ich, wie sehr mich dieses Thema beschäftigt. "Vermutlich weil er es schlichtwegs nicht kann", erwiderte Lupin. Wieder einmal füllten sich meine Augen mit Tränen. "Er weiss nicht, wie er damit umgehen soll. Mit seiner Aufgabe als entmutigenden und nichts duldenden Lehrer konnte er hervorragend umgehen und jetzt, nach so langer Zeit, muss er Gefühle zeigen, die er seit Lilys Tod versteckt hat." Nun konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. "Aber ich bin doch seine Tochter", schluchzte ich aufgebracht. "Du bist nicht nur seine Tochter, sondern auch Lilys und das ist vermutlich der Grund für sein Verhalten. Er hat sich nie verziehen, was er Lily angetan hat und wie das zwischen ihr und ihm ausgegangen ist. Die Tatsache, dass du in deinem Aussehen und Charakter beinahe Lilys Ebenbild bist, macht es für ihn sicherlich nicht leichter. Ich möchte ihn nicht in Schutz nehmen Faye, doch er hatte bisher wirklich kein schönes Leben und ich hoffe, er wird möglichst bald merken, dass er in dir etwas hat, das sein Leben weniger trist macht." Ich schniefte. "Was ist zwischen ihm und Mom passiert?" Lupin atmete laut ein. "Er hat deine Mutter ziemlich verletzt, aber das ist seine Sache. Vielleicht wird er es dir eines Tages selbst erzählen, wenn du ihn darauf ansprichst." Ich nickte langsam.
Der Himmel verfärbte sich langsam rosa und die letzten Sonnenstrahlen, sorgten dafür, dass die Wasseroberfläche glitzerte. "Ich denke wir sollten langsam zurück", sagte er nach einem Augenblick des Schweigens. "June denkt sich allmählich bestimmt schon, ich hätte dich wirklich entführt." Er lächelte. Und wieder merkte ich, dass mir sein Gesicht so unheimlich bekannt vor kam. Als hätte ich ihn schon einige Male gesehen. Zur Bestätigung nickte ich und wir liefen wieder in Richtung Schloss zurück. "Sir, eine Frage habe ich noch." Lupin schaute mich wartend an. "Kann es sein, dass ich sie schon einmal irgendwo gesehen habe? Schon gestern Abend kam mir ihr Gesicht so bekannt vor." Er schmunzelte. "Verrückt was unser Gehirn alles kann." Ich schaute irritiert zu ihm hoch. "Als du noch kleiner warst, habe ich öfter ein Auge auf dich geworfen. Ich nehme nicht an, dass du das weisst, aber als mir deine Mutter von dir erzählt hat, hat sie mich ebenfalls gefragt, ob ich dein Pate sein möchte." Ich schaute ihn mit grossen Augen an und er lächelte. Dann legte er seine Hand auf meine Schulter. „Ich habe versucht, so unauffällig wie möglich in deiner Nähe zu sein, aber wie es scheint, hat sich dein Unterbewusstsein mein Gesicht über die Jahre hinweg trotzdem abgespeichert", erklärte er. Also habe ich mir tatsächlich nicht eingebildet, dass ich Professor Lupin zuvor schon einmal gesehen habe. Ich machte eine verstehende Geste und kurz darauf erreichten wir wieder den Innenhof, auf dem June und ich vorher Hausaufgaben erledigt haben. June sass noch immer auf der Bank und war so in das Buch vertieft, dass sie uns nicht bemerkte. "Sie hat sich wohl doch keine Sorgen um mich gemacht", witzelte ich. "So wies aussieht nicht", erwiderte Lupin, ebenfalls in einem ironischen Ton, doch kurz darauf wurde sein Gesichtsausdruck wieder ernster. "Du weisst, dass du immer zu mir kommen kannst, wenn du über etwas reden möchtest Faye oder? Egal, ob über deinen Vater, deine Mutter oder über sonst etwas, das dich bedrückt", sagte er mit einer sanften Stimme. "Danke Sir", antworte ich ihm darauf. Er schmunzelte. „Du musst mich nicht Sir nennen. Zumindest nicht, wenn wir unter uns sind." „Danke", wiederholte ich lächelnd und er nickte mir zu. "Du weisst ja, wo du mich findest." Mit diesen Worte entfernte er sich von mir. Als er neben June vorbei lief, schaute sie von ihrem Buch auf und er nickte ihr zu. Anschliessend bewegte sich Junes Kopf zu mir und ich lief auf sie zu.
"Immer noch am lesen?" fragte ich sie grinsend. "Über was habt ihr so lange geredet?" überstürzte sie mich und ignorierte gekonnt meine Frage. Es war kein Geheimnis, dass June neugierig war. Ich hätte also nicht erwartet, dass ich zurückkomme, ohne mit Fragen durchlöchert zu werden. "Über meine Mutter. Lupin war im selben Jahrgang wie sie", entgegnete ich ihr. "Oh", sagte sie nur und schloss darauf das Schulbuch mit Schwung. "Bin gerade fertig geworden." Ich grinste. "Ist es wenigstens spannend?" June zog eine Grimasse. "Kannst du mir bitte sagen, was ich wissen muss?" fragte ich mit einem gestellten flehenden Blick. "Wie könnte ich bei diesem Blick schon Nein sagen." Wir lachten beide laut auf, packten unsere Sachen zusammen, und auf dem Weg in den Gemeinschaftsraum berichtete mir June, was auf den Seiten steht, die wir eigentlich hätten lesen müssen.
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Faye Lily Evans - The Girl Who Loved
FanfictionFaye L. Evans, ein Waisenmädchen aus London mit rotbraunen, gewellten Haaren, hellgrünen Augen und Sommersprossen, die ihr hübsches Gesicht zieren ist ein aussergewöhnliches Mädchen. Da sie schon als kleines Baby ins Waisenheim gebracht wurde, hat s...