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Jeno

Zufrieden lächelnd marschiere ich den Flur herunter. Einige Mitschüler tuscheln, aber das macht mir nichts aus. „Da bist du ja!" Mark kommt mir mit einer Breze entgegen und schaut argwöhnisch hinter mich. „Bist du gerade aus der Abstellkammer des Hausmeisters gekommen?"

„Jaa", erwidere ich, denn Lügen erkennt Mark bei mir sofort, „Ich hab mein Portemonnaie doch vor den Ferien beim Kehren verloren."

„Und wieso war Jaemin auch da drin?"

Shit.

„Jaemin hat... mir Suchen geholfen."

„Der Raum ist keine zehn Quadratmeter groß. Wo hat er denn gesucht, in deiner Hose?" Er grinst schelmisch und frustriert beiße ich von seiner Käsebreze ab. „Man", maule ich kauend, „ich bin immer noch ungeküsst. Wir haben nur diskutiert."

„Darüber, wie viele Kinder ihr adoptiert? Und ob in euren Hochzeitskuchen Himbeeren oder Erdbeeren sollen?"

„Vier Kinder. Und das mit dem Kuchen bereden wir nochmal, Jaemin ist strikt gegen Erdbeeren." Manchmal hilft bei Mark einfach nur noch Ironie. „Jetzt wird man reden, mehr als davor schon, das ist dir klar, oder? Oh, ich wollte dir noch was zeigen!" Er kramt in seinem Rucksack. „Es gibt jetzt auf Insta hunderte nomin-Accounts. Und ein paar Fanarts sind echt gut gemalt..."

Ich betrachte die Zeichnungen nur kurz - Jaemin und ich unzählige Male in seinem Auto, knutschend oder lachend oder keine-Ahnung-was-machend - und setze mich dann in Bewegung, auf zu unserem nächsten Klassenraum. „Und hier sind Akzente so niedlich gesetzt..."

Ich höre nicht mehr zu, sondern denke an das, was ich von Jaemins Outing damals noch weiß.

Als er sich in der neunten Klasse oder so geoutet hat, gab es die verschiedensten Reaktionen: viele Schüler fanden ihn plötzlich abstoßend und auch einige Lehrer, aber der Großteil fand ihn mutig, bewundernswert und ‚man hatte es sich ja eh schon gedacht'. Was man sich genau schon gedacht hat, weiß ich bis heute nicht, doch aus dem Hype habe ich mich immer rausgehalten.

Ich selbst war damals und bin heute noch zu irrelevant, zu unsichtbar, als dass es irgendjemanden interessieren könnte, auf was ich stehe. Was aber auch ganz gut so ist, denn anders als bei Jaemin haben sich bei mir noch nie Liebesbriefe gestapelt und ich wüsste auch gar nicht, wie ich mit so viel Aufmerksamkeit umgehen sollte.

Allerdings stehe ich jetzt mit Jaemin im Rampenlicht.

Na super.

Am Abendessenstisch sehe ich Eomma kurz an. Sie ist gerade erst von der Arbeit gekommen und hat eben schon erfolglos versucht, den Schrank in der Küche zu reparieren. Eine kleine Freude hat sie sich sowas von verdient. „Mum?"

„Ja, Schatz?" Sie lächelt, versucht ihre Müdigkeit zu verbergen und ich weiß nicht, ob diese Lüge mir jetzt ein gutes oder schlechtes Gewissen bereiten wird. „Ich habe Jaemin eingeladen. Er würde sehr gerne mal vorbeikommen."

Für den Moment zumindest überwiegt das Glücksgefühl, als ich sie lächeln sehe. „Das ist toll! Er war letzte Woche schon so fürsorglich, bestimmt ist er furchtbar lieb!" Sie schwärmt noch das komplette Essen über, dann klopft sie auf ihre Oberschenkel. „Kannst du mir noch mit dem Schrank in der Küche helfen?"

Ich stehe auf einem Stuhl und werkele herum, da fängt Mum schon wieder an. „Schatz", sagt sie eifrig, „was isst Jaemin denn gern?" Ich seufze - es steht noch nicht mal fest, wann er kommt. „Keine Ahnung, woher soll ich das wissen?" Ihren Blick sehe ich nicht, aber sie klingt misstrauisch in ihrem nächsten Satz: „Weißt du überhaupt nicht, was er gerne isst?"

„Nicht wirklich, ich kenne ihn ja noch nicht so lange", weiche ich aus. „Aber ich frage ihn morgen mal. Kann ich einen Akkuschrauber haben?"

Den Akkuschrauber brauche ich zwar noch lange nicht, aber ich bin froh, dass ich einmal kurz meine Ruhe habe. Mein Gesicht, das beim Lügen immer sofort knallrot wird, konnte sie von da unten zwar nicht sehen, trotzdem war das bestimmt krass verdächtig.

Hoffentlich passiert irgendwas richtig Unangenehmes, wenn Jaemin da ist, denn mehr als einmal mache ich den Stress nicht mit.

cheese [nomin]Where stories live. Discover now