n e u n u n d f ü n f z i g

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Auf dem Weg nach Hause nehme ich einen anderen Weg als üblich und erst als es schon zu spät ist, merke ich, dass ich gerade in die Straße abbiege in der TJ wohnt. Mir entfährt ein leises Fluchen, da ich sie lieber umfahren hätte, doch als ich kurz vor TJs Haus bin, werde ich immer langsamer und bleibe am Rand stehen. Wieder muss ich an unser letzter Aufeinandertreffen denken und irgendwie interessiert mich seine Seite der Geschichte gerade doch sehr, besonders jetzt, da ich endlich ein wenig heruntergekommen bin. Zögernd rolle ich weiter nach vorne bis ich neben dem Haus bin und sehe aus dem Fenster. Nervosität und ein mulmiges Gefühl machen sich in mir breit, weshalb ich meinen Blick auf das Lenkrad wende. Ich würde eigentlich echt gerne mit ihm reden, doch gleichzeitig habe ich auch unglaubliche Angst davor. Davor, dass er mir nur das bestätigt, was ich schon weiß, und es nicht, wie ich es mir insgeheim wünsche, besser machen kann, mir sagen kann, dass es nur ein Missverständnis war. Unsicher kaue ich auf meiner Lippe herum.

Ob ich wohl einfach klingeln sollte, um mit ihm zu reden? Aber bin ich überhaupt dafür bereit? Und ist er überhaupt daheim? Ich habe ihn die ganze Woche nicht gesehen.

Auf einmal klopft es an der Scheibe neben mir und ich schrecke auf. Mit geweiteten Augen sehe ich aus dem Fenster und zu TJ, der neben meinem Auto steht. Panik kommt in mir auf, aber andererseits möchte ich nun wirklich hören was er zu sagen hat. Genau deshalb atme ich tief durch und deute schließlich auf den Beifahrersitz. Erleichterung macht sich auf seinem Gesicht breit, dann nimmt er das Angebot an und steigt ein. Wir sitzen eine ganze Zeit lang still da bevor ich mich räuspere.

„Du wolltest mir etwas sagen, also...ich höre.", ich gucke zu dem Tätowierten.

Er nickt leicht.

„Ja...", er zögert, starrt auf seine Hände, die in seinem Schoß liegen. „Es tut mir leid."

TJ sieht unsicher auf, ich hingegen mustere ihn ungläubig. Wieder wird das Auto in Schweigen gehüllt und schließlich lache ich unamüsiert auf, da mir bewusst wird, dass er nicht mehr zu sagen hat.

„Das ist alles? Es tut dir leid?", ich schnaube. „Was genau tut dir denn leid? Dass du mich belogen hast? Dass du mich benützt hast, um mit der Tatsache klarzukommen, dass du ein 17-Jähriges Mädchen so übel gemobbt hast, dass sie sich das Leben genommen hat?"

Der Größere schluckt.

„Beides.", seine Stimme ist ganz leise und ich kann gerade noch sehen, dass er den Mund aufmacht, um weiterzureden, doch es ist zu spät.

„Dann bekommen deinen fucking Mund auch mal
von alleine auf!", fauche ich ihn wütend an, würde ihn am liebsten aus meinem Auto schmeißen. „Dir muss man echt ALLES aus der Nase ziehen! Nicht mal obwohl du weißt wie sehr du mich verletzt und enttäuscht hast, schaffst du es eigene Worte zu formulieren und lässt mich alles sagen! Du wolltest dass ich dir zuhöre und jetzt hörst du eher mir zu! Was ist nur falsch mit dir?!"

Ich raufe mir die Haare und sehe TJ fassungslos an. Alleine schon, dass er mir nicht mal jetzt in die Augen sehen kann, bringt mich zum Rasen.

Kurz sitzt er weiterhin da ohne etwas zu sagen, doch in seinem Inneren tut sich etwas. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen und sein Kiefer spannt sich an, während er immer unregelmäßiger atmet.

„Fuck, ich weiß Tessa!", entfährt es dem Tätowierten dann schließlich und seine Augen treffen endlich auf meine. „Ich weiß, dass ich es verdammt nochmal verbockt hab, aber kannst du dir nicht auch vorstellen wie schwer das für mich ist?!" Seine Lippe bebt leicht. „Ich wollte dir die ganze Zeit davon erzählen. Wirklich Tessa. Aber ich hatte solch eine Angst vor deiner Reaktion und dadurch ist dieser Albtraum in dem wir jetzt sind entstanden. Ich hätte es dir sagen sollen, denn ich weiß wie diese Akten vom Gericht aussehen und dass sie mich im selben Licht wie meine Freunde darstellen, obwohl ich ganz anders bin.", TJ atmet durch und ich öffne den Mund, um etwas zu entgegnen, doch er redet weiter, lässt mich nicht zu Wort kommen. „Mir ist klar wie falsch sich das jetzt anhören muss, aber bitte hör mir zu. Nur ein bisschen."

Lies | TaddlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt