Kapitel 51

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Juliette Kerz

Sie ritten in gemächlicherem Tempo, als es aufhörte zu regnen. "Der Himmel sei gesegnet!", rief Goliardon aus, der sich in den letzten Tagen an Juliettes und Justins Fersen gehängt hatte, als wäre er etwas Besonderes. Mit im Schlepptau hatte er oft Lethan, denn sie diskutierten weiter über ethische und religiöse Fragen, was Juliette beim besten Willen nicht aushielt. Aber ihre Laune war besser geworden, jetzt, wo der Regen vorbei war. Die Tage wurden kürzer, oder zumindest schien es ihnen so.

Sie machten eine Pause an einem Hügel. Die Kinder kletterten hinauf, mit Blättern werfend und mit Lachen und erfreutem Quieken. Juliette und die Ritter trockneten ihre Umhänge auf den Wiesen und tauschten den immer weniger werdenden Proviant umher, sodass jeder etwas hatte. Sie war viel zu beschäftigt, um mit Justin zu sprechen, so wie es in den letzten Tagen langsam zur Gewohnheit geworden war, aber sie spürte seinen Blick auf ihr und lächelte stumm in sich hinein.

Die Gruppe rastete nur solange es wirklich nötig war. Sie hatten einen weiten Weg vor sich, wenn sie Aleria vor Winter erreichen wollten. Und sie waren ja noch nicht einmal sicher, ob Aleria die richtige Entscheidung war. Auf jeden Fall müssten sie einen Boten vorschicken, ansonsten würde man die Reste - und wenn es noch so wenige Krieger waren - als Bedrohung wahrnehmen und auch als solche behandeln und eliminieren. Sie mussten vorsichtig und sparsam sein, denn Geduld und Verpflegung ging ihnen aus.

Ihr Weg führte sie weiter, bis hinaus an die Grenzen von Fanoria - dem Land des Feuers. Man sagte sich, dass dort Leute wohnten, die das Feuer kontrollieren könnten, dass es dort feuerspuckende Berge gab und Lavaflüsse, die alles in ihrem Weg vernichteten. Juliette konnte sich kaum vorstellen, wie man dort leben könnte. Aber allen Anschein nach, war es nun Zeit, das herauszufinden.

Sie passierten die Grenzen am späten Nachmittag. Obwohl der Regen fort war, zogen dunkle, vielversprechende Wolken über ihren Köpfen hinweg. Goliardon verhieß ihnen ein Gewitter und - zu jedermanns Bedauern - noch mehr Regen. Zu allem Überfluss traf seine Vorhersage schneller ein, als erwartet. Schon bald liefen sie wieder im Regen und das Gewitter krachte über ihnen.

Juliette zog den Umhang fester um sich und schniefte. Sie hatte sich bei diesem Wetter einen Schnupfen geholt, wie viele andere von Mortis auch. Justin war verschont geblieben, aber er sah genauso müde aus. Als sie einige weitere Kilometer hinter sich gelassen hatten, konnten sie in der Ferne Umrisse erkennen. Schwarzrote Ziegel erhoben sich auf einem weithin flachen Land. Es war ein Rechteck von massiver Fläche, das von hohen Mauern umgeben war. In regelmäßigen Abständen waren Türme angebracht, an jeder Ecke einer und auf den längeren Seiten in der Mitter je ein Turm zusätzlich.

Juliette kniff die Augen zusammen und gab ihrem Hengst ein Zeichen, damit er schneller ritt. Raklagon trug sie näher an die Festung heran, bis sie die Fahne auf einem der Türme erkennen konnte - ein grünes M auf rotem Grund.

Juliette drehte sich zu Justin um, ein besorgter Ausdruck auf ihrem Gesicht. Justin runzelte die Stirn. "Nicht gut", murmelte er und wendete sich an Goliardon. "Was ist das?", fragte er den Seher. Goliardon, der zu Fuß neben Justin her ging, legte den Kopf schief. "Sind wir denn nicht mittig auf Fanoria gestoßen? Haben wir uns etwa nicht rechts gehalten?", fragte er bestürzt. Juliette runzelte ebenfalls die Stirn. "Nein", antwortete sie. "Wir haben den Weg geradlinig nach unten genommen. Aber das war nicht die Frage. Was ist das?", wiederholte sie und deutete auf die Festungsumrisse hinter ihnen. Goliardon reckte den Nacken zu ihr hoch. "Ich dachte, das ist klar, dass wir uns rechts halten! Wir hätten Fanoria an der Spitze erreichen sollen! Nicht hier!" "Und warum nicht hier?", entgegnete Justin, der langsam auch die Geduld verlor.

Goliardon schnaufte, was Juliette für sehr besorgniserregend hielt, da der Seher ja sonst so entspannt war - oder zumindest schien. "Das hier ist Morofa! Der wahrscheinlich dümmste Ort - abgesehen von Horgorons Land - wo wir jetzt sein könnten!" Juliette stöhnte auf. "Toll! Und was soll das sein?" "Was das sein soll?! Sagt mal, habt ihr denn gar keine Bildung?", rief Goliardon empört. Juliette fauchte: "Klar habe ich Bildung! Aber die betrifft Mortis Ländereien und nicht eine x-beliebige Festung im Nirgendwo!" Justin hob beschwichtigend die Hände. "Okay, bleiben wir alle mal ganz ruhig. Wir können ja einfach vorbei laufen, oder umkehren und einen anderen Weg finden", versuchte er zu argumentieren, doch Goliardon schüttelte den Kopf. "Das wäre vielleicht zu Morofas jüngeren Zeiten noch gegangen. Aber jetzt spielt hier eine andere Musik." Justin runzelte über seine Ausdrucksweise den Kopf. "Welche denn?" "Früher konnte man hier einige Kilometer weiter einfach durch laufen. Das hat sie nicht interessiert. Jetzt aber, seit sich die politische Situation in Lothoria geändert hat..." Juliette schnaubte. "Wirst du uns jetzt bitte die Fakten geben, die wir brauchen, um uns einen Plan B zu überlegen?" "Ja, schon gut! Aber recht viele Optionen haben wir ohnehin nicht mehr, denn hier herrscht Mitharatha." "Wer?", fragte Justin im selben Moment, in dem Juliette "Was?!", rief.

"Ja", sagte Goliardon. "Das ist ihre Festung." "Und wer soll das sein?", fragte Justin. "Soll das dein Ernst sein?" Juliette schlug fassungslos die Hände über dem Kopf zusammen. "Du kennst nicht die bekannteste Schurkin Lotorias?! Diese Frau ist für den Tod von hunderten verantwortlich!" Goliardon nickte. "Sie kam wie aus dem Nichts - eine Unbekannte, die hier auf einmal anfing, ein Reich aufzubauen. Man weiß nicht, wo sie die Leute und Truppen her hat. Sie baute sich dieses Land und setzte sich die Krone auf. Das war ein paar Jahre nach dem Untergang des Landes Baxel, als sie bekannt wurde." "Na großartig", murmelte Justin. "Und sie ist eine Hexe!", fügte Juliette hinzu. "Eher eine Zauberin", besserte Goliardon sie leise aus. Justin schüttelte den Kopf. "Und was jetzt?", fragte Juliette und sah zu Justin. Doch der blickte nur an ihr vorbei. "Ich glaube, das wird sich zeigen...", murmelte er und nickte in die Richtung.

Juliette drehte sich um. Auf der weitläufig ebenen Landschaft kam ein Zug an Personen auf sie zu. Und es war eindeutig, dass es Soldaten waren.

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt