105. Eintrag

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Es ist am Abend. Ich sollte lernen, aber ich kann nicht. Es ist nicht, dass mir die Laune fehlt. Es ist wohl eher, dass ich keinen anderen Gedanken aufnehmen kann. Es ist, als wäre mein Kopf proppenvoll und ich kann nichts entleeren. Dabei ist mein Kopf eigentlich leer. Er sollte es zumindest sein.

Alles kommt jetzt auf einmal, habe ich das Gefühl.

Ich fühle mich immer mehr zu einem Jungen aus meiner Kursstufe hingezogen und doch versuche ich mich ein bisschen dagegen zu währen. Wir werden uns vermutlich nur noch bis Juli sehen, dann ist unsere Schulzeit vorbei und unsere Wege werden sich sehr wahrscheinlich trennen. Er bringt mich öfters mal zum Lachen – sooft wie er es schafft, hat es bisher noch keiner.

In seiner Gegenwart fühle ich mich wohl und zufrieden. Wir schreiben in letzter Zeit sehr oft miteinander, aber ich vermiss es auch mal wieder richtig mit ihm zu reden - selbst wenn es nur ein Smalltalk sein sollte. Doch nie ergibt sich eine Situation, sodass wir wirklich reden könnten. Entweder sind meine Freunde daneben – und ich will nicht, dass sie sich irgendetwas zusammenreimen, was da eigentlich nicht ist – oder es sind andere Leute in der Nähe. Wenn das der Fall ist, dann werde ich meistens stiller und rede nicht so wie ich sonst rede.

Das regt mich persönlich immer sehr auf, aber vor allem möchte ich gerne mal wissen, was er über mein Verhalten denkt und doch werde ich ihn nicht danach fragen. Nicht weil mir das peinlich ist. Ich will nur nicht, dass es für ihn so rüber kommt, als wolle ich was von ihm. Vielleicht ist das zwar ein bisschen der Fall, aber ich bin mir selber noch nicht im Klaren über meine Gefühle und kann sie auch nicht richtig zuordnen. Ich schwanke zwischen dem Gefühl nur Freundschaft und dem Doch-mehr-wollen.

Und doch freue ich mich jedes Mal, wenn wir uns sehen bzw. ich ihn. Ich freue mich, wenn ich sehe, dass er mich angeschrieben hat. Ich freue mich, wenn wir miteinander schreiben – manchmal kann ich einfach nicht mehr vor Lachen. Ich freue mich, wenn wir gemeinsam im Unterricht sitzen. Ich freue mich, wenn ich seine Stimme im OSZ (Oberstufenzimmer) höre. Ich freue mich einfach. Manchmal gibt es kurze Momente, in denen wir uns beide anschauen und uns gegenseitig angrinsen. Ich freue mich darüber. Manchmal höre ich mein Herz ein bisschen schneller schlagen und immer wieder halte ich nach ihm Ausschau. Wenn wir im selben Raum sitzen, blicke ich immer wieder zu ihm.

Das alles würde für Liebe sprechen. Aber ich weiß nicht was Liebe wirklich ist. Ich weiß nicht, was es wirklich heißt eine Beziehung zu führen und ich weiß nicht, ob ich dazu je bereit wäre.

Manchmal denke ich, dass ein Treffen zu zweit mal ganz gut wäre. Doch fragen würde ich ihn jetzt noch nicht. Ich zögere. Ich kann es mir auch nicht richtig vorstellen mich mal mit ihm zu treffen.

Wenn ich wieder zu Hause bin und alleine in meinem Zimmer hocke, ist es manchmal am schlimmsten: Manchmal wünsche ich mir, dass er jetzt bei mir wäre. Dann denke ich wieder, dass es doch besser ist wie es jetzt ist. Dann schalte ich Musik an und versuche wieder runterzukommen und nicht weiter darüber nachzudenken ('Es wird sich alles von allein regeln', denke ich dann meistens). Doch die Texte der Lieder kochen meine Gefühle meistens wieder auf und trotzdem will ich die Musik nicht ausschalten, da sowohl die Töne als auch die Texte mich auf eine Weise beruhigen, die ich nie beschreiben könnte.

Ab und zu kommt es vor, dass sich bei einem Lied ein Klos in meinem Hals bildet: Ein Klos, weil das Lied bzw. der Text auf meine Situation passt und ich mir das nicht eingestehen will oder nicht eingestehen kann. Manchmal könnte ich weinen, weil ich nicht mehr weiter weiß. Es ist das typische Problem, was man kennt, und doch komme ich nicht wirklich zurecht damit.

Manchmal laufen mir tatsächlich die Tränen herunter – meistens am Abend. Aber ich weiß, dass es nicht an ihm liegt, dass er mir schaden würde oder so. Nein, es ist eher ein Schmerz. Ein Schmerz, der mir sagt, dass ich jetzt nicht bei ihm bin oder ich jetzt in dem Moment keinen Kontakt zu ihm habe. Er hat mich schon sooft wieder fröhlich gestimmt und ich war ihm so dankbar dafür – selbst wenn er das nicht weiß. Desto mehr vermisse ich seine Worte oder seine Art. Sie hat einfach etwas beruhigendes auf mich.

Das Schlimmste manchmal jedoch, finde ich, sind die Momente, in denen er mich so sehr überrascht: Einmal hat mir meine Schwester mein Handy aus meiner Hand gerissen. Wir hatten gerade wieder geschrieben und sie schickte ihm zwei Videos. Als ich das bemerkt hatte, schrieb ich ihm schnell, dass die nicht von mir sind und erklärte ihm, was vorgefallen war. Seine Reaktion (er hatte sie noch nicht angesehen): Er löschte sie einfach - ohne dass ich es verlangt hatte. Zusätzlich schickte er mir einen Screenshot, damit ich sehen konnte, dass er sie wirklich gelöscht hatte. Auch das hatte ich nicht verlangt. Ich konnte es nicht glauben und freute mich so sehr darüber – und gleichzeitig zerriss es mir das Herz (vor allem ein paar Tage später). Eigentlich sollte es dafür keinen Grund geben und trotzdem war er da.

Eigentlich sitze ich gerade nur hier und warte auf den Schmerz, denn auch heute gab es eine Situation. Sie hat mich so glücklich gemacht:

Wir hatten Mittagspause und wir würden beide gleich eine Bioarbeit schreiben, da wir gemeinsam Bio haben (so hab ich ihn auch kennengelernt bzw. angefangen ihn wahrzunehmen, da ich ein Jahr lang in Bio neben ihm saß – das war letztes Jahr). Er fragte mich, ob ich für Bio gut vorbereitet wäre und während ich meine Sachen zusammenpackte, um ebenfalls aus dem OSZ zu gehen, antwortete ich ihm. Er hat auf mich gewartet und wir sind gemeinsam zu Bio gelaufen. Währenddessen haben wir geredet: Ich konnte und kann es immer noch nicht glauben, dass wir zusammen zu Bio gelaufen sind und uns unterhalten haben. In diesem Moment war mir alles egal. Mir war egal, dass ich gleich eine Arbeit schreibe. Mir war egal, was meine Freunde dachten, als ich mit ihm das OSZ verlassen habe. Es war mir vollkommen egal, denn ich war glücklich.

Aber auf ein Ereignis freue ich mich schon sehr, auch wenn wir uns da vielleicht das letzte Mal sehen werden: Den Abiball, denn ich werde mit ihm einlaufen, wenn nichts dazwischen kommt und ich hoffe es sehr.

Während ich das hier schreibe, spielt sich das Ganze immer wieder und wieder ab. Nach dem Aufschreiben fühle ich mich befreiter, aber trotzdem ist mein Gehirn immer nur mit einer Frage beschäftigt: Was empfinde ich für ihn?

Aber ich schaffe es nicht eine Antwort darauf zu finden. Das ganze geht jetzt seit Januar 2015 so, aber nichts scheint sich zu verändern, oder verändert sich die ganze Zeit etwas, aber mir fällt es nicht auf?

Ich sollte lernen, aber ich kann nicht. Ich sollte etwas anderes tun, aber ich schaffe es nicht. Ich sollte mir über manche Sachen klar werden, aber mein Unwissen und meine Unsicherheit lassen es nicht zu, da sie alles andere überdecken und meine ganzen Gefühle einnehmen.

So geht es mir am Abend. Der nächste Tag wird kommen und etwas ähnliches wird wieder passieren. Sei es nur das Gefühl der Unsicher oder des Unwissens oder der Schmerz. Aber eines wird immer wieder kommen. Immer wieder. Am Abend.

- Hedwig

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