Teil 7

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Hannes Sicht:

Als ich etwas später im Proberaum eintreffe, ist Nowi überraschenderweise schon da. Thomas hingegen lässt noch auf sich warten. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich bereits 10 Minuten zu spät bin. Thomas sollte entsprechend jeden Moment hier eintreffen. „Und alles gut bei dem Kleinen?" fragt Nowi mich, der auch mitbekommen hat, dass dieser es momentan nicht leicht hat mit seinem Vater. „Naja. Wir haben mit Steff telefoniert und da hat er mal etwas genauer erzählt wie Thomas ihn momentan behandelt. Er lässt ihn nicht draußen spielen, ignoriert ihn, redet kaum mit ihm und weist ihn komplett ab. Das geht so nicht Nowi. Ich habe mit Steff besprochen, dass ich den Kleinen die nächste Woche mit zu mir nehme. Jetzt muss ich das nur noch Thomas irgendwie beibringen. Ich hoffe das endet gleich nicht in einem riesigen Debakel und wir bringen heute trotzdem noch etwas zustande." „Das hört sich ja noch schlimmer an als ich befürchtet hatte. Im Zweifel unterstütze ich dich, Thomas zu überzeugen. Habt ihr Motti denn auch gefragt, ob das in seinem Sinne ist?" „Natürlich! Wir haben ihm den Vorschlag gemacht und er war sofort begeistert. Im Auto eben hat er mir mitgeteilt, dass er heute unbedingt mal wieder auf einen Spielplatz möchte. Du sollst auch gerne mitkommen weil das mit uns immer so viel Spaß macht. Ich habe ihm versprochen dich zu fragen, ob du Zeit hast." „Na klar habe ich Zeit und komme mit. Und Hannes? Wenn ich dich sonst noch irgendwie unterstützen kann, dir Arbeit abnehmen kann oder mal mit Motti rausgehen soll, sag bitte Bescheid. Wenn Thomas es nicht schafft für seinen Sohn da zu sein, möchte ich dich wenigstens bestmöglich unterstützen. Mir liegt der Kleine doch auch sehr am Herzen." „Das weiß ich Nowi. Danke, dass auf dich Verlass ist. Ich habe die nächste Woche noch gar nicht geplant. Ich glaube es ist am Besten Motti entscheiden zu lassen, was er möchtet und was er braucht. Wir müssen einfach für ihn da sein, ihn auffangen, damit sein Vertrauen in uns bestehen bleibt, nachdem das Vertrauen in seine Eltern schon viel zu stark bröckelt." „Das hört sich gut an. Du wirst das gut machen! Da bin ich überzeugt von. Zusammen werden wir ihm die Woche so angenehm wie möglich gestalten." „Hauptsache wir bekommen Thomas gleich überzeugt." „Kopf hoch Hannes. Das wird!" versucht Nowi mich aufzumuntern, als ich auch schon die Tür ins Schloss fallen höre. Thomas betritt den Proberaum, schlürft in die Küche und nimmt sich lustlos einen Kaffee. Ein „Hallo" für uns scheint er auch nicht für nötig zu halten, als er sich mit ausreichend Abstand zu uns am Küchentisch niederlässt. „Guten Morgen Thomas!" begrüße ich ihn, bemüht freundlich, um mir meine Wut über ihn nicht anmerken zu lassen, die gerade hochkocht. Ich kann mich nicht daran erinnern jemals wo wütend auf meinen Bruder gewesen zu sein. Noch nie hat er mich und uns so sehr enttäuscht und mit seinem Verhalten verletzt. Als Antwort bekomme ich lediglich ein gleichgültiges Brummen. Nowi hat sich mittlerweile in den Nebenraum verzogen. Er scheint genau wie ich zu spüren, dass es besser ist, das bevorstehende Gespräch zunächst zwischen vier Augen zu führen. Ich nehme jedoch wahr, dass er die Tür hinter sich nicht schließt und bin mir sicher, dass er so im Zweifel alles mitbekommt und eingreifen wird und mich unterstützt. „Wie geht es dir?" beginne ich das Gespräch mit meinem Bruder, bedacht darauf nicht direkt auf Konfrontationskurs zu gehen. „Was soll die Frage?" kommt es schroff zurück. „Man wird doch wohl noch seinen Bruder nach dem Wohlbefinden fragen dürfen?" für den Bruchteil einer Sekunde schaut er mir in die Augen. In dem Blick liegt so viel, obwohl er so gleichgültig wirkt. Der Blick gibt mir das Gefühl als hätte Thomas mir für einen winzigen Moment einen Einblick in seine Gefühle gegeben, mich kurz hinter die Mauer gelassen, die er in den letzten Tagen meterhoch errichtet hat. Doch der Moment war zu kurz, um zu ihm durchzudringen, zu erkennen was in ihm vorgeht. „Ist doch egal." kommt die Antwort, mit der ich schon fast nicht mehr gerechnet habe. „Nein ist es nicht." „Wie soll es mir gehen? Scheiße!" antwortet er kalt und emotionslos. Mir läuft ein Schauer über den Rücken und für einen kurzen Moment frage ich mich, ob es das Richtige war nach seinem Wohlbefinden zu fragen. Dass es ihm scheiße geht, habe ich schließlich schon bemerkt. Ich denke kurz darüber nach, was ich antworten soll, weil jede Möglichkeit sich so falsch anfühlt. So wütend ich momentan auf meinen Bruder bin, habe ich trotzdem Mitleid mit ihm und würde ihm gerne helfen. Wüsste ich doch nur was mit ihm los ist. „Warum?" verlässt das nächste Wort meinen Mund, noch bevor ich mich entscheiden konnte dies überhaupt auszusprechen.


Abschied ohne LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt