Teil 53

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Steffs Sicht:

Der Zwischenfall hat mich sehr nachdenklich gemacht. Mir ist bewusst, wie labil Thomas Zustand ist. Ich muss verständnisvoller und sanfter auf seine Worte reagieren. Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn ich kann nicht leugnen, dass ich enttäuscht von Thomas Verhalten bin und ein kleiner Teil von mir auch noch etwas Wut verspürt. Ich muss mich im Griff haben und meine Gefühle hinten anstellen. Denn es geht nicht um mich. Es geht um Thomas. Thomas ist der, der krank ist. Thomas ist der, dem es wirklich schlecht geht. Und Thomas ist der, der auf unsere, auf meine Hilfe angewiesen ist. Gut geht es mir zwar auch nicht, aber bei weitem nicht so schlecht wie meinem Freund. Ich fasse den Entschluss mich an Hannes oder Nowi zu wenden, wenn meine Gefühle wieder überkochen und ich wem zum reden brauche. Ich kann und will Thomas nicht noch zusätzlich belasten. Dennoch ist es ein schmaler Grat: Wie viel kann ich Thomas zumuten und ab wann verschweige ich zu viel, sodass er sich vernachlässigt und ausgegrenzt fühlt? Es bleibt mir wohl nichts übrig, als aufmerksam für ihn da zu sein, ihm zu verstehen zu geben, dass ich ihm vertraue, ihn lediglich schützen und nicht überfordern möchte. Erneut gehe ich zu Thomas Zimmer und wir nehmen unser Gespräch wieder auf, zeigen beide Reue. Wir wissen, dass wir beide nicht fair zueinander waren, nehmen uns keine Versprechen ab, die womöglich eh nicht gehalten werden können. Nur das Versprechen füreinander du zu sein, so viel Verständnis wie möglich aufzubringen, das können wir einander geben. Nun fährt Thomas mit seinen Erzählungen fort: „Motti ist zu Hannes. Da waren wir glaube ich stehen geblieben. Naja, da habe ich gemerkt, dass es wirklich schlecht um mich steht. Ich schäme mich dafür. Aber mir ist bewusst geworden, dass ich meinen Sohn auf keinen Fall gänzlich verlieren will. Ich habe versucht mich zurück zu kämpfen. Ich bin im Proberaum erschienen und habe versucht mir nicht alles anmerken zu lassen. Mein Gedanke galt immer den Konzerten. Du weißt, dass Musik mir schon immer in jeglicher Lebenslage geholfen hat. Ich konnte und wollte nicht akzeptieren, dass es mir so schlecht geht, dass ich nicht mehr in der Lage bin Musik zu machen, Konzerte zu spielen. Dass ihr das angezweifelt habt, hat mich sehr verletzt. Es setzte sich der starke Wille durch es euch und auch mir selbst zu beweisen. Dann kam mein erster Zusammenbruch, als wir die Setlist durchgespielt haben. Hannes hat dir sicher davon erzählt?" mit einem leichten Nicken bestätige ich seine Vermutung. „Du musst mir glauben, dass es wirklich der erste Zusammenbruch war. Ich wusste selbst nicht wie mir geschieht. Ich könnte nicht dankbarer sein, dass Hannes und Nowi in diesem Moment an meiner Seite waren." Kurz muss Thomas schlucken und ich spüre wie sehr ihn die Erinnerung daran mitnimmt. Kann ich jetzt wirklich die Frage aussprechen, die mir auf der Zunge liegt? Aber wenn nicht jetzt wann dann? „Ich möchte dich nicht verschrecken Thomas. Aber Hannes hat mir damals den Grund nicht verraten wollen, mir gesagt, dass du selbst mit mir darüber reden möchtest. Du musst nicht, aber es würde mir sehr helfen, wenn du mir sagen magst, was in dem Moment in dir vorgegangen ist." „Es tut mir leid. Aber wir hatten keinen Kontakt und ja ich weiß, dass ich schuld daran war. Aber es war mir zu viel, dass Hannes dir das erzählt. Ich kann es mir nicht genau erklären. Aber ja, jetzt solltest du erfahren was los war. Also es war bei „durch die Nacht". Du weißt, mir ging es sehr schlecht. Um ehrlich zu sein so schlecht, dass jede Nacht ein Kampf für mich war. Ich konnte froh sein, wenn ich überhaupt 2 Stunden schlafen konnte. Dass ich die Tage halbwegs überstanden habe, kann ich selbst nicht verstehen. Ich will nicht wissen wie viel Koffein ich intus hatte, um durch den Tag zu kommen. Und als dann dieses Lied kam, ich konnte es plötzlich zu hundert Prozent fühlen. Es tat weh, zerriss mich innerlich und dann ging alles ganz schnell. Ich war nicht mehr Herr meiner Sinne." „Magst du mir sagen warum die Nächte so ein Kampf waren oder vielleicht auch immer noch sind?" „Ich hatte einen Traum, der immer wieder kam. Er fühlte sich viel zu echt an und jedes Mal aufs Neue bin ich schweißgebadet hochgeschreckt, war gar panisch. Also der Traum, ja wie soll ich sagen? Bitte versteh das nicht falsch, ich vertraue dir und weiß, dass wir auch schwere Zeiten gemeinsam meistern können, aber in dem Moment konnte ich das nicht sehen. In meinem Traum bist du gegangen, hast mir alle Menschen genommen, die mir wichtig waren. Es fühlte sich real an. Ich dachte wirklich ich hätte nicht nur dich gänzlich verloren. Es brauchte immer lange, bis ich wieder in der Realität ankam. Und auch wenn ich tief in mir wusste, dass wir uns zwar entfernt, aber nicht gänzlich verloren haben, hat es immer lange gebraucht, eh ich mir das wieder halbwegs bewusst machen konnte. Bin ich erneut weg genickt, bin ich schon nach kürzester Zeit aus dem gleichen Traum wieder hochgeschreckt." Schüchtern schaut Thomas mich an, nachdem er seine Erzählung beendet. Ich brauche einen Moment um das Gehörte zu verarbeiten. „Mir tut das sehr leid Thomas. Wirklich. Ich finde gerade nicht die passenden Worte, aber lass mich dir sagen, dass ich wieder da bin und nicht von deiner Seite weichen werden. Mir würde es niemals in den Sinn kommen dich aufzugeben und dir zusätzlich noch Menschen zu nehmen, die dir die Welt bedeuten." „Das weiß ich doch. So bist du nicht. Das könntest du nicht. Ich schäme mich dafür, das nicht immer sofort kapiert zu haben." „Du musst dich nicht schämen. Für mich ist es nicht alles nachzuempfinden, mir fällt es schwer mich in deine Lage zu versetzen, aber ich verstehe, dass es dir sehr schlecht ging. Ich verstehe, dass du dich vielleicht etwas verändert hast und ich neu lernen muss mit dir umzugehen, um dich gut unterstützen zu können. Aber lass mich dir versichern, dass ich das tun werde. Und bitte sag mir, wenn ich dir zu viel bin, wenn du deinen Freiraum, deine Ruhe brauchst und komm zu mir, wenn du reden magst, Nähe brauchst." „Danke" kommt es schlicht von Thomas, doch er sieht mir dabei direkt in die Augen. Aus seinen kann ich so viel mehr lesen als dieser mit seinen Worten ausdrücken kann. Ich weiß wie viel dahinter steckt und dass wir mit diesem Gespräch schon viele Schritte gegangen sind. Verletzlicher hätte sich Thomas mir nicht zeigen können und ich könnte nicht erleichterter darüber sein, dass er sich nicht davor gescheut hat. Da ist noch was zwischen uns, da ist noch die Wärme, das Vertrauen zueinander. Da sind noch tiefe Gefühle füreinander. Wie automatisch bewegen wir uns aufeinander zu schließen einander fest in die Arme. Wir verlieren beide einige Tränen. Es sind Tränen des Schmerzes, aber auch der Erleichterung. Wir brauchen es nicht aussprechen und wissen dennoch, dass wir einander mit dem heutigen Tag wieder nah gekommen sind, dass wir einander zurück haben.


Abschied ohne LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt