Teil 21

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Hannes Sicht:

Es fällt mir an diesem Abend besonders schwer einzuschlafen. Noch lange zerbreche ich mir den Kopf über Thomas Aussagen. Es nervt mich, dass mir keine Plausible Erklärung einfällt, die der Auslöser für die von Thomas beschriebene Überforderung und den Druck sein kann. Dass ich irgendwann doch eingeschlafen sein muss, realisiere ich als mich kleine Hände im Gesicht berühren. Noch verwirrt schlage ich meine Augen auf und erkenne Motti, der fröhlich und munter in meinem Bett sitzt und mich erwartungsvoll anschaut. Noch komplett orientierungslos schaue ich auf die Uhr und stelle fest, dass mein Wecker in ein paar Minuten klingelt. Dies wusste der kleine Mann anscheinend, denn er stellt fest: „Wir müssen aufstehen Onkel Hannes. Ich war schon wach und wusste, dass wir aufstehen müssen und dann bin ich dich wecken gekommen. So ein Wecker ist doch viel doofer." Ich muss kurz Schmunzeln über die Aussage und stelle fest, dass er doch schon echt groß geworden ist mittlerweile. Gerade mal 5 Jahre alt, aber das Lesen der Uhr hat er schon gelernt. „Danke Motti. Das ist lieb von dir. Dann lass uns aufstehen und etwas essen." Kaum habe ich die Worte ausgesprochen, springt der Wirbelwind von meinem Bett und rennt in Richtung Badezimmer, um sich vor dem Frühstück anzuziehen. So viel Energie am Morgen bin ich definitiv nicht gewöhnt. In Ruhe folge ich ihm, wohl wissend, dass wir uns nicht stressen müssen. Als wir ein wenig später am Frühstückstisch sitzen, frage ich den Kleinen, ob er am Nachmittag mit in den Proberaum möchte. „Ja unbedingt. Das bringt immer viel Spaß!" stimmt er zu. Ich bin froh darüber, da wir noch einiges zu erledigen haben und das auch in seiner Anwesenheit gut machbar ist. Zudem kann er so seinen Vater sehen, was ich trotz aller aktuellen Umstände für sinnvoll halte. Dennoch versichere ich mich, dass dies auch in Mottis Sinne ist: „Thomas wird auch im Proberaum sein. Dann könnt ihr euch sehen. Ist das gut?" „Hmm." überlegt Motti kurz und Sorgen machen sich in mir breit. „Will Papa mich überhaupt sehen?" „Na klar will Papa dich sehen. Er hat dich doch lieb und vermisst dich." „Wirklich?" folgt eine skeptische Frage. Ich ziehe Motti auf meinen Schoß und versuche ihm in Ruhe alles zu erklären. „Wirklich! Weißt du Großer. Dem Papa geht es momentan leider nicht so gut. Er ist zwar nicht körperlich krank aber ihn belasten Dinge. Das wird bald alles wieder gut werden. Da sind wir uns alle sicher. Aber momentan ist ihm vieles zu viel. Deswegen hat er sich auch komisch verhalten letzte Woche. Aber nur weil es ihm momentan nicht ganz gut geht und er seine Sorgen hat, liebt er dich trotzdem. Du und Mama sind das Wichtigste für ihn. Es tut ihm leid, dass er dir gegenüber nicht fair war. Aber er will dich unbedingt sehen, sich bei dir entschuldigen und für dich da sein." „Warum geht es Papa nicht gut?" „Das weiß ich nicht genau Schatz. Wahrscheinlich vermisst er Mama sehr." „Aber wenn er Mama vermisst, kann er sie doch anrufen." „Das stimmt. Das macht er bestimmt auch." antworte ich, wohl wissend, dass Thomas das wahrscheinlich nicht machen wird. Doch irgendwie muss ich den Kleinen beruhigen. Er bekommt viel mehr mit als er sollte. Es ist nur fair ihm zu sagen, dass es seinem Vater nicht gut geht, doch alles soll er nicht wissen. „Und spricht Papa dann heute mit mir und spielt mit mir? Sonst brauche ich nicht mit in den Proberaum." „Mit Sicherheit wird er das tun. Er hat es bereut, dass er das die letzte Woche nicht gemacht hat. Bestimmt entschuldigt er sich bei dir und spielt mit dir." „Das wäre toll. Darf ich meine Autos mitnehmen? Ich will unbedingt mal wieder mit Papa Autos spielen!" „Ausnahmsweise darfst du welche mit in den Proberaum nehmen. Aber bitte denk daran die nicht irgendwo liegen zu lassen. Du weißt, dass wir mit den Instrumenten nicht drüber stolpern wollen." „Ja ich weiß Hannes. Versprochen." „Super. Wollen wir losfahren in die KiTa?" wechsel ich das Thema. „Jaaa!" ruft Motti freudig und holt seinen Rucksack für den Kindergarten. Schnell befülle ich seine Brotdose, während er seine Zähne putzt und kurz darauf sitzen wir schon im Auto. Nachdem ich Motti weggebracht habe, fahre ich weiter Richtung Proberaum, wo ich wie meistens vor Nowi eintreffe. Ich koche schon mal Kaffee und beginne mit dem, was wir uns für den Tag vorgenommen haben. Denn keiner weiß, wann Thomas hier aufkreuzen wird und in welcher Verfassung er dann ist. So erachte ich es für sinnvoll bis dahin so viel wie möglich geschafft zu haben.


Abschied ohne LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt